07. Mai 2024 | Das Start-up GreenTrax unterstützt seine Kunden beim Treibhausgasminderungs-Quotenhandel. Als einer der ersten Anbieter fokussierte es sich auf Ladestrom. Derzeit baut das Unternehmen sein Portfolio aus, um auch grünen Wasserstoff und dessen Derivate (RFNBO) einzubeziehen. Eine neue Verordnung ermöglicht ab Juli 2024 die Anrechnung auf die THG-Quote. Welche Chancen und Herausforderungen das bietet, wie der THG-Quotenhandel funktioniert und warum er für den Wasserstoffhochlauf entscheidend sein könnte, erklärt GreenTrax-Wasserstoffexperte David Pflegler im Interview.
H₂News: Herr Pflegler, beginnen wir mit einer wichtigen Grundlage der Arbeit von Greentrax. Was genau ist die THG-Quote?
David Pflegler: Die THG-Quote ist ein gesetzlich normiertes, marktbasiertes Klimaschutz-Instrument. Es zielt darauf ab, mehr erneuerbare Energien in den Verkehrssektor einzubringen. Je besser die Treibhausgas-Bilanz eines Kraftstoffs, desto mehr lässt sich über die THG-Quote erlösen.
H₂News: Wer muss die Quote zahlen?
Pflegler: Unternehmen, die mindestens 5.000 l fossilen Kraftstoff pro Jahr in den Verkehr bringen. Konkret müssen diese Unternehmen jährlich einen bestimmten Prozentsatz ihrer CO₂-Emissionen kompensieren. Für diese Kompensation gibt es mehrere sogenannter Erfüllungsoptionen, etwa die Beimischung von Biokraftstoff zu ihrem fossilen Diesel oder Benzin. Diese Regelung war der Grund für die Einführung von Biokraftstoffen wie E5 und E10, die derzeit den größten Anteil des THG Quoten-Marktes ausmachen. Eine weitere Erfüllungsoption ist aber auch die Nutzung von nachhaltigem Wasserstoff oder von Ladestrom
H₂News: Wie hoch ist die THG-Quote aktuell?
Pflegler: In diesem Jahr liegt sie bei mindestens 9,25 %. Unternehmen müssen also 9,25 % ihrer Gesamtemissionen kompensieren. Das sind oft mehrere zehn- oder hunderttausend Tonnen CO₂! Der Prozentsatz wird jedes Jahr weiter ansteigen; bis 2030 soll er bei 25 % liegen. 2030 muss als o jede vierte Tonne CO₂ kompensiert werden.
H₂News: Und wie funktioniert der Handel?
Pflegler: Der eigentliche Quotenhandel läuft bilateral zwischen Quotendienstleistern wie GreenTrax und quotenverpflichteten Unternehmen ab. Die Verpflichtung, Treibhausgase zu mindern, wird damit auf uns als Dienstleister übertragen. Wir erfüllen diese Verpflichtung durch die beim Umweltbundesamt zertifizierten Ladestrommengen unserer Kunden und übernehmen anschließend die Quotenanmeldung bei der Biokraftstoff-Quotenstelle und erhalten im Gegenzug eine Vergütung für jede Tonne CO2-Ersparnis, die wir an unsere Kunden weitergeben.
H₂News: Wo positioniert sich Ihr Unternehmen in diesem Markt?
Pflegler: Wir fungieren als Pooling-Dienstleister. Das heißt, dass wir Ladestrommengen aus verschiedenen Quellen bündeln. Wir prüfen diese Strommengen dann und lassen sie bei der zuständigen Behörde, dem Umweltbundesamt, zertifizieren. Den Quotenhandel bieten wir bald auch für grünen Wasserstoff an.
H₂News: Was genau ist also Ihr Produkt?
