H₂News: Herr Hauser, was ist Trelleborgs Beitrag zur Wasserstoffwirtschaft?
Daniel Hauser: Wir designen und produzieren Dichtungselemente für alle Arten von H2-Anwendungen. Dabei greifen wir auf unser breit gefächertes Portfolio an qualifizierten Werkstoffen für die Anwendung mit Wasserstoff zu. In Elektrolyseuren kommen Dichtungselemente etwa zwischen Zellrahmen, Bipolarplatten und Membranen zum Einsatz. Dabei verstehen wir uns als Entwicklungspartner: Wir begleiten unsere Kunden von der ersten Produktidee über das Design und die Werkstoffentwicklung, die Realisierung von Funktionsprototypen bis hin zur Serienfertigung.
H₂News: Wie läuft so ein Entwicklungsprozess typischerweise ab?
Hauser: Kunden kommen häufig mit noch etwas unkonkreten Vorstellungen auf uns zu. Diese ‚Blackbox‘ an Anforderungen evaluieren wir in sehr enger Abstimmung im Detail, um daraus maßgeschneiderte Lösungen zu entwickeln und erste Funktionsprototypen zu realisieren. Diese werden dann – je nach Anwendung – entweder beim Kunden oder direkt bei Trelleborg an eigenen Wasserstoffprüfständen qualifiziert. Nach erfolgreicher Prüfung aller Funktions- und Qualitätsanforderungen startet die Serienfertigung.
H₂News: Welche Testkapazitäten haben Sie für Wasserstoff aufgebaut?
Hauser: Im Juni 2024 haben wir ein neues, spezielles Wasserstoff-Testzentrum an unserem US-amerikanischen Standort in Fort Wayne in Betrieb genommen. Die neue Einrichtung ist direkt an unsere dortige Produktion und R&D (Reserach & Development) angebunden, wo wir bereits über Prüfstände für Hydraulik und Gastechnik sowie ein Materiallabor verfügen. Mit der Investition unterstreichen wir, dass wir H2-Dichtungslösungen komplett inhouse entwickeln und qualifizieren können. Das ist ein echtes Differenzierungsmerkmal, denn am Markt gibt es insbesondere für Elastomere so gut wie keine detaillierten Prüfstandards für die jeweiligen H2-Anwendungen. Kunden orientieren sich häufig an Normen und Prüfanforderungen aus dem Oil & Gas Bereich (z.B. NORSOK Standards), diese sind jedoch nicht ausreichend und maximal als Orientierung zu interpretieren. So sahen wir die Notwendigkeit eigene Prüfkapazitäten und -standards rein für H2-Lösungen zu etablieren, um Kunden einen echten Mehrwert zu bieten.
H₂News: Auf welche H2-Technologien haben Sie sich spezialisiert?
Hauser: Wir verfolgen einen technologieoffenen Ansatz, da praktisch jedes H2-System Dichtungen benötigt und bieten Lösungen für Produktion, Transport und Speicherung sowie Endnutzung von Wasserstoff. Unser Fokus liegt dabei auf Niedertemperatur-Elektrolyse-Technologien – sprich alkalische Elektrolyse (AEL), Elektrolyse mit Proton-Exchange-Membran (PEM) oder mit Anionen-Exchange-Membran (AEM) – und Kompressoren und Nieder- und Hochdruckventiltechnik für zum Beispiel Betankungssysteme für die Mobilität.
H₂News: Wie hat sich die Nachfrage nach H2-Dichtungen in den letzten Jahren entwickelt?
Hauser: Bisher war Wasserstoff ein klassisches Entwicklungsthema. Wir erhielten regelmäßig Anfragen von Universitäten, Start-ups und Forschungsinstituten. Einen Business Case mit Stückzahlen von mehreren Tausend pro Jahr blieb bis dahin jedoch aus. Das ändert sich gerade grundlegend: In den letzten drei Jahren kommen sehr viele Industriekunden gezielt auf uns zu, die nicht ausschließlich Prototypen suchen, sondern mit uns serientaugliche Lösungen entwickeln und realisieren.
H₂News: Welche strategische Bedeutung hat das H2-Segment also heute für Ihr Unternehmen?
Hauser: Es ist ein klar definiertes Wachstumsfeld. Seit dem strategischen Einstieg im Jahr 2021 haben wir systematisch Anwendungs-Expertise aufgebaut – durch gezielte Marktanalysen und enge Partnerschaften mit Pilotkunden, etwa im Bereich der alkalischen und PEM-Elektrolyse. Die Einrichtung einer ‘Global Lead Group Hydrogen’ am Standort Stuttgart im April 2024 war dann die logische Konsequenz. Unser Team aus Entwicklungs- und Projektingenieuren steuert heute die technische und strategische Entwicklung des gesamten H2-Geschäfts von Trelleborg.
