Showstopper bei der Elektrolyse
Was sind aktuelle Showstopper für den Wasserstoffhochlauf?
Wir haben leider eine ganze Menge, und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Beginnen wir bei der Erzeugung: Es gab die IPCEI-Förderbescheide mit 19 Milliarden Euro öffentlichen Geldern und 25 Milliarden Euro Privatkapital. Aber allein die Prüfung hat 2-3 Jahre gedauert. Die Folge davon: Viele private Investoren, die das Geld einbringen sollten, sind inzwischen wieder abgesprungen. Hinzu kommt das Thema der gesicherten Leistung: Das Kraftwerkssicherungsgesetz kommt nicht mehr, wodurch uns Erzeugungskapazitäten fehlen, um die Dunkelflaute abzusichern und den Kohleausstieg zu gewährleisten.
Wie sieht es beim Neubau von Elektrolyseanlagen aus?
Hier stört vor allem der Baukostenzuschuss. Wenn jemand in Deutschland Elektrolyseure an einem neuen Standort errichtet und dabei nicht auf einem Brownfield-Gelände arbeitet, muss er neben den regulären Netzanschlusskosten auch noch den nachgelagerten Netzausbau mitfinanzieren. Das geht ins Geld: Bei einem Gigawatt Elektrolysekapazität können bis zu 100 Millionen Euro nur für diesen Baukostenzuschuss anfallen. Dieser Zuschuss ist völlig kontraproduktiv, besonders wenn die Elektrolyse systemdienlich eingesetzt wird – also Netze entlastet, die sonst zu viel Wind- und Solarenergie befördern müssten. In solchen Fällen kann die Elektrolyse ja überschüssigen Strom aufnehmen, die Strompreise stabilisieren und die Redispatch-Kosten senken, die mittlerweile jährlich in Milliardenhöhe anfallen.
Ließen sich die Kosten für den Netzausbau irgendwie einsparen?
Ja, und zwar indem man Elektrolyseure gezielt im netztechnischen Norden platziert. Die Einsparungen bei den jährlichen Redispatch-Kosten lägen dann in der gleichen Größenordnung wie der einmalige Baukostenzuschuss. Deshalb habe ich im Nationalen Wasserstoffrat ein Sondervotum dazu verfasst und unterstütze die Position der fünf norddeutschen Bundesländer: Systemdienliche Elektrolyseure sollten von der Zahlung dieses Zuschusses befreit werden.
Showstopper im Infrastruktur-Sektor
Welche Showstopper sehen Sie im Bereich der Infrastruktur für Transport und Speicher?
Bei der Infrastruktur gibt es zunächst ein positives Signal. Das geplante Kernnetz ist genehmigt. Die Finanzierung ist jetzt geregelt – aber existieren tut das Netz freilich immer noch nicht. Und ob es rentabel sein wird, hängt von zwei entscheidenden Faktoren ab: Wird vorne ausreichend Wasserstoff eingespeist, und wird hinten genug abgenommen?
Für die Einspeisung wollte die Bundesregierung ja auf Importe aus dem Ausland setzen, bis inländische Elektrolysekapazitäten installiert sind.
Stimmt, aber auch da gibt es Hindernisse. Der offensichtlichste Showstopper ist hier natürlich der Preis und die Wirtschaftlichkeit. Viele bislang geplante Pipeline-Projekte, zum Beispiel nach Dänemark und Norwegen, wurden entweder abgesagt oder auf die lange Bank geschoben
Vermutlich, weil die künftigen Wasserstoff-Abnehmer größtenteils genauso wenig feststehen wie die Produzenten.
Richtig. Das vergrößert die Planungsunsicherheit. Der wichtigste Abnehmer soll der Industriesektor sein, aber der liegt derzeit weitgehend darnieder. Wie will man eine Industrie transformieren, die kaum Finanzkraft hat? Die Zahlungsbereitschaft ist doch nachvollziehbarerweise sehr gering – die Unternehmen sind schon froh, wenn sie fossiler Energie überleben können. Das gilt insbesondere für die Stahl- und Chemiebranche – also ausgerechnet die Kernabnehmer innerhalb des Industriesektors.
