Verkehrswende
Herr Prof. Sterner, was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff Verkehrswende?
Ich unterteile die Verkehrswende in drei Bereiche: Mobilitätswende, Antriebswende und Kraftstoffwende. Die Mobilitätswende zielt darauf ab, Verkehr zu vermeiden oder zu verlagern, etwa vom Auto auf den Bus, um Staus zu reduzieren und Verkehrsabläufe zu verbessern. Die Antriebswende dreht sich – wie der Name schon sagt – um die Frage nach dem richtigen Antrieb: Verbrenner, Elektro oder doch lieber Brennstoffzelle? Last but not least behandelt die Kraftstoffwende die Diskussion, ob für den Betrieb eher Elektronen oder Moleküle zum Einsatz kommen sollten; mit anderen Worten: Wasserstoff, E-Fuels oder Biokraftstoffe.
Wirkungsgrade verschiedener Antriebs-Kraftstoff-Kombinationen

Wirkungsgrade verschiedener Antriebs-Kraftstoff-Kombinationen (© Sterner, FENES 2017)
Geade beim Pkw gibt es eine hitzige Debatte um den besten Antrieb. Was sind für Sie entscheidende Faktoren bei der Bewertung?
Beim Pkw liegt der Fokus oft auf dem Wirkungsgrad. Der Elektroantrieb ist hier unschlagbar: Wenn ich Solarstrom direkt in die Batterie leite, erreiche ich einen Wirkungsgrad von 70 bis 80 Prozent – und das selbst unter Berücksichtigung von Verlusten im Stromnetz und bei der Energiespeicherung. Bei einem wasserstoffbetriebenen Pkw mit einer Brennstoffzelle liegt der Wirkungsgrad bei 35 bis 40 Prozent, also etwa bei der Hälfte. Nutzt man einen Wasserstoff-Verbrenner, ist der Wirkungsgrad noch schlechter. Bei E-Fuels ist es extrem: Vom Solarstrom bleiben am Ende nur noch 12 bis 13 Prozent übrig.
Das klingt nach einem klaren Sieg für den Elektroantrieb. Warum gibt es dann überhaupt noch Diskussionen?
Der Wirkungsgrad ist nur ein Teil der Geschichte. Entscheidend ist auch, woher die Energie kommt und wie gut sie gespeichert werden kann. Nehmen wir Windkraft als Beispiel: In Deutschland kommt ein Windrad auf durchschnittlich 2.000 Vollstunden. In Chile, wo der Wind konstant weht, hat dasselbe Windrad rund 6.000 Vollstunden. Um dieses Potenzial zu nutzen, benötigt man Moleküle, da diese besser gespeichert und transportiert werden können – trotz Verlusten. Mit Wasserstoff oder E-Fuels lässt sich der schlechte Wirkungsgrad relativieren, weil ich Potenziale nutze, die sonst ungenutzt blieben. Der Elektroantrieb kann also auch von Nachteil sein, da ich auf den regional begrenzten Strom angewiesen bin.
Inwiefern beeinflusst die Infrastruktur die Wahl des Antriebs?
Die Infrastruktur ist entscheidend. Schon vor 100 Jahren gab es Elektroautos, aber sie scheiterten an der Energiedichte der Batterien und fehlenden Lademöglichkeiten. Das ändert sich jetzt, auch wenn die Ladesituation herausfordernd bleibt. Beim Pkw sehe ich den Elektroantrieb als Sieger, auch weil der chinesische Markt bereits zu über 50 Prozent elektrisch ist.
Und wie sieht es bei Lkw aus? Hier gibt es ja ganz andere Anforderungen.
Genau, bei Lkws spielen Gewicht und Platz der Batterien eine große Rolle, ebenso wie eine schnelle Betankungszeit. Hier hat ein Wasserstoff-Antrieb klare Vorteile. Obwohl es Prototypen von Elektro-Lkws gibt, glaube ich nicht, dass diese sich für lange Strecken durchsetzen werden. Stellen Sie sich 70 Lkw an einem Rastplatz vor, die gleichzeitig laden – dafür bräuchte es den Stromanschluss einer Kleinstadt. Eine Wasserstoffinfrastruktur aufzubauen, dauert ähnlich lang, ist aber machbarer.
