Was ist Power-to-x?
Power-to-X ist die Art und Weise, wie wir günstigen erneuerbaren Strom in Wasserstoff und seine Folgeprodukte umwandeln. Der Ursprung war eine Idee, die wir vor 15 Jahren Power-to-Gas genannt haben: Wind- und Solarstrom speicherbar machen, indem wir ihn über Elektrolyse in Wasserstoff überführen. Wir hatten dann den Vorschlag, Wasserstoff mit CO2 zu kombinieren, um daraus synthetisches Gas zu gewinnen, erneuerbares Gas, das man in der vorhandenen Gasinfrastruktur dauerhaft nutzen, speichern und verteilen kann. Auf diese Weise lässt sich erneuerbare Energie langfristig speichern – etwas, das Batterie- und Pumpspeicher nicht schaffen. Darüber hinaus wollten wir mit Power-to-Gas erneuerbare Energie in die Wärme, den Verkehr und in die Industrie bringen. Das geht einmal durch die Kombination von Wasserstoff und CO2 zu E-Fuels, aber auch durch die Kombination von Wasserstoff und Stickstoff zu Ammoniak. Das ist Power-to-X: Vom erneuerbaren Strom über Wasserstoff zur klimaneutralen Anwendung in Industrie oder Verkehr.
Warum ist Wasserstoff das wichtigste Element im Power-to-X-Konzept?
Weil Wasserstoff das Bindeglied zwischen der Welt der Elektronen und der Moleküle ist. Es wäre ideal, wenn wir alles mit reinem Wasserstoff hinbekämen. Aber manche Anwendungen sind noch nicht so weit, und die Energiedichte von Wasserstoff beträgt nur ein Drittel von erneuerbarem Methan. Daher ist es eben das Bindeglied im Power-to-X-System. Manche sprachen auch von Power to Hydrogen, Power-to-Chemicals, oder Power-to-Products. Ich habe diese Varianten in einer Studie für die Agora-Energiewende im Jahr 2014 einfach zu Power-to-X abgekürzt, weil ich es leid war, immer alles auszuschreiben. Das hat sich dann weltweit durchgesetzt. Power-to-X drückt die große Vielfalt aus, die wir haben, wenn wir nicht in einer rein elektrischen Welt bleiben. Das ist zwar sehr effizient, erreicht aber nicht alle Bereiche. Dafür brauchen wir Wasserstoff und seine Derivate, weil es gerade für Anwendungen mit hohen Temperaturen einfacher und kostengünstiger ist.
Haben Power-to-X-Technologien das Potenzial, den Klimawandel signifikant zu verlangsamen?
Ja. Bei allen Modellen, die wir an der OTH ausrechnen, sei es jetzt für Deutschland, die EU oder global, sehen wir, dass es für eine Transformation des Energiesystems im Endeffekt nur wenige Schritte braucht. Der erste ist Energieeffizienz. Alles, was effizienter betrieben werden kann, braucht weniger zusätzliche Energie, weniger Speicher und weniger Aufwand. Der zweite Schritt ist, erneuerbare Energien ausbauen. Dazu gehören natürlich auch die entsprechenden Netze. Der dritte Schritt besteht darin, so viel direkt zu elektrifizieren, wie möglich ist. Dann kommt der vierte Schritt, und das ist der Einsatz von Wasserstoff und Sektorenkopplung. Ohne das lassen sich nicht alle Segmente erreichen – die Stahlproduktion wird sich etwa nie vollständig elektrifizieren lassen. Von daher lassen sich 70 bis 80 Prozent des weltweiten Energiebedarfs durch erneuerbare Elektrifizierung defossilisieren und klimaneutral aufstellen. Aber die letzten, entscheidenden 20 bis 30 Prozent schaffen wir nur mit Wasserstoff und Power-to-X.
Wasserstoffnutzung in Deutschland
Wo in Deutschland werden wir die größte Wasserstoffnachfrage sehen?
Ich denke, die wird durch den Anreiz der Klimaschutzverträge in der Industrie herrschen, wenn Industriebetrieben also die Kostendifferenz zwischen wasserstoffbasierter und fossiler Produktion ausgeglichen wird. Es ist etwas traurig und unverständlich, dass einige Industrieunternehmen, die erneuerbares Gas beantragt (SNG) haben, mit dem Verweis zurückgewiesen wurden, SNG sei nicht ausgereift, zu teuer und zu ineffizient. Wir sehen ja, dass in der europaweiten Ausschreibung der Wasserstoffbank ein Projekt in Finnland den ersten Platz belegt hat, bei dem es um die Umwandlung von grünem Wasserstoff und biogenes CO2 (Methanisierung) geht. Dass die Technologie zu teuer, unausgereift oder ineffizient sei, ist also einfach nur Quatsch. Mit SNG kann sich die Industrie auch transformieren; man kann bestehende Anlagen weiternutzen und schafft zugleich neue Erzeugungskapazitäten in der Elektrolyse. SNG anzuschieben macht also total Sinn. Wir sollten auch da eine technologische Vielfalt zulassen und uns nicht nur auf eine Lösung versteifen wie beim Elektroauto. In der Industrie wäre es genauso falsch, nur Wasserstoffprojekte und keine -Derivate zu fördern. Damit schneiden wir uns ins eigene Fleisch und verhindern Innovationen, was auf EU-Ebene auch geschieht.
Der aktuelle Stand des Wasserstoffhochlaufs
Wie verlief der Wasserstoffhochlauf in Deutschland bisher?