Pflegler: Wir bieten eine Software- Lösung an. GreenTrax ist unsere B2B-Marke, über die wir Großkunden oder Gewerbeflotten abdecken. Im Backend der Software wird die Ladestrommenge verarbeitet. Wir verarbeiten aber auch Fahrzeugscheine; das ist gerade für Privatkunden oder kleine Organisationen interessant. Unsere Zielgruppe ist daher sehr breit: Vom großen Backendbetreiber bis hin zum Fahrzeughalter, der nur ein E-Fahrzeug besitzt, ist alles dabei. Dazwischen finden sich Energieversorger, Stadtwerke und Flottenbetreiber.
H₂News: Wie viel Geld verdienen Ihre Kunden mit den THG-Quoten?
Pflegler: Als wir begonnen haben, konnte man etwa 3-4 ct/kWh erwirtschaften. Allerdings haben damals nur die Energieversorger als Stromlieferanten davon profitiert. 2022 gab es dann eine neue Regulatorik für Ladestrom. Diese hat den Markt förmlich zum Explodieren gebracht. Damals gab es dann auch deutlich höhere Marktpreise: Zwischenzeitlich erhielt man rund 200 €/MWh, also 20 ct/kWh, teilweise sogar mehr. Davon sind wir inzwischen weit entfernt, wir bewegen uns heute eher in einem Bereich von 4 bis 6 ct/kWh.
H₂News: Interessant. Was waren denn entscheidende Momente in der Entwicklung des Marktes?
Pfleger: Seit 2018 können auch Ladestrom und Wasserstoff für die Quote angerechnet werden. Seitdem wachst der Markt zumindest für Ladestrom sehr stark an. Die Novelle der 37. Bundes Immissionsschutz-Verordnung (BImSchV) vom 14. Marz 2024 sorgt jetzt dafür, dass auch Kraftstoffe wie grüner Wasserstoff und dessen Derivate in der Praxis hinzukommen. Allgemein spricht man hier auch von RFNBO (renewable fuels of non-biological origin), also erneuerbaren Kraftstoffen nicht biogenen Ursprungs.
H₂News: Wird grüner Wasserstoff genauso angerechnet wie Ladestrom?
Pflegler: Nicht direkt. Im Gegensatz zum Wasserstoff muss Ladestrom nicht zwingend grün sein. Hier greift der Durchschnitts- THG-Wert für den Netzstrom. Darin ist der Grünstrom mitberücksichtigt. Aus diesem Grund hat Ladestrom auch eine geringere „Minderungsmenge“ als Wasserstoff, der zwingend erneuerbar sein muss, um als RFNBO eingestuft zu werden. Die Minderungsmenge gibt an, wie viel CO₂ im Gegensatz zu einem fossilen Kraftstoff eingespart wird. Anders ausgedrückt spart 1 kWh Ladestrom deutlich weniger CO₂ ein als 1 kWh Wasserstoff. Wasserstoff soll aber ab Juli 2024 genau wie Ladestrom mit einem Faktor von drei anrechenbar sein.
H₂News: Was genau hat es mit der “dreifachen Anrechenbarkeit” auf sich?
Pflegler: Sie ist ein politischer Hebel, mit dem der Staat den Markthochlauf für Wasserstoff forcieren will. Ein Beispiel: Wenn ein Unternehmen mit der Nutzung von 1 kg Wasserstoff 10 kg CO₂ im Verkehrssektor einspart, darf es sich 30 kg CO₂-Ersparnis anrechnen lassen.
H₂News: Ist das Ihrer Einschätzung nach ein geeignetes Förderinstrument?
Pflegler: Wenn man sich anschaut, was potenziell für Preise abzurufen sind, definitiv. Auch wenn wir vom aktuellen, eher niedrigen Preisniveau von 130 € pro Tonne CO₂ ausgehen und wissen, dass wir für das Jahr 2024 maximal knapp 27 kg CO2-Ersparnis pro kg H2 erreichen können, kommen wir auf ca. 3,50 €, die ein Wasserstoffanbieter pro kg grünen Wasserstoffsallein durch die Quote verdienen kann. Hinzu kommen dann noch die Erlöse durch den eigentlichen Verkauf des Wasserstoffs.
