H₂News: Herr Graré, inwiefern unterscheidet sich Lhyfe von anderen Wasserstoffproduzenten?
Luc Graré: Nun, der entscheidende Unterschied besteht darin, dass wir bereits operativ tätig sind. Wir verkaufen jetzt schon grünen Wasserstoff an Kunden in ganz Europa – diese internationale Präsenz hat sonst kein Unternehmen in der Branche. Viele unserer potenziellen Wettbewerber stecken hingegen noch in der Konzeptphase und beschränken sich auf 3D-Modelle und Absichtserklärungen. Auch bei der Projektierung sind wir weiter als andere: In Spanien haben wir beispielsweise Förderzusagen erhalten und stehen kurz vor der Umsetzung. Ähnlich sieht es in Großbritannien aus. Parallel treiben wir Projekte in Deutschland, Frankreich, Schweden und Finnland voran.
H₂News: Was waren Ihre größten Erfolge in den letzten Jahren?
Graré: Ich würde hier drei Meilensteine anführen. Der erste und grundlegendste Erfolg war die Inbetriebnahme unserer ersten Produktionsanlage in Bouin an der französischen Atlantikküste im September 2021. Mit einer Kapazität von 1 Megawatt (MW) haben wir dort als erstes Unternehmen grünen Wasserstoff im industriellen Maßstab produziert. Die Anlage wird durch drei Windkraftanlagen mit Energie versorgt und beliefert über spezielle Trailer verschiedene regionale Abnehmer.
H₂News: Was waren die anderen Meilensteine?
Graré: Es ging alles sehr schnell. Schon im September 2022 starteten wir die weltweit erste Offshore-Wasserstoffproduktion. Für dieses Pilotprojekt haben wir eine Ein-Megawatt-Anlage auf einer schwimmenden Plattform installiert und direkt mit einer Offshore-Windturbine gekoppelt. Die Demonstrationsanlage zeigt das enorme Potenzial der maritimen Wasserstofferzeugung. Ein dritter strategische Erfolg war unser Börsengang an der Euronext Paris im Mai 2022. Denn er war nicht nur für die Kapitalbeschaffung entscheidend, sondern hat sich auch als Qualitätssiegel für unsere Kunden und Partner erwiesen.
H₂News: Apropos Partner: Suchen Sie für jedes Projekt gezielt neue Partner, oder setzen Sie auf langfristige Kooperationen?
Graré: Wir evaluieren unsere Zulieferer, insbesondere die Elektrolyseurhersteller, für jedes Projekt individuell. Allerdings haben wir bei unseren Anlagen in Frankreich in den vergangenen zwei Jahren auf bewährte Partner gesetzt. Neben der 1-MW-Anlage in Bouin betreiben wir inzwischen zwei neue Anlagen mit je 5 MW, zwei weitere sind im Bau. Auch bei unserem 10-MW-Projekt in Schwäbisch Gmünd kooperieren wir mit demselben Elektrolyseurhersteller. Dabei prüfen wir bei jedem Vorhaben, ob die bisherige Technologie noch optimal ist.
H₂News: Wohin geht da der Trend bei den Elektrolyseuren – eher zur Protone Exchange Membrane (PEM), oder zur alkalischen Elektrolyse?
Graré: Wir haben mit beiden Technologien Erfahrung gesammelt. Unser erster Elektrolyseur war alkalisch, bei den aktuellen 5- und 10-MW-Projekten setzen wir auf PEM. Der entscheidende Vorteil ist die Containerisierung: Wenn Sie einen 5-MW-Elektrolyseur im Container erhalten, beschleunigt das nicht nur den Bau, sondern vereinfacht auch die Genehmigungsverfahren, da kein separates Gebäude erforderlich ist.
H₂News: Oft heißt es ja, PEM-Elektrolyseure seien aufgrund ihrer Flexibilität besser für den Betrieb mit erneuerbaren Energien geeignet.
Graré: Die schnellere Reaktion auf Lastwechsel ist in der Praxis eher weniger relevant. Wenn der Wind nachlässt oder die Sonne untergeht, geschieht dies ohnehin nicht im Sekundentakt. Der größte Vorteil der PEM ist aus unserer Sicht ihre Modularität, durch die sie optimal für kleine bis mittelgroße Use Cases ist. Für Großprojekte mit Kapazitäten von 100 bis 800 MW prüfen wir momentan verstärkt alkalische Lösungen. Denn bei dieser Größenordnung sind Skaleneffekte wichtiger als Containerisierung – man wird kaum hundert Container auf einem Gelände aufstellen, sondern ein neues Gebäude bauen. In diesem Fall könnte alkalische Elektrolyse wirtschaftlicher sein.
