Elektrolysetechnologien
Herr Prof. Sterner, welche Elektrolysetechnologien stehen H2-Produzenten heute zur Verfügung?
Die vier wichtigsten sind aktuell die alkalische Elektrolyse (AEL), die PEM-Elektrolyse (Proton Exchange Membrane), die AEM-Elektrolyse (Anion Exchange Membrane) – eine Kombination aus PEM und AEL – sowie die Festoxid-Elektrolyse, auch SOEC (Solid Oxide Electrolysis Cell) oder Hochtemperatur-Elektrolyse (HTE) genannt.
Beginnen wir mit der alkalischen Variante. Was zeichnet sie aus?
Die AEL ist die etablierteste Technologie. Sie verwendet eine wässrige Kalilauge als Elektrolyt, durch die das Wasser leitfähig wird. Bei diesem Verfahren sind Hydroxid-Ionen die Ladungsträger. Aufgrund ihrer technischen Reife sind bereits kommerzielle Anlagen mit hunderten Megawatt Gesamtleistung in Betrieb oder in Planung. Der Wirkungsgrad der AEL liegt zwischen 60 und 70 Prozent, je nachdem, ob wir uns auf den oberen oder unteren Heizwert beziehen.
Was sind die größten Vorteile der AEL?
Sie nutzt kostengünstige Materialien, ist sehr robust und technisch ausgereift – und damit vergleichsweise einfach einzusetzen. Auf der Nachteilseite stehen ihre eingeschränkte Fähigkeit zu schnellen Lastwechseln, der relativ große Platzbedarf sowie die niedrigere Energiedichte: Die Stacks sind oft riesig dimensioniert. Zudem erfordert die AEL einen Elektrolytkreislauf mit hochkonzentrierter Kalilauge, was zusätzliche Komplexität mit sich bringt. Die AEL eignet sich besonders für große Anlagen mit konstantem Stromfluss, die entweder Netzstrom nutzen oder an eine stabile Energiequelle wie Wasserkraft oder Geothermie angeschlossen sind. Dort kann die AEL wirtschaftlich betrieben werden.
Allerdings kommt bei vielen Neu-Projekten in Deutschland die PEM-Elektrolyse zum Einsatz. Was ist hier anders?
Die PEM-Elektrolyse arbeitet, wie der Name schon sagt, mit einer Proton Exchange Membrane. Anders als bei der alkalischen Elektrolyse ist diese „protonenleitende Membran” ein saurer und fester Elektrolyt. Die Ladungsträger bei der PEM sind Protonen, also Wasserstoffionen, die über diese Membran transportiert werden.
Wie ist hier der Entwicklungsstand im Vergleich zur alkalischen Variante?
Ähnlich hoch, wenn auch nicht ganz auf demselben Niveau. Auf einer Skala würde ich sie bei einem TRL [Technology Readiness Level] von 8 bis 9 einordnen. Die PEM war in den letzten Jahren die am stärksten geförderte und weiterentwickelte Technologie: Mittlerweile sind Einheiten in der 10-, 20- oder 50-Megawatt-Klasse verfügbar, teilweise sogar bis zu 100 Megawatt. Viele Elektrolyseure sind entweder bereits im Einsatz oder werden gerade installiert.
Wo wird die PEM genutzt?
Sie ist speziell für den dynamischen Betrieb konzipiert und damit ideal für fluktuierende Stromquellen. Sie kann auch in die Überlast gehen und besitzt eine hohe Stromdichte, was eine containerisierte Bauweise – und damit eine relativ einfache Planung, Genehmigung und Installation – ermöglicht. Das erste PEM-Stack von ITM Power war nicht einmal einen Kubikmeter groß – ein enormer Unterschied zur alkalischen Elektrolyse. Allerdings zeigt die PEM eine höhere Empfindlichkeit gegenüber der Wasserreinheit, ist störanfälliger und degradiert vermutlich schneller. Sie ist momentan die große Hoffnung für flexible H2-Erzeugung mit Grünstrom aus Wind- und Solaranlagen, muss aber noch beweisen, dass sie ihr Kostensenkungspotenzial auch realisieren. In der Anschaffung sind PEM-Elektrolyseure nämlich noch recht teuer.
Was macht die PEM so kostenintensiv?