H₂News: Wer genau profitiert denn von der Quote?
Pflegler: Das Förderprogramm war ursprünglich für Tankstellenbetreiber konzipiert. Man kann darüber streiten, wie sinnvoll das ist. Denn die Tankstellenbetreiber sind ja davon abhängig, dass ihnen überhaupt grüner Wasserstoff geliefert wird. In der Praxis werden sich natürlich die Quotenerlöse vom Tankstellenbetreiber aus auch nach hinten in die Wertschöpfungskette bis zum Produzenten verteilen. Der Produzent hat durch erforderliche Zertifizierungen seiner Anlagen, Nutzung von Zertifizierungs-Systemen und aufwändigere Strombeschaffung zusätzliche Kosten, die er sich durch den höherwertigen grünen Wasserstoff wieder reinholen kann.
H₂News: Also könnte Wasserstoffproduktion durch die THG-Quote rentabel werden?
Pflegler: Ja, denn der Erlös aus der Quote kann einen großen Teil der Produktionskosten decken. Diese liegen je nach Methode zwischen 6 und 10 € pro kg. Optimal wäre es natürlich, wenn sich der grüne Wasserstoff durch die Quote selbst tragen würde und man quasi kostenlos produzieren könnte, wobei der Verkaufserlös reiner Gewinn wäre.
H₂News: Die Quote stellt also einen Anreiz zur Wasserstoffproduktion für den Verkehrssektor dar.
Pflegler: Genau. Es gibt sogar schon Ansätze, Wasserstoff, der eigentlich nicht für den Verkehr vorgesehen war, in den Verkehr zu lenken, um Gewinn aus dem Quotenhandel zu erzielen. Die Voraussetzung dafür ist natürlich, dass es ausreichend Abnehmer für den grünen Wasserstoff gibt – also in erster Linie Betreiber von Bus- bzw. LKW-Flotten, die ihn zum Auftanken benötigen. Das ist der Bottleneck.
H₂News: Wie weit ist Greentrax aktuell mit dem Wasserstoffgeschäft?
Pflegler: Die im März verabschiedete BImschV soll ab Juli greifen. Bis es so weit ist, führen wir aktuell für unsere Kunden Projektberatung durch. Wir prüfen, wie der Wasserstoff produziert wird und ob die Kriterien, die zur Anrechenbarkeit notwendig sind, erfüllt werden.
H₂News: Welche sind das?
Pflegler: Viele betreffen den Strom, der zur Produktion des grünen Wasserstoffs genutzt wird, aber auch die THG-Intensität des Wasserstoffs, die wir projektspezifisch berechnen. Letzteres ist ein wichtiger Aspekt, da Wasserstoff oder dessen Derivate mindestens 70 % THG im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen einsparen müssen, andernfalls kann keine THG-Quote erlöst werden. Die Kriterien basieren auf den Erneuerbare Energien-Richtlinien II bzw. III und Delegierten Rechtsakten der EU (insb. EU 2023/1184 und 1185). Wir prüfen möglichst früh, im Idealfall noch vor der finalen Investitionsentscheidung, ob der künftig produzierte Wasserstoff quotenfähig sein wird. Wenn die Anlage dann produzieren kann, ist der nächste Schritt ihre Zertifizierung. Dafür gibt es verschiedene Zertifizierungsstellen, etwa den TÜV Süd oder die DEKRA. Erst nach der Zertifizierung einer Produktionsanlage kann der dort produzierte Wasserstoff für die THG-Quote vermarktet werden.
H₂News: Welches Zertifizierungsssystem gilt hier?
