21. Juni 2024 | Das 2022 gegründete Start-up Greenlyte Carbon Technologies arbeitet an einer Technologie, die drei Gase auf einmal erzeugt: reinen Wasserstoff, reines CO2 und reinen Sauerstoff. Zugleich kann sie CO2 ohne zusätzliche Energiequelle aus der Luft abscheiden. Wie das funktioniert und warum CO2 der neue Wasserstoff sein könnte, erklärt Mitgründer und CEO Florian Hildebrand im Interview.
H₂News: Herr Hildebrand, ihre Technologie verbindet Direct Air Capture (DAC) mit der Produktion von grünem Wasserstoff. Wie kam es zu dieser Kombination?
Florian Hildebrand: Wir kombinieren in gewisser Weise das Beste aus beiden Welten. Die CO₂-Abscheidung benötigt keinen Strom, bereitet aber die Elektrolyse vor. So kann diese gestartet werden, sobald erneuerbare Energie vorliegt. Die Herausforderung beim DAC ist, dass es sehr energieaufwendig sein kann, da CO₂ in der Umgebungsluft einen Anteil von nur rund 0,04 % bzw. 420 ppm besitzt. Für ein Unternehmen stellt sich daher zuerst die Frage, wie sich die für das DAC-benötigte Energiemenge senken lässt. Die zweite große Frage ist, wo die benötigte Energiemenge herkommt.
H₂News: Wie genau antwortet Ihre Technologie auf diese Fragen?
Hildebrand: In einem ersten Schritt wird eine Flüssigkeit in die Anlage eingeführt. Wenn sie mit der Umgebungsluft in Kontakt kommt, lösen sich daraus die CO₂-Moleküle und gehen in die Flüssigkeit über. Dort reagieren die sie dann weiter und verfestigen sich. Ab einer bestimmten Konzentration setzt sich dann ein hochkonzentriertes CO₂-Salz am Grund des Behälters ab. So reinigt sich die Flüssigkeit in dem Behälter quasi selbst von dem aufgenommenen CO₂. Der große Vorteil: Dieser Prozess benötigt an sich keine Energie; das heißt, er kann Tag und Nacht automatisch laufen.
H₂News: Was geschieht anschließend mit dem Salz?
Hildebrand: Das Salz verwenden wir dann als Elektrolyt für die Elektrolyse, quasi anstelle der Kalilauge, die sonst bei einer Alkali-Elektrolyse zum Einsatz kommt. Sobald erneuerbare Energie zur Verfügung steht, wird das Salz in der Elektrolyse aufgespalten, wobei Wasserstoff und Sauerstoff entsteht. Dann kann der Prozess von vorne beginnen: Das Salz gibt das CO₂ wieder frei, sodass man es in hochreiner Form hinausleiten und auffangen kann. Will man es anschließend verpressen oder zu synthetischem Methan oder e-Fuels weiterverarbeiten, braucht man genau diesen reinen CO₂-Strom. Gleichzeitig regeneriert sich der Trägerstoff und kann zurückgeleitet und wieder zur Abscheidung von CO₂ aus der Luft genutzt werden. Dadurch ist das Verfahren insgesamt sehr energieeffizient. Der Prozess der Wasserstoffproduktion kann von der Absorption bzw. Generierung des Elektrolyts komplett entkoppelt werden. So lässt sich das System perfekt mit erneuerbaren Energien betreiben, wann immer diese zur Verfügung stehen.
H₂News: Wie ausgereift ist die Technologie derzeit?
Hildebrand: Ihr TRL (Technology Readiness Level) liegt bei ca. 5. Dr. Peter Behr, unser CSO, forscht seit 15 Jahren an dem Verfahren. Er hatte es im Labor schon relativ weit entwickelt. Im Oktober 2023 haben wir dann den ersten Greenlyte-Demonstrator mit 100 t Kapazität auf unserem Gelände installiert. Jetzt geht es darum, die Technologie noch kosteneffizienter zu gestalten, sie zu automatisieren und über einen längeren Zeitraum zu betreiben. Wir arbeiten dabei auf verschiedenen Skalen und entwickeln sowohl Anlagen mit niedrigeren Kapazitäten von rund 1 t als auch solche mit höheren Kapazitäten von bis zu 100 t.
H₂News: Wie effizient ist ihr Verfahren, wenn man nur die Produktion des Wasserstoffs betrachtet?