H₂News: Schauen wir auf die Projektfinanzierung. Die Europäische Wasserstoffbank hat 2024 ihre erste Fördermittelauktionen durchgeführt und die zweite gestartet. Hat sich Lhyfe hier beteiligt?
Graré: Das konnten wir nicht. In Deutschland sind Wasserstoffproduzenten wie Lhyfe bereits von den Netzentgelten befreit und erhalten Mittel durch die CO2-Kompensation. Zusammen entspricht dies einer Förderung von 1,3 bis 1,5 Euro pro Kilogramm Wasserstoff – diese Komponenten werden von der EU bereits als Beihilfe eingestuft, die nicht mit weiteren Fördermitteln der H2-Bank kombiniert werden dürfen.
H₂News: Demnach ist die Wasserstoffbank für deutsche Projekte gar nicht so relevant?
Graré: Genau. Bei den ersten Ausschreibungen der H2-Bank haben vor allem Unternehmen aus Südeuropa Fördermittel erhalten, übrigens auch in einer ähnlichen Größenordnung von 1,2 bis 1,5 Euro pro Kilogramm. Würden wir in Deutschland an den Auktionen teilnehmen und einen Zuschlag erhalten, würden wir lediglich die bestehenden Vergünstigungen kompensieren – nach viel Aufwand stünden wir also am gleichen Punkt. Anders sieht es in Ländern wie Spanien, Frankreich oder den Niederlanden aus. Dort gibt es keine vergleichbare Befreiung von Netzentgelten oder eine CO2-Kompensation. In diesen Märkten ist die H2-Bank also durchaus interessant.
H₂News: Halten Sie Förderinstrumente wie die Wasserstoffbank oder auch H2Global denn für notwendig, um die Wasserstoffwirtschaft anzukurbeln?
Graré: Definitiv. Allerdings müssen wir zwei Förderansätze unterscheiden. Aktuell sehen wir in Deutschland vor allem die direkte Abnehmerförderung. Ein Beispiel sind Milliardenprogramme für die Stahlindustrie, die Hersteller zum Kauf von grünen Wasserstoff verpflichten. Als Produzenten können wir uns dann in Ausschreibungen um diese garantierte Nachfrage bewerben.
Ein zweiter Ansatz ist das System der doppelten Auktionen, wie H2Global es vorsieht. Dabei schreibt der Staat sowohl den Einkauf als auch den Verkauf von Wasserstoff aus. Da die industriellen Abnehmer meist nicht bereit sind, die anfangs höheren Produktionskosten zu tragen, übernimmt der Staat die Preisdifferenz. Dies ist ein eleganter Mechanismus, um Angebot und Nachfrage zusammenzubringen.
H₂News: Allerdings zielte H2Global bislang speziell auf nicht-europäische Produzenten.
Graré: Ja. Bei der konkreten Ausgestaltung dieser Instrumente sollten wir strategisch vorgehen: Statt primär auf Importe zu setzen, sollten wir zunächst die heimische Produktion stärken. Der Aufbau von lokalem Know-how und Technologiekompetenz ist essentiell – nicht nur für die Versorgungssicherheit, sondern auch um Deutschland als Technologieexporteur zu positionieren. Ein ‘H2Deutschland’-Programm wäre aus meiner Sicht der richtige erste Schritt, bevor wir die internationale Dimension stärker in den Fokus nehmen.
H₂News: Sie kooperieren seit Januar mit dem Start-up Atmen bei der digitalen Rückverfolgung von grünem Wasserstoff. Was ist das Ziel dieser Partnerschaft?
Graré: Wir wollen neue Maßstäbe für die Transparenz in der Wasserstoffproduktion setzen. Das System von Atmen erstellt für jede unserer Lieferungen einen digitalen Produktpass, der drei zentrale Aspekte dokumentiert: die Energiebeschaffung, also woher der Strom für die Produktion stammt, die eingebetteten Emissionen mit einer Aufschlüsselung der Kohlenstoffintensität, und den CO2-Abdruck der gesamten Lieferkette zwischen Produktion und Verbraucher.
H₂News: Wie genau funktioniert die Software?