H₂News: Wie bewerten Sie die Kritik an der Effizienz von Wasserstoff-Systemen?
Hauser: Die Umwandlung von Strom in Wasserstoff ist in der Tat mit signifikanten Energieverlusten verbunden. Diese relativieren sich aber, wenn überschüssiger erneuerbarer Strom genutzt wird, der sonst abgeregelt werden müsste – im Vordergrund steht die Energiespeicherung. Entscheidend ist dann, die weiteren Verluste entlang der Wertschöpfungskette zu minimieren. Genau hier spielen hochwertige Dichtungssysteme ihre Stärke aus: Sie reduzieren den ungewollten H2-Austritt auf ein Minimum und maximieren so die Energieeffizienz, also den Wirkungsgrad. Zudem sehen wir die realistische Chance erneuerbare Energien global umfangreich auszubauen und je nach Region hohe Überschüsse zu generieren, welche dann ebenfalls zur Herstellung von grünem Wasserstoff verwendet werden.
H₂News: Welche Arten von Wasserstoff-Verlusten gibt es denn, technisch gesehen?
Hauser: Man spricht von sogenannten “fugitive emissions” – also die unbeabsichtigte Freisetzung von Gasen oder Dämpfen in die Atmosphäre, vor allem bei industriellen Prozessen. Wir unterscheiden hier zwei Phänomene: zum einen die Permeation, zum anderen die Grenzflächenleckagen an den Dichtflächen. Diese Leckagen entstehen überall dort, wo eine Dichtung sitzt – etwa durch Oberflächenrauheiten oder mangelnde Abstimmung mit der Gegenlauffläche. Die Dimension wird klar, wenn man sich vor Augen führt, dass allein ein Elektrolyseur eine Vielzahl von Ventilen besitzt, im sogenannten BoP (Balance of Plant). Hinzu kommen Kompressoren, Tanksysteme und weitere Komponenten. An jeder dieser Stellen kann Wasserstoff entweichen. Unsere Dichtungen sorgen also für hohe Sicherheit bei geringsten Leckagewerten.
H₂News: Und was hat es demgegenüber mit der Permeation auf sich?
Hauser: Permeation ist ein physikalischer Effekt, den jedes Dichtungsmaterial aufweist. Gase diffundieren unter Druck in den Werkstoff hinein und können auch hindurchgehen. Wasserstoff ist dabei aufgrund seiner kleinen Molekülgröße besonders kritisch. Entscheidend ist die richtige Werkstoffauswahl: Ein Silikon hat eine deutlich höhere Durchlässigkeit als ein guter Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk (EPDM) oder Polyurethan (PU)-Material. Wir haben für unsere Fokus-Werkstoffe H2-Permeationskurven bei verschiedenen Temperaturen und Drücken erstellt und nutzen sie für all unsere Projekte. Allerdings sind die Permeationsraten im Vergleich zu den Grenzflächenleckagen eher gering und meist weniger kritisch zu bewerten.
H₂News: Lässt sich die Größenordnung dieser Verluste beziffern?
Hauser: Aus dem Oil & Gas-Bereich wissen wir, dass die Verluste durch schlechte Abdichtung bis zu 15 Prozent betragen können. Entlang der ganzen Wertschöpfungskette wurden bei gasförmigem Wasserstoff Verluste von etwa 4 Prozent ermittelt, bei Flüssigwasserstoff sogar bis zu 20 Prozent. Das zeigt, wie wichtig die Dichtungstechnik ist. Besonders wichtig sind gute Dichtungen bei extremen Temperaturen. Wasserstoff-Betankungsanlagen müssen zum Beispiel in einem Bereich von -40 bis +85 °C funktionieren.
H₂News: Wie streng sind die Vorgaben für maximale Leckageraten?
Hauser: Der Standard für Betankungsanlagen schreibt eine maximale Leckagerate von 10-3 mbar*l/s vor. Viele Kunden gehen aber schon darüber hinaus und fordern noch geringere Leckageraten. Solche Werte erreichen wir durch hochpräzises Engineering, insbesondere bei den Gegenlaufflächen. Eine derart optimierte High-End-Dichtung kann zwar teurer sein wie eine Standardlösung, für den Kunden rechnet sich die Investition aber durch niedrigere TCO (total cost of ownership) und die Gewissheit, auch künftige Grenzwerte sicher einzuhalten.
H₂News: Trelleborg kommt ursprünglich aus der Kunststoff- und Gummifertigung. Wie gut eignen sich diese Materialien für Wasserstoff-Anwendungen?
Hauser: Kurz gesagt: Ausgezeichnet. Ein großer Vorteil ist, dass Wasserstoffgas die meisten unserer getesteten Werkstoffe chemisch nicht angreift. Wir haben das ausgiebig getestet, zum Teil mit Wasserstoff-Drücken von über 1000 bar und Temperaturen von -60 bis +200 °C. Dabei zeigte sich: Polymere sind sehr widerstandsfähig – anders als bei Metallen müssen wir uns bei richtiger Werkstoffauswahl keine Sorgen um Wasserstoffversprödung machen.