Die PEM benötigt Edelmetallkatalysatoren, insbesondere Iridium, sowie Bipolarplatten aus Titan. Diese Materialien sind selten und begehrt, was die Gesamtkosten in die Höhe treibt. Hier setzt die AEM-Elektrolyse an – sie verwendet zwar ebenfalls eine Polymermembran, aber in alkalischer Umgebung und mit deutlich günstigeren Materialien.
Sie haben die AEM-Elektrolyse als eine Kombination aus AEL und PEM beschrieben.
Genau, die AEM kombiniert Elemente ihrer beiden Vorgänger. Der entscheidende Unterschied liegt in zwei Aspekten: Erstens verwendet sie eine Anionenaustauschmembran, und zweitens kommen edelmetallfreie Elektroden zum Einsatz. In der Regel dienen Stahl und Nickel als Katalysatoren. Damit hat die AEM eine geringere Stromdichte als die PEM, ist aber deutlich günstiger.
In welchem Entwicklungsstadium befindet sich die AEM derzeit?
In einem Pilot- oder Demomaßstab, mit ersten kommerziellen Anlagen von unter einem MW Leistung Die größte Herausforderung liegt in der Entwicklung einer Polymermembran, die in alkalischer Umgebung stabil bleibt und mit edelmetallfreien Elektroden kombinierbar ist. Die AEM ist also ein technologischer Nachzügler mit hohem Potenzial, da sie die Vorteile beider Technologien – hohe Stabilität der AEL, hohe Effizienz der PEM – mit einem vergleichbaren Wirkungsgrad vereinen könnte. Ich sehe ihren Einsatzbereich zunächst primär bei dezentralen Kleinanlagen und Off-Grid-Lösungen. Für Großanlagen im Megawatt-Bereich wird sie sich erst noch bewähren müssen.
Auch die Hochtemperatur-Elektrolyse gilt als noch nicht ganz ausgereift. Was ist hier der Grundgedanke?
Die HTE verwendet eine Keramikmembran, bei der Sauerstoffionen als Ladungsträger fungieren. Der wesentliche Unterschied zu den anderen Verfahren besteht darin, dass sie heißen Dampf nutzt, um Wasser zu spalten und vom flüssigen in den gasförmigen Zustand zu überführen. Es ist also keine zusätzliche Energie notwendig. Dieser Ansatz erhöht den Wirkungsgrad erheblich, sofern für die Dampferzeugung Hitze genutzt wird, die bereits vorhanden ist. Ihr ideales Anwendungsfeld liegt daher eindeutig in industriellen Umgebungen: In Chemieanlagen, Raffinerien oder in der Stahlindustrie kann die HTE ihre Stärken ausspielen.
Bei welchem Wirkungsgrad liegen wir dann?
Die HTE wirbt mit Wirkungsgraden von über 80%, aber das gilt natürlich nur, wenn man den energetischen Aufwand für die Dampferzeugung nicht einberechnet. Was die technische Reife betrifft, befinden wir uns bei einem TRL von etwa 5-6. Es gibt bereits einige Demonstrationsanlagen und Projekte im Bereich von 2 bis 5 MW. Die Betriebstemperatur von 700 bis 900 Grad Celsius machen das Verfahren aber technisch anspruchsvoll und stellen hohe Materialanforderungen.
Wenn wir die Entwicklung der verschiedenen Hersteller betrachten – welche Trends sehen Sie für die Zukunft des Elektrolyseurmarktes?
Es lässt sich eine deutliche Konsolidierung beobachten. Die Pioniere, die oft als kleine Start-ups oder Ausgründungen aus Forschungseinrichtungen begonnen haben, werden zunehmend von größeren Industrieunternehmen übernommen. Gleichzeitig steigen etablierte Konzerne aus verwandten Branchen wie Anlagenbau, Automobilzulieferung oder Energieversorgung in den Markt ein. Auch die internationale Dimension – insbesondere der Wettbewerb mit China – wird immer wichtiger. Die chinesischen Hersteller haben mit der alkalischen Elektrolyse begonnen und drängen jetzt in den PEM-Markt. Sie können deutlich niedrigere Preise anbieten, was den Markt erheblich verändert. Die größte Herausforderung bleibt aber, dass der Markt für Wasserstoff und damit für Elektrolyseure noch nicht die erhoffte Größe erreicht hat. Viele Unternehmen haben in Erwartung eines Booms ihre Kapazitäten ausgebaut, aber die Nachfrage hält noch nicht mit dem Angebot Schritt. Die nächsten Jahre werden daher zeigen, ob und wie schnell sich dieser Markt tatsächlich entwickelt.