Graré: Sie ersetzt die bisherige, manuelle Datenverarbeitung, indem sie kontinuierlich alle relevanten Datenpunkte automatisch erfasst – von der Stromlieferung aus erneuerbaren Quellen über den Produktionsprozess bis zum Transport. Für jeden Container können wir so nachweisen, wie viel CO2 im Vergleich zu fossilen Verfahren eingespart wird. Typischerweise sind es zwischen 80 und 95 Prozent.
Nach der ersten Implementierung an unserem Standort in Bouin werden wir das System auf all unsere weiteren Anlagen ausrollen. Sobald wir dann die RFNBO-Zertifizierung erhalten haben, wird auch dieses Label in den digitalen Produktpass integriert. Das System bedeutet also eine gigantische Verbesserung für uns, da wir nicht mehr mit Excel-Tabellen hantieren müssen.
H₂News: Erfüllt Ihr Wasserstoff denn überall die RED III Kriterien eines RFNBOs?
Graré: Ja. Daher wird es auch leicht sein, das System von Atmen auf unsere anderen Standorte auszurollen.
H₂News: Sie verfügen über einen breiten Erfahrungsschatz in Sachen grüner H2-Produktion – und das in gleich mehreren Ländern. Welches ist Ihrer Meinung nach beim Aufbau einer H2-Wirtschaft am weitesten fortgeschritten?
Graré: Auch wenn wir in Deutschland oft sehr selbstkritisch sind: Wir sind tatsächlich europaweit führend. Das zeigt sich besonders in der Infrastruktur: Wir verfügen über ein einzigartiges Konzept für ein Wasserstoff-Kernnetz, haben ein breites Netz an potenziellen Abnehmern und das größte Wasserstoff-Tankstellennetz in Europa.
H₂News: Blicken wir auf Deutschland und Frankreich. Wo sehen Sie Unterschiede zwischen den jeweiligen H2-Strategien?
Graré: Der zentrale Unterschied liegt im Infrastrukturaufbau. Deutschland setzt auf ein Kernnetz für Wasserstoff, während in Frankreich die Planungen noch nicht abgeschlossen sind. Dies spiegelt auch grundlegende strukturelle Unterschiede wider: Deutschland ist mit seinen Bundesländern deutlich dezentraler organisiert als Frankreich, was sich auch in der Wirtschaftsstruktur niederschlägt. Das deutsche Kernnetz wird viele dezentrale Unternehmen versorgen können. In Frankreich tendiert die Industrie eher zu lokalen Lösungen mit “On-Site”-Produktion von grünem Wasserstoff direkt an den Produktionsstandorten. Deutschland profitiert zudem von seinen geografischen Bedingungen wie der windreichen Nordseeküste für Offshore-Windparks oder den Salzkavernen in Norddeutschland. Und trotz der südlicheren Lage Frankreichs hat Deutschland auch beim Solarausbau die Nase vorn.
H₂News: Als französisches Unternehmen sehen Sie also in Deutschland die besseren Voraussetzungen?
Graré: Ja. Aus Sicht des Gesamtunternehmens ist der deutsche Markt hinsichtlich des Umsatzpotenzials wichtiger.
H₂News: Sie sind seit rund 15 Jahren im Bereich der erneuerbaren Energien tätig, die Wasserstoff-Welt begleiten Sie seit dem Beginn des großen Hypes im Jahr 2020. Wie würden Sie den aktuellen Status Quo beschreiben – ist der Hype vorbei?
Graré: Absolut. Hypes entstehen oft durch übertriebene Erwartungen, auch befeuert durch die Medien. Diese Phase ist nun vorbei. Realistisch kommt die große Wasserstoff-Abnahme, etwa durch die Stahl- und Chemieindustrie erst 2029/30. Gleichzeitig haben die Elektrolyseurhersteller ihre Kapazitäten schon massiv ausgebaut – und können sie in den nächsten Jahren wahrscheinlich nicht auslasten. Die gesamte Branche durchläuft eine Durststrecke – das sogenannte ‘Valley of Death’. Diese Phase könnte bis 2028/29 andauern. In dieser Zeit wird es für Firmen, die nicht gut aufgestellt sind, schwierig, sich zu finanzieren. Auch die Einstiegshürden für neue Unternehmen sind hoch. Ich erwarte eine Marktkonsolidierung, gerade unter den Herstellern – die ersten Bankrotte gibt es bereits. Das heißt aber nicht, dass das Umsatzpotenzial sinkt. Ganz im Gegenteil rechnen wir mit einem anhaltenden Umsatzplus beim grünen Wasserstoff.
H₂News: Herr Graré, vielen Dank für das Gespräch!
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