THG-Quotenhandel
Für den Chemie- bzw. Raffineriesektor sollte u.a. deswegen ein spezielles Instrument den Umstieg auf Wasserstoff gewährleiste: Der THG-Quotenhandel.
Ja, und deshalb ist die Situation hier ein besonders dramatischer Showstopper. Es gab Raffinerien, die ihre THG-Quote durch eigene Elektrolyseure und grünen Wasserstoff erfüllen wollten. Das hätte auch den Verkehrssektor mit Wasserstoff für Brennstoffzellenfahrzeuge versorgt. Aber durch die große Unsicherheit, die auch durch die extrem strengen RED-Kriterien [Renewable Energy Directive] verursacht wurden, sind jetzt reihenweise Firmen pleitegegangen – wie zum Beispiel Landwärme und HH2E Lubmin, ein großer Wasserstofferzeuger im Norden. Hinzu kommt das Thema der gesicherten Leistung: Das Kraftwerkssicherungsgesetz kommt nicht mehr, wodurch uns Erzeugungskapazitäten fehlen, um die Dunkelflaute abzusichern und den Kohleausstieg zu gewährleisten.
Wie kommt es zu diesen Showstoppern?
Ich glaube, dahinter steckt letztlich Angst. Bei den RED-Kriterien befürchtet der Gesetzgeber zum Beispiel, dass der erneuerbare Strom nicht zuerst in die Elektrifizierung, also in Elektroautos und Wärmepumpen, sondern in die H2-Produktion fließen könnte. Dort wäre er dann nicht mehr kontrollierbar. Aus dieser Angst heraus hat man extrem strenge Kriterien angesetzt: Die Wasserstoffproduktion muss zeitlich wie räumlich mit der Stromerzeugung korrelieren, zudem muss die Stromerzeugung ‘zusätzlich’ sein, also speziell für die H2-Produktion aufgebaut werden. Das macht alles wahnsinnig teuer und schafft ein bürokratisches Monster. Wir haben wissenschaftliche Untersuchungen dazu gemacht: Derart strenge Anforderungen können durchaus die lokale Erzeugung fördern. Aber das funktioniert erst, wenn das System eingespielt ist, nicht in der Hochlaufphase.
In vergangenen Folgen haben Sie auch oft “ideologische” Gründe für die Verlangsamung des Hochlaufs genannt.
Genau. Nehmen wir das Beispiel synthetisches Erdgas (SNG) oder Biomethan: Robert Habeck wollte beides in den Klimaschutzverträgen nicht fördern. Die Begründung war, es sei nicht effizient und zu teuer. Das stimmt aber nur, wenn man das CO2 aus der Luft gewinnt – nicht bei CO2 aus industriellen Quellen oder Biogas. Wie kann ein grünes Ministerium blauen Wasserstoff aus Erdgas fördern, aber grüne Gase aus erneuerbaren Quellen ablehnen? Das ist nicht nachvollziehbar. Der Gipfel ist, dass in der zweiten Runde der Klimaschutzverträge noch ein Paragraph im Entwurf steht, der grüne Gase mit fossilem Erdgas gleichsetzt. Man spricht grünem Gas wie Biomethan oder synthetischem Methan also die Klimaschutzwirkung ab. Das lässt sich wissenschaftlich leicht widerlegen – Studien zeigen, dass wir damit 80-90% der Treibhausgasemissionen einsparen könnten. Diese Haltung kann man also nur ideologisch begründen.
Zukunftsaussichten
Welche Lösungen wären sinnvoller und wie schätzen Sie die Zukunft ein?
Die Lösung ist: Lasst es uns einfach machen statt kompliziert. Schauen Sie in die USA – warum funktioniert der Inflation Reduction Act (IRA) dort viel besser? Weil er simpel ist, jeder ihn versteht und erklären kann. Man braucht nicht gleich fünf Juristen, wenn man etwas vertraglich regeln will.