Pflegler: Es muss von der EU-Kommission anerkannt sein. Aktuell liegen der EU-Kommission mehrere Zertifizierungssysteme vor, die aber noch genehmigt werden müssen. Erst wenn die Kommission mindestens eines dieser Systeme anerkannt hat, können Stellen wie TÜV Süd Produktionsanlagen zertifizieren, sodass deren Betreiber mit dem Quotenhandel Einnahmen generieren können.#
H₂News: Ihr Unternehmen übernimmt also die Vorprüfung der Wasserstoffanlage eines Kunden und begleitet ihn dann durch den Zertifizierungsprozess. Was passiert anschließend?
Pflegler: Der dritte Schritt ist eben der Quotenhandel. Wir schließen für den Kunden einen Quotenhandelsvertrag mit einem Abnehmer ab und sorgen dafür, dass alle erforderlichen Nachhaltigkeits-Nachweise und Anträge für den Wasserstoff frist- und formgerecht beim Umweltbundesamt und beim Hauptzollamt eingereicht werden.
H₂News: Wieso beim Hauptzollamt?
Pflegler: Das Hauptzollamt prüft, ob quotenverpflichte Unternehmen ihre THG-Minderungsverpflichtungen erfüllen. Bei Verstößen kann es eine Strafe von 600 € pro Tonne CO₂ festsetzen. Deswegen haben die Unternehmen ein hohes Interesse daran, die vorgegebenen Quoten zu erfüllen. Die meisten Firmen schaffen das auch. Im Vergleich zu den Strafzahlungen kostet die Kompensation einer Tonne CO₂ derzeit nur um die 130 €.
H₂News: Bei wie vielen Projekten sind Sie aktuell aktiv?
Pflegler: Wir beraten derzeit Wasserstoff-Projekte in Deutschland mit einem jährlichen Einsparpotenzial von insgesamt 100.000 t CO₂ und spüren einen deutlichen Anstieg der Anfragen aus dem Markt. Der Quotenhandel selbst kann noch nicht anlaufen. Wenn er im Sommer möglich ist, wird auch unser Handels-Geschäft im Wasserstoffbereich anwachsen.
H₂News: Ihr nächstes Ziel ist also, noch in diesem Jahr den ersten Wasserstoff vermarkten zu können?
Pflegler: Ja, idealerweise schon im Laufe des Jahres. Die Minderungsmenge ist so hoch, dass sich eine monatliche Anrechnung vor allem für Tankstellenbetreiber schnell lohnt. Spätestens Ende des Jahres sollte es so weit sein. Das kommt natürlich stark darauf an, wann die ersten Zertifizierungs-Systeme durch die EU-Kommission anerkannt werden und wie schnell das Umweltbundesamt arbeitet. Es muss derzeit noch ein digitales Register für die Nachweiseinstellung einführen, bis dahin läuft vieles analog.
H₂News: Also bleibt noch einiges zu tun.
Pflegler: Ja; wir gehen davon aus, dass das digitale Register in diesem Jahr eher nicht fertiggestellt wird. Genügend potenzielle Kunden, also vor allem Wasserstofftankstellen, gibt es aber bereits.
H₂News: Welche Rolle könnte der THG-Quotenhandel von grünem Wasserstoff für den Hochlauf der Wasserstoffmobilität spielen?
Pflegler: Er könnte sicherlich dazu führen, dass Wasserstofffahrzeuge wettbewerbsfähiger werden. Ein Schwerlast-Lkw, der mit Wasserstoff fährt, kann mithilfe von günstigerem Wasserstoff durch Nutzung der THG-Quote schneller die Kostenparität zum Diesel-Lkw erreichen. Und das ist das Entscheidende. Für den Wasserstoffhochlauf allgemein ist der Quotenhandel ein Hebel, um das Henne-Ei-Problem zu lösen, weil er das Wasserstoff-Angebot anregt und das ganze System in Bewegung kommt.
H₂News: Herr Pflegler, vielen Dank für das Interview!