Hildebrand: Wir gehen von rund 50 kWh Strom pro kg Wasserstoff aus. Unsere Zielkosten liegen bei 3,50 € – 4 € pro Kilo, die restlichen Energiekosten rechnen wir auf das CO₂ um. Aber letztlich kann man das nicht voneinander trennen, da die Anlage eben beides erzeugt. Für die eine Anwendung hat das CO₂ einen höheren Wert, für die andere der Wasserstoff.
H₂News: Handelt es sich bei dem erzeugten Wasserstoff um „grünen“ Wasserstoff?
Hildebrand: Absolut, ja. Die Anlage produziert grünen Wasserstoff und grünes CO₂.
H₂News: Also ist die Anlage vor allem sinnvoll, wenn sie in Sektorenkopplungs-Projekte eingebettet ist, bei der beide Produkte Abnehmer finden.
Hildebrand: Auf jeden Fall. Ein Projekt, das unsere Technologie nutzt, muss von Anfang an gekoppelt gedacht werden. Dafür sind kurze Transportwege wichtig, wofür CO₂-Pipelines natürlich spannend wären. Man könnte die Anlage etwa an einem Stahlwerk installieren, das den Wasserstoff nutzt, und das reine CO₂ dann per Pipeline zu einem anderen Nutzer leiten, der damit e-Fuels oder synthetisches Methan produziert. Aktuell kann CO₂ in Deutschland aber weder transportiert noch gespeichert werden. Allerdings gibt es Netzbetreiber, die entsprechende Projekte vorantreiben. Der Gesetzgeber wird hier sicher früher oder später nachjustieren – die Frage ist nur, wann.
H₂News: Wie viele proof of concept-Projekte haben Sie geplant?
Hildebrand: Ich denke, dass wir mit Greenlyte ab 2026 drei bis fünf Piloten in verschiedenen Anwendungsbereichen auf dem Markt haben werden. Wir fokussieren uns dabei erstmal auf Projekte mit großer Strahlkraft. Bei einigen, wie der Kooperation mit dem kanadischen Projektierer Deep Sky, steht die CO₂-Abscheidung und Einspeicherung im Vordergrund; bei anderen – etwa zur Produktion von e-Fuels – die Wasserstoffproduktion. Wir gucken uns gerade verschiedenste Anwendungsfälle an. Es gibt auch solche, für die beide Produkte relevant sind, etwa die Herstellung von Trockeneis.
H₂News: Auch mit der Stauder-Brauerei in Essen gibt es eine Kooperation. Dort will man Ihr CO₂ zum Bierbrauen nutzen.
Hildebrand: Das stimmt. Das CO₂ muss aber erst komprimiert werden, bevor es in die Flaschen gefüllt werden kann. Wir haben dafür kürzlich einen großen Kompressor installiert und werden bald die ersten Ladungen an die Brauerei schicken. Es geht dabei natürlich nicht darum, Bier zu produzieren, sondern Use Cases zu schaffen, die sinnvoll sind, eine Geschichte erzählen und das Interesse an unserer Technologie wecken.
H₂News: Anfang des Jahres sind Sie bei dem Projekt Alpha One des kanadischen Unternehmens Deep Sky eingestiegen. Worum geht es da?
Hildebrand: Deep Sky entwickelt CCU- (Carbon Capture and Storage-)Projekte. Insgesamt wollen die beiden Gründer jährlich bis zu einer Gigatonne (Gt) CO₂ aus der Luft abscheiden und einspeichern. Sie werden unter anderem von der kanadischen Regierung gefördert. An dem Alpha One-Standort in Québec nutzen sie die geologischen Gegebenheiten zur Speicherung und prüfen, welche DAC-Verfahren dort am besten funktionieren. Dafür hatten sie sich rund 100 Unternehmen auf der ganzen Welt angeschaut und die zehn aussichtsreichsten ausgewählt. Greenlyte ist eines dieser Unternehmen und wir können bald mit den Tests vor Ort starten.
H₂News: Wie wichtig ist das Projekt für Sie?
Hildebrand: Sehr wichtig. Die Industrie ist noch relativ klein, und Alpha One ist international sicherlich eines der prestigereichsten Projekte. Wir fanden, dass wir mit Greenlyte dabei sein müssen. Zudem teilen wir die Vision des Unternehmens: Das Projekt verfolgt den Ansatz, einfach Investitionsmittel in die Hand zu nehmen und etwas aufzubauen. In Deutschland fehlt dieser unternehmerische Mut manchmal.
H₂News: Wie funktioniert das Geschäftsmodell – werden Unternehmen, die viel CO₂ emittieren, von Deep Sky CO₂-Zertifikate kaufen können, um ihre eigenen Emissionen zu kompensieren?