H₂News: Zudem dürften Kunststoffe deutlich günstiger sein als Metalle?
Hauser: Korrekt. Gerade EPDM-Werkstoffe, die wir etwa im Trinkwasserbereich einsetzen, sind preislich sehr attraktiv. Selbst bei High-End-Anwendungen wie Kompressordichtungen mit speziellen Kolbenringen und Spezialdichtungen sind wir gegenüber metallischen Lösungen konkurrenzfähig. Und bei großen Zellrahmen haben Kunststoffe einen weiteren Vorteil: Anders als Metalle können sie gezielt als elektrisch isolierende Bauteile eingesetzt werden – was an bestimmten Stellen im Elektrolyseur-Stack notwendig ist.
H₂News: Welche Anwendungsfelder würden Sie neben der Elektrolyse hervorheben?
Hauser: Ein weiteres, wichtiges Segment sind Kompressoren. Vor allem solche, die Wasserstoff auf bis zu 1000 bar verdichten, stellen eine enorme technische Challenge dar: Je höher der Druck, desto aufwendiger das Dichtsystem. Wir haben aber schon Lösungen dafür entwickelt und in realen Anwendungen erfolgreich erprobt. Ein weiteres Wachstumsfeld ist das Handling von Flüssigwasserstoff (Liquid Hydrogen LH2). Auch LH2 ist technisch enorm anspruchsvoll: Bei einer Temperatur von -253 °C können Elastomere nicht mehr verwendet werden. Daher kommen hier High-Performance-Kunststoffe (HPP) und Metallwerkstoffe zum Einsatz. Im Bereich der HPP-Werkstoffe haben wir eine Technologiepartnerschaft mit einer bekannten Firmengruppe, welche auf Hochleistungskunststoffe spezialisiert ist, ins Leben gerufen.
H₂News: Können Sie mehr zu dieser Partnerschaft sagen?
Hauser: Unser Technologiepartner fokussiert sich auf High-Performance-Kunststoffe. Wir sind dagegen stärker im Elastomer-Bereich und beim grundlegenden Dichtungsdesign. Wir kooperieren also überall dort, wo Elastomere oder andere Dichtungswerkstoffe mit Kunststoffkomponenten zusammentreffen. Da sich die Kollegen und wir uns oft bei Projekten begegneten, war die Synergie einfach offensichtlich. Gerade im Wasserstoffbereich, wo oft verschiedene Werkstoffgruppen kombiniert werden müssen, machen solche Technologiepartnerschaften grundsätzlich Sinn, um gemeinsam voranzukommen und den Markt mit geballter Expertise zu befähigen. Es ist uns wichtig, dass die Entscheidung unseren Kunden obliegt, mit oder ohne unserem Technologiepartner zu agieren – so verstehen wir eine offene Technologiepartnerschaft.
H₂News: Auch für Ihre Kunden ist die Wasserstoff-Welt sicherlich noch manchmal Neuland.
Hauser: Genau. Wir haben uns daher über die letzten Jahre eine breite Wasserstoff-Kompetenz aufgebaut – teilweise auch detaillierter als unserer Kunden und breiter über viele verschiedene Anwendungen innerhalb der H2-Wertschöpfungskette. Dadurch können wir vor allem Bestandskunden auch beratend zur Seite stehen, zum Beispiel zur Evaluierung des eigenen Business Cases mit Faktenwissen zur Wertschöpfungskette und der Marktsituation sowie zu den technischen Herausforderungen. All diese Erfahrungen sind in unsere strategische Wasserstoff-Roadmap eingeflossen.
H₂News: Wie schätzen Sie die Zukunft der Wasserstoffwirtschaft ein?
Hauser: Wasserstoff ist definitiv eine notwenige Transformationstechnologie. Entscheidend wird sein, dass sich global immer mehr Firmen und auch Staaten ehrlich zu einer Reduktion ihrer Emissionen verpflichten und bereit sind, dafür Geld zu investieren. Jedoch muss es finanziell attraktiv werden, aktiv Emissionen zu reduzieren und auf innovative Technologien zu wechseln. Wir benötigen mehr realistische Business Cases zur Herstellung und Anwendung von grünem Wasserstoff, z.B. als Alternative im Bereich der Dieselmotoren in Schwerlastmaschinen. Allerdings braucht diese Umstellung ihre Zeit. Im Idealfall wird man in zehn bis 20 Jahren sagen können, dass in unserer Zeit die entscheidende Wende eingeläutet wurde.
H₂News: Herr Hauser, vielen Dank für das Gespräch!
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