Es gab ja auch die Idee, Oberleitungen für Lkw aufzubauen. Warum hat sich das nicht durchgesetzt?
Oberleitungen zu verwenden, war eine charmante Idee: Wenn der Lkw nicht zur Schiene kommt, kommt die Leitung zur Straße. Auf dem Papier scheint es effizient, aber in der Praxis gab es viele Herausforderungen, sodass die Oberleitungen nach einer Testphase wieder abgebaut wurden.
Schauen wir auf Busse und Züge. Wie bewerten Sie die Entwicklung dort?
Bei Bussen ist das Rennen noch offen. Es gibt zwar die Tendenz zum Elektroantrieb, aber wasserstoffbetriebene Busse funktionieren auch sehr gut, gerade dort, wo bereits viele H₂-Tankstellen vorhanden sind. Vor einigen Jahren war ich überzeugt, dass die Wasserstofftechnologie bei Zügen besonders erfolgreich sein könnte. Aufgrund ihrer klar definierten Streckenführung und der vergleichsweise geringen Mehrkosten schienen die Voraussetzungen ideal zu sein. Bei den ersten Wasserstoffzügen gab es jedoch einige Schwierigkeiten, sodass diese teilweise wieder durch Dieselloks ersetzt wurden. Die Verwendung von Oberleitungen ist eigentlich die beste Option, allerdings dauert deren Bau oft Jahrzehnte.
Wie sieht es bei Arbeitsmaschinen oder Traktoren aus? Da scheint eine Elektrifizierung schwieriger bis unmöglich zu sein.
Richtig, alle Heavy-Duty-Anwendungen benötigen eine besonders hohe Energiedichte, die Elektroantriebe oftmals nicht liefern können. Für leichtere Arbeiten in der Landwirtschaft mögen sie noch ausreichen, aber nicht für Mähdrescher oder schwere Feldarbeit. Auch in der Landwirtschaft gab es Versuche mit Kabelleitungen, aber auch hier haben sie sich nicht durchgesetzt. Der Einsatz von Wasserstoff oder Ammoniak ist in der Landwirtschaft zu unpraktisch, deswegen dominieren hier E-Fuels und Biokraftstoffe.
Und wie sieht die Zukunft in der Luft- und Schifffahrt nach aus?
Kurze Fähren können elektrisch oder mit Wasserstoff betrieben werden. Bei Fahrten über die Weltmeere werden hingegen E-Fuels wie Methanol oder Ammoniak zum Einsatz kommen. Beim Flugzeug ist es eindeutig: Dort kommen wegen der langen Strecken nur synthetische oder Biokraftstoffe in Frage. Für Elektroflieger oder wasserstoffbetriebene Flugzeuge ist die Energiedichte zu gering und die entsprechende Infrastruktur fehlt. Elon Musks berühmten Satz „alles fliegt mit Batterien außer Raketen“ kann ich somit nicht unterschreiben.
Für wie realistisch halten Sie den „all electric” Ansatz?
Da Elektronen schwerer zu transportieren sind, ist die Elektromobilität vom regionalen Strom abhängig. Hinzu kommt, dass die Debatte übersieht, dass wir schon jetzt Benzin und Diesel nicht heimisch produzieren. In Zukunft werden diese dann durch einen globalen Wasserstoff- und E-Fuel-Handel ersetzt werden. Ich bin mir sicher, dass es eine Mischung aus Elektronen und Molekülen geben wird.
Mobilität als Treiber des H2-Hochlaufs
Kann der Mobilitätsbereich den Wasserstoffhochlauf wirklich vorantreiben?
Definitiv, die Nachfrageseite ist für den Hochlauf entscheidend. Die Hauptabnehmer für Wasserstoff werden die Industrie und der Mobilitätsbereich sein. Das Problem des Hochlaufs ist aktuell die fehlende Nachfrage – und diese wird im Mobilitätsbereich eher entstehen als in der Industrie.
Warum sehen Sie in der Industrie weniger Potenzial für den Anschub des Wasserstoffhochlaufs?