Hildebrand: Genau. DAC bedeutet erstmal nur, CO₂ aus der Luft abzutrennen. Es muss aber auch verpresst und gelagert werden. Deep Sky kauft unsere Technologie, um CO₂ aus der Luft zu saugen. Dann übernimmt ein anderes Unternehmen die Einspeicherung des CO₂ unter der Erde. Dafür gibt es Messverfahren und Standards, auch MAV (Measurement Reporting und Verification) genannt. Damit kann Deep Sky genau messen, wie viel CO₂ aus der Luft geholt wurde und dies bescheinigen und zertifizieren lassen. Diese Zertifikate verkauft es wiederum an Kunden, die dadurch ihre gesetzlichen Auflagen zur CO₂-Reduktion erfüllen können.
H₂News: Deep Sky monetarisiert also das Abscheiden von CO₂ aus der Atmosphäre – ein Prozess, der in der Natur nur sehr langsam
abläuft.
Hildebrand: Genau. Es gibt zwei natürliche CO₂-Kreisläufe: Einen, der kurzfristig und oberirdisch abläuft, etwa über Wälder und andere Pflanzen. Dann gibt es den unterirdischen, sehr langsamen CO₂-Kreislauf, bei dem Erdöl und andere fossile Stoffe entstehen. Unsere Emissionen übersteigen die Kapazitäten dieser beiden natürlichen Kreisläufe aber bei Weitem: Wir stoßen jährlich so viel CO₂ aus, wie die Erde in 1.000.000 Jahre abbauen kann.
H₂News: Deswegen gilt CO₂ als Bedrohung für die Umwelt, die Bezeichnung „grünes CO₂“ klingt zunächst paradox.
Hildebrand: Nun, rund 90 % aller chemischen Verbindungen enthalten Kohlenstoff. Wir sollten das Gas nicht verteufeln, denn die gesamte chemische Industrie ist kohlenstoffbasiert. „Grünes CO₂“ ist quasi alles, was oberirdisch produziert und wieder absorbiert wird. Daher haben e-Fuels auf pflanzlicher Basis oder Holz als Heizmittel auch eine gute CO₂-Bilanz – man gibt nur das CO₂ in den Kreislauf zurück, das vorher herausgeholt wurde. Problematisch wird es, wenn Menschen Kohlenstoff, den die Erde über Millionen Jahre gebunden hat, aus dem langfristigen unterirdischen Speicher holen und in den kurzfristigen oberirdischen Kreislauf pumpen.
H₂News: Wie viel DAC bräuchte es insgesamt, um den Klimawandel zu verlangsamen?
Hildebrand: Aktuellen Berechnungen zufolge stoßen wir heute knapp 46 Gt CO₂ pro Jahr aus. Diesen Ausstoß zu reduzieren, ist wichtig, aber ein bestimmter Rest wird immer übrigbleiben, etwa in der Müllverbrennung oder der chemischen Industrie. Zudem müssen wir nicht nur die jährlichen Neu-Emissionen aus der Luft holen, sondern auch die historischen Emissionen. Wissenschaftler glauben, dass wir mit DAC-Verfahren maximal in den Bereich von 8 bis 10 Gt CO₂-Abscheidung pro Jahr kommen könnten. Unsere Anlage schafft aktuell 100 t CO₂. Bei der weltweit größten Anlage sind es 4.000 t… es ist also noch ein weiter Weg.
H₂News: Umso wichtiger, dass immer mehr Unternehmen an dem Thema arbeiten. Wie kam es zur Gründung von Greenlyte Carbon Technologies?
Hildebrand: Über Umwege. Meine erste Firma habe ich in der Schule gegründet, 2017 kam eine Softwarefirma hinzu, die relativ stark wuchs und achtstellige Umsätze erzielte. Allerdings habe ich diese sukzessive verkauft und angefangen, in Start-ups zu investieren. 2022 fuhr ich durch das Land und besuchte viele Forschungsinstitute auf der Suche nach spannenden Technologien. An der Universität Duisburg-Essen habe ich dann unseren CSO Dr. Peter Behr kennengelernt und dessen Technologie erworben.
H₂News: Glauben Sie, dass es um die Abscheidung und Nutzung von CO₂ einen ähnlichen Hype geben könnte wie seit einigen Jahren um grünen Wasserstoff?
Hildebrand: Ja, ich glaube, am Ende ist CO₂ der neue Wasserstoff. Und meine Vermutung ist, dass die Industrien für diese beiden Moleküle insgesamt größer sein werden als die Erdölund Erdgasindustrie heute.