Elektrolyseurhersteller
Schauen wir auf konkrete Unternehmen: Welche waren aus Ihrer Sicht wichtig für die Entwicklung?
Bei der alkalischen Elektrolyse haben wir zunächst den alten Platzhirschen NEL. Sie haben diese riesigen Megawatt-Anlagen zum Teil schon vor Jahrzehnten entwickelt und sind deshalb sehr gut im Markt etabliert. Ein weiterer interessanter Akteur war Enertrag, ursprünglich ein Windkraftprojektierer aus Brandenburg. Sie erkannten früh, dass neben der Produktion erneuerbarer Energien auch deren Speicherung essenziell ist. Und dafür setzten sie auf Wasserstoff. 2011 installierte Enertrag das erste Wasserstoff-Hybridkraftwerk mit einem alkalischen Elektrolyseur. Enertrags Elektrolyseurfertigung wurde dann später vom französischen Konzern McPhy übernommen.
Welche weiteren Hersteller gab bzw. gibt es?
Eine spannende Firma ist Hydrogenics aus Kanada. Sie hatten eine Niederlassung in Belgien, die ich vor etwa 15 Jahren besuchte. Damals wurden die Bipolarplatten und Membranen noch per Hand zusammengebaut – übrigens entwickelte man dort PEM und AEL parallel. Irgendwann stieg Air Liquide ein, und kurz vor dem Wasserstoff-Hype 2020/2021 wurden sie Ende 2019 von Cummins übernommen. Nicht zu vergessen ist Thyssenkrupp Nucera, die Elektrolyseur-Tochter von Thyssenkrupp, die im alkalischen Bereich sehr stark ist. Von Thyssenkrupp selbst gab es wiederum eine Ausgründung, die WEW GmbH in Dortmund, die alles radikal vereinfachen wollte und auch beim H2-Leitprojekt H2Giga ein wichtiger Projektpartner war. Und natürlich haben wir noch viele chinesische Hersteller im Bereich der alkalischen Elektrolyse. Das ist für sie sozusagen das Brot-und-Butter-Geschäft. Sie bedienen hauptsächlich den chinesischen Markt und liegen preislich bei etwa 300-400 Euro pro Kilowatt Elektrolyseleistung – also deutlich unter unseren Preisen.
Wie sieht es PEM-seitig aus?
Bei den PEM-Elektrolyseherstellern hatte ich immer einen persönlichen Favoriten: ITM Power aus dem englischen Sheffield. Ich habe sehr gute Kontakte zu dem Unternehmen, die OTH Regensburg hatte sogar Studenten und Austauschschüler dort. ITM Power hat den ersten PEM-Elektrolyseur für ein Projekt für die Mainova in Frankfurt geliefert, bei dem es um die erste Wasserstoffeinspeisung ins Gasverteilnetz. ging. Einer meiner Studenten hat damals an der deutschen Übersetzung der Dokumentation mitgearbeitet.
Siemens ist ebenfalls ein wichtiger Player bei PEM-Elektrolyseuren. Wie kam es zu deren Einstieg in diesen Markt?
Zu Siemens gibt es tatsächlich eine amüsante Geschichte. Ich hielt dort einen Vortrag zu Power-to-Gas und verbrachte einen ganzen Tag mit dem Team, um sie für die Idee zu begeistern, dass Strom als Edelenergie nicht mehr so „edel” ist, wenn er im Überfluss vorhanden ist, und dass wir ihn deshalb in Form von Wasserstoff ins Gasnetz einspeisen oder in andere Produkte umwandeln sollten. Das war sozusagen die Geburtsstunde von Power-to-X, etwa im Jahr 2010. Nur eine Woche später erfuhr ich, dass Siemens in die Herstellung von Elektrolyseuren einsteigen will. 2015 wurden die ersten Anlagen in Haßfurt vorgestellt und später in Wunsiedel installiert. Mittlerweile haben sie einen riesige Stack-Fabrik in Berlin und im Energiepark Mainz haben sie ebenfalls die ersten PEM-Elektrolyseure aufgestellt. Eine wirklich beeindruckende Entwicklung, aber leider ist der Markt momentan einfach noch nicht da. Interessante Unternehmen gibt es aber viele, denken Sie an den norddeutschen Projektierer GP Joule oder an Quest One, ehemals H-Tec Systems.