Mit dem Wasserstoffhochlauf haben wir ganz verschiedene Phasen erlebt. Vor 50 bis 60 Jahren gab es noch reine Forschungsanlagen. In den Atomdebatten der 80er Jahre galt Wasserstoff als eine Art Trostpflaster, aber es entstanden zahlreiche Solarforschungsinstitute, man denke an das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung in Stuttgart. In den 90er gab es auch eine kleine Wasserstoffwelle, genau wie Anfang der 2000er Jahre. Damals las ich als Student in der Zeitung, Daimler plane jetzt den Rollout von serienmäßigen Wasserstoff-Brennstoffstellenfahrzeugen. Nichts davon ist gekommen. Deswegen war unser Impuls Ende der 2000er Jahre, mit Power-to-Gas Wasserstoff in den Gasnetzen, in der Industrie und in allen breiten Anwendungen zu denken. Dieser Hype war aber auch nach ein paar Jahren vorbei, weil es immer wieder hieß, man könne das Energiesystem nur zu 80 Prozent dekarbonisieren, bei den restlichen 20 Prozent sei es zu schwierig.
Wo stehen wir aktuell?
Seitdem es die neuen, schärferen Klimaziele gibt, ist vielen klar, dass wir sie ohne Wasserstoff nicht erreichen können. Deswegen haben inzwischen über 70 Länder weltweit eigene Wasserstoffstrategien aufgesetzt. Diese müssen jetzt aber auch angeschoben werden, und dafür braucht es Geld. Und an dem fehlt es gerade in Deutschland massiv. Bei den Firmen nehme ich eine große Aufbruchsstimmung wahr, aber finale Investitionsentscheidungen (FID) treffen sie nur, wenn es sich wirtschaftlich lohnt. Und genau das ist problematisch in Deutschland. Zuletzt gab es beispielsweise Förderbescheide für 60 Wasserstofftankstellen, die im Nachgang aus Budgetgründen wieder zurückgenommen wurden. Auch, dass sich die Förderbescheide für IPCEI-Projekte oder Delegierte Rechtsakte ewig verzögern, ist ein Problem. Uns läuft die Zeit davon. Wir brauchen mindestens fünf Jahre, um Wasserstoffprojekte nach der FID in Betrieb setzen.
Es gibt zudem technische Hürden beim Hochlauf; etwa müssen Elektrolyseure noch zuverlässiger werden und in größeren Stückzahlen zu niedrigeren Produktionskosten hergestellt werden können. Außerdem müssen wir den Wasserstoff günstig transportieren können – hierfür steht ganz klar das Kernnetz im Fokus. Aktuell warten alle mit Spannung auf die konkreten Planungen der Netzbetreiber, die zuletzt ja Rückschläge auf der Nachfrageseite verzeichnen mussten, zum Beispiel, weil die Kraftwerkstrategie deutlich weniger Wasserstoffkraftwerke vorsieht als angenommen. Auch durch das Wegbrechen der Förderung für Wasserstofftankstellen geht Nachfrage aus dem Schwerlastverkehr verloren, und die Industrie wartet noch auf die Klimaschutzverträge.
Der Wasserstoffhochlauf ist ein Kartenhaus, das jederzeit zusammenfallen kann. Von daher braucht es jetzt Mut, langfristig zu investieren. Aus meiner Sicht wäre es dafür notwendig, jetzt die Schuldenbremse zu lösen. Mit der Schuldenbremse den Wasserstoffhochlauf zu wagen ist so, als würde man einen steilen Berg hochfahren, auf die Bremse treten, aussteigen und das Auto zu Fuß anschieben. So werden wir die Klimaschutzziele nicht in der vorgegebenen und notwendigen Zeit erreichen. So ist die Situation in Deutschland. Natürlich schauen alle auf uns, denn wir wollen ja Leitmarkt werden, wir wollen weltweit Technologien exportieren, und das hat natürlich Auswirkungen auf globale Lieferketten. Alle zählen auf Deutschland als Absatzmarkt für Wasserstoff und Power-to-X-Produkte.
Gibt es denn Entwicklungen, die Sie optimistisch stimmen?
Mir gibt sehr viel Hoffnung, dass die Photovoltaik derzeit einen Siegeszug par excellence hinlegt. Vor 20 Jahren haben wir weltweit nur ein Gigawatt pro Jahr installiert, heute ist es über ein Gigawatt pro Tag. China hat alleine im letzten Jahr so viel Photovoltaikleistung installiert wie die USA insgesamt. Photovoltaik und Windenergie gehen also massiv voran, im Schlepptau müssen jetzt die Batteriespeicher kommen und dahinter natürlich der Wasserstoff. Wenn Wind- und Solarenergie als Primärenergien irgendwann so unschlagbar günstig geworden sind, dass am Markt kaum noch gehandelt werden können, macht es Sinn, aus dem Strom etwas in molekularer Form zu generieren, das man a) leichter speichern kann und b) stofflich auch dringend benötigt, etwa in der Schwerindustrie. Das sind die Wertschöpfungsketten, die sich automatisch erschließen werden.
Die Frage ist, wo sie sind und was das für Industrieverlagerungen nach sich ziehen wird. Die Wurzel der energieintensiven Industrie war immer günstige Energie. Anfangs war das die Wasserkraft, später waren es Kohle und Kernkraft, und wenn das irgendwann nicht mehr gegeben ist, werden sich die Wertschöpfungsketten auch global anders verteilen. Das ist jetzt schon zu beobachten.