Die Stahlindustrie ist da ein gutes Beispiel: Sie hat Milliarden an Fördergeldern erhalten, doch konkrete Fortschritte sind ausgeblieben. Das liegt daran, dass die Zahlungsbereitschaft der Unternehmen fehlt. Sie warten auf günstigen Wasserstoff, doch dafür reichen die Subventionen allein nicht aus. Der Einsatz von Wasserstoff muss sich strukturell lohnen, damit er sich durchsetzt.
In welchem Industriesektor ist der Einsatz von Wasserstoff für Sie am sinnvollsten?
Der naheliegendste Einsatz ist in Raffinerien. Dort wird aktuell fossiler Wasserstoff für das Cracking und die Entschwefelung von Erdöl genutzt, um dieses zu Benzin oder Diesel weiterzuverarbeiten. Wenn wir diesen grauen Wasserstoff durch grünen ersetzen, sparen wir mindestens 5 Prozent an CO₂-Emissionen.
Von welchen Mengen reden wir?
In Deutschland fließen etwa 620 Terawattstunden (TWh) Kraftstoff in den Straßenverkehr. Wenn wir davon 5 Prozent grün machen, wären das 30 TWh. Das ist ohne große Umstellungen umsetzbar und schon eine ganze Menge. Zur Einordnung: Wir haben in Norddeutschland 10 TWh erneuerbaren Strom einfach „weggeworfen”, den wir über die Elektrolyse in Wasserstoff hätten umwandeln können. Das ist eine Größenordnung, die den Klimaschutz spürbar voranbringt.
Wie realistisch ist dieser Wasserstoffeinsatz?
Dass diese Idee realistisch ist, zeigt das IPCEI-Projekt in Lingen: Dort will RWE 300 MW grünen Wasserstoff produzieren, der dann über das Kernnetz nach Leuna in die Total-Raffinerie transportiert wird, um dort grauen Wasserstoff zu ersetzen.
Durchbruch der Wasserstoff-Mobilität
Was verhindert aktuell noch den Durchbruch der Wasserstoff-Mobilität?
Ganz klar die Regulatorik. Denn ohne klare Rahmenbedingungen fehlt die Planungssicherheit. Die Unternehmen brauchen jedoch die Zuverlässigkeit, damit jemand das Risiko trägt – sonst investiert niemand.
Können Sie einen Fall nennen, bei dem die Regulatorik den Markthochlauf konkret blockiert?
Ja, zum Beispiel beim Thema E-Fuels. Die EU verlangt bei RFNBOs, dass diese aus Ländern mit einem CO₂-Handelssystem kommen – das gibt es aber nur in der EU, in Großbritannien und der Schweiz. Dadurch werden Importe aus den USA, Südamerika, Asien oder Afrika unmöglich.
Das klingt nach einem Problem für E-Fuels. Wie sieht das beim Thema Wasserstoff selbst aus?
Auch hier gibt’s Bremsen. Die Vorgaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) waren extrem streng: Die Wasserstoffproduktion aus erneuerbarem Strom muss zeitlich und räumlich korrelieren. Das macht das grüne Gas teurer und unwirtschaftlich.
Gibt es einen pragmatischeren Ansatz, den Sie vorschlagen würden?
Ja, weniger Bürokratie. Wenn ein Land über 90 Prozent erneuerbaren Strom hat – wie beispielsweise Dänemark – sollten Nachweise wegfallen. Würden wir diese Schwelle auf 80, 70 oder sogar 60 Prozent senken, wäre ein Land wie Neuseeland sofort Exportnation für Wasserstoff. Das haben wir in einer aktuellen Studie untersucht. Dieser Ansatz würde die Versorgungsseite enorm entlasten und den Export ankurbeln.
Wie sehen Sie die Finanzierung dieses Durchbruchs?
Meine große Hoffnung liegt bei den 100 Milliarden für Klimaschutz. Ein Teil muss in die Wasserstoffmobilität fließen. Sie ist ein unverzichtbarer Baustein für Klimaneutralität – ohne Wasserstoff und E-Fuels schaffen wir das nicht.