Aber zu der regulatorisch-juristischen Komplexität kommt ja nach wie vor das finanzielle Problem hinzu.
Der größte Showstopper ist in der Tat die finanzielle Unsicherheit. Aber wie will man Investoren gewinnen, wenn sich die Regulierung ständig ändert? Wenn Regierungen wechseln, wenn es technische Unsicherheiten gibt – etwa bei der Degradation von Elektrolyseuren über längere Zeit? Wenn das Wasserstoffkernnetz zwar finanziert ist, aber unklar ist, ob es wirklich gefüllt wird? Für Kapitalgeber ist das alles schlichtweg unattraktiv. Ein pragmatischer Ansatz wäre, erstmal auf regionale Wertschöpfung zu schauen. Es gibt ja bereits grünen Wasserstoff im Markt, wenn auch in sehr kleinen Mengen. Das funktioniert immer dann gut, wenn zum Beispiel eine Kommune für die nächsten 15 Jahre festlegt: Unsere Schulbusse fahren mit Wasserstoff. Dann hat man eine fixe Abnahme, einen fixen Preis in der Erzeugung – und schon ist ein Business Case entstanden.
An Showstoppern mangelt es dem Wasserstoffhochlauf also nicht. Gibt es neben dem Aufbau lokaler H2-Cluster weitere Hoffnungsschimmer?
Bei der Technik haben wir zum Beispiel wenig Showstopper. Dabei beobachte ich, dass China sich von der PEM-Technologie wegbewegt und auf alkalische Elektrolyse setzt. Dort hat man weniger Probleme mit seltenen Erden und kann die Kosten daher stark skalieren. Es gibt bereits 10-Megawatt-Systeme ‘off the shelf’ für 400 Euro pro Kilowatt – ein Drittel dessen, was deutsche Hersteller aufrufen. Insgesamt sieht es global durchaus positiv aus: Weltweit haben wir etwa 1.600 Projekte in der Pipeline. Was mich besonders hoffnungsvoll stimmt: 230 davon haben jetzt jetzt eine Final Investment Decision (FID). Das ist die magische Größe, auch wenn es nach einer FID noch vier bis fünf Jahre bis zur Umsetzung dauert. Ich bin zuversichtlich, dass der Hochlauf kommt – vielleicht nicht so schnell in Deutschland, aber global findet er statt. Die Energiewende mit Wind und Sonne ist ohnehin nicht mehr aufzuhalten. Sie ist keine Frage der Politik mehr, sondern simpler Wirtschaftlichkeit.
Blicken wir zum Abschluss auf zwei aktuelle politische Entwicklungen: Welche Auswirkungen könnten das Ampel-Aus und die zweite Amtszeit von Donald Trump auf den Wasserstoffhochlauf haben?
Das Ende der Ampel-Koalition bedeutet eine neue Regierung, und ich hoffe, dass damit mehr Pragmatismus und Realitätssinn statt Ideologie Einzug halten werden. Die Union, die voraussichtlich die nächste Bundesregierung führen wird, hat Wasserstoff sehr weit oben auf ihrer energiepolitischen Agenda – und das mit deutlich weniger ideologischen Vorbehalten. Wenn es dann noch zu einer Kombination mit Parteien kommt, die soziale und ökologische Ideen einbringen, könnte das eine sehr gute Mischung für den Wasserstoffhochlauf werden.
Was die USA angeht, mache ich mir trotz der Präsidentschaft Trumps weniger Sorgen. Auch wenn Trump sicherlich einiges ändern wird – etwa beim Pariser Klimaschutzabkommen oder bei der NATO – sehe ich energiepolitisch begrenzte Auswirkungen. Natürlich könnte durch verstärkte Öl- und Gasförderung die Preisdifferenz zu erneuerbarem Wasserstoff wieder größer werden. Aber die Energiewende selbst wird auch in den USA weitergehen, besonders bei Wind und Solar.