Gibt es auch für die AEM einen „Platzhirsch”?
Hier vor allem Enapter zu nennen. Die AEM-Technologie ist ja, wie wir vorhin besprochen haben, noch relativ jung, und Enapter ist einer der Pioniere in diesem Bereich. Leider haben sie ihre Fertigung kürzlich nach China verlagert. Es bleibt abzuwarten, wie sich das auf ihre weitere Entwicklung auswirken wird.
Kommen wir zur Hochtemperatur-Elektrolyse. Welche Unternehmen sind hier aktiv und wie entwickelt sich diese Technologie?
Bei der HTE ist natürlich Sunfire aus Dresden zu nennen – das war immer ihr Steckenpferd. Interessanterweise hat Sunfire mittlerweile Lurgi gekauft – einen alteingesessenen Anlagenbauer mit viel Erfahrung in der Verfahrenstechnik. Damit erweitern sie ihr Portfolio und forschen jetzt an weiteren Elektrolysetechnologien neben der Hochtemperatur-Variante. Das Kerngeschäft von Sunfire liegt aber im AEL-Bereich.
Wasserstoffleiter

© Gregor Hagedorn, Wolf-Peter Schill & Martin Kittel, based on Michael Liebreich/Liebreich Associates, Clean Hydrogen Ladder, Version 4.1, 2021. Concept credit: Adrian Hiel, Energy Cities, CC BY 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/4.0>, via Wikimedia Commons
Wir haben über Wasserstoff-Produktion gesprochen. In Diskussionen zur Wasserstoff-Nutzung wird oft das Konzept der „Wasserstoffleiter” angeführt. Könnten Sie erklären, worum es dabei geht und wie diese Leiter mit den Elektrolysetechnologien zusammenhängt?
Die Wasserstoffleiter ist ein Schema, das verschiedene H2-Anwendungen nach ihrer Effizienz ordnet. Sie soll eine Entscheidungshilfe für die Frage bieten, welche Anwendungen priorisiert werden sollten. Typischerweise stehen an der obersten Stufe direkte Elektrifizierung und Effizienz, gefolgt von der direkten Nutzung von grünem Wasserstoff, dann Derivate wie Ammoniak oder Methanol, und ganz unten synthetische Kraftstoffe. Die Idee ist, dass bei jeder Umwandlungsstufe Energieverluste entstehen – je direkter die Nutzung, desto effizienter. Die Elektrolysetechnologien sind gewissermaßen die Grundlage für alle Stufen der Leiter, da sie den grünen Wasserstoff erzeugen, der dann entweder direkt genutzt oder zu anderen Energieträgern weiterverarbeitet wird. Die Effizienzunterschiede zwischen alkalischer, PEM-, AEM- oder Hochtemperatur-Elektrolyse spielen dabei natürlich auch eine Rolle für die Gesamteffizienz.
Sie haben das Konzept wiederholt kritisiert. Was genau stört Sie daran?
Diese „Wasserstoffleiter” wird aus meiner Sicht hauptsächlich dazu benutzt, die Community der Klimaschützer zu spalten. Wir erleben dadurch eine echte Trennung – auf der einen Seite die „All Electric”-Fraktion, auf der anderen die Befürworter von E-Fuels und Wasserstoff. Deshalb halte ich das Konzept für absolut sinnfrei und nicht zielführend. Wir sollten uns stattdessen an der Realität orientieren und darauf konzentrieren, was tatsächlich zum Klimaschutz beiträgt, statt uns in theoretischen Details zu verlieren. Effizienz ist zwar wichtig, aber sie ist nur eine Seite der Medaille.
Was ist denn wichtiger als die Energieeffizienz?
Nun, was nutzt uns die effizienteste Lösung, wenn sie niemand umsetzt? Seien wir realistisch: In der Wärmeversorgung und im Verkehr werden wir weiterhin Energieträger brauchen, die auf Molekülen basieren, genau wie in der Stromversorgung. Dass irgendwann alles nur noch mit reinen Elektronen funktioniert, daran glaube ich persönlich nicht. Es ist immer ein „sowohl als auch” – wir brauchen Elektronen und Moleküle. Daher sollten wir diese sinnlose Debatte um die Wasserstoffleiter endlich beenden.