H₂News: Herr Hundrieser, welcher Aspekt der Wasserstoffwirtschaft ist für Endress+Hauser derzeit am relevantesten?
Jens Hundrieser: Aktuell ganz klar auf der Produktion von grünem Wasserstoff. Transport und Speicherung decken wir als der Produktion nachgelagerte Bereiche selbstverständlich auch ab. Wir sind auch bei der Dampfreformierung aktiv – also im Bereich des grauen und blauen Wasserstoffs – und kooperieren mit Start-ups, die türkisen Wasserstoff via Pyrolyse oder orangen Wasserstoff aus Biomasse und unter Verwendung von Strom aus Anlagen der Müllverwertungs- oder Biogasanlagen produzieren. Aber unser Fokus liegt auf der Elektrolyse.
H₂News: Und welche Produkte bieten Sie an?
Hundrieser: Sämtliche Geräte zur Messung der Wasserstoff- und auch Wasserqualität. In diesem Segment bedienen wir seit langem Kunden aus der Pharmaindustrie und anderen Bereichen, wovon wir jetzt auf dem boomenden Elektrolyseurmarkt profitieren. Wir können eigentlich alle Elektrolyseurarten – Alkali, PEM, AEM und auch Hochtemperatur – zum größten Prozentsatz ausrüsten. Je nach Technologie gibt es dabei unterschiedliche Messanforderungen, etwa bei der Leitfähigkeit des Prozesswassers, die bei unter 0,1 μS/cm bei PEM-Elektrolyseuren liegen kann.
H₂News: Beobachten Sie Trends im Elektrolysegeschäft?
Hundrieser: Wir berücksichtigen immer detaillierter die Parameter, die für die Lebensdauer des Stacks relevant sind, etwa den TOC-Wert bei PEM. Zudem gibt es immer mehr Wasserstoffanwendungen, bei denen Explosionsschutz und funktionale Sicherheit eine Rolle spielen. Am wichtigsten ist aber immer noch die Reinheit des Wasserstoffs am Ausgang des Elektrolyseurs – und die erreicht man nur, wenn man die Wasseraufbereitung und den Herstellungsprozess im Griff hat.

Der J22 TDLAS-Gasanalysator von eignet sich zur genauen Messung von H2O in verschiedenen Gasen (© Endress+Hauser)
H₂News: Die Reinheitsanforderungen an Wasserstoff sind ja sehr hoch…
Hundrieser: In der Tat. Für die Nutzung in Brennstoffzellen gilt, dass der Wasserstoff eine Reinheit von 5.0, d.h. 99,999 %, aufweisen muss. In diesem Gebiet haben wir beispielsweise eine langfristige Kooperation mit dem Elektrolyseurhersteller Enapter, bei dem wir die Wasserstoffqualität auf Spuren von Feuchtigkeit und Sauerstoff hin überprüfen.
H₂News: Neben der Herstellung begleiten Sie auch Projekte zu Wasserstoffspeicherung und -transport.
Hundrieser: Richtig. Es gibt es immer mehr Projekte zur unterirdischen Wasserstoffspeicherung in Salzkavernen, bei denen wir mit unserer Messtechnik aktiv sind – RWE, Uniper und viele andere. Tatsächlich entwickelt sich die messtechnische Ausstattung von Salzkavernen zu einem wichtigen Zukunftsmarkt.
H₂News: Ist auch das Wasserstoff-Kernnetz für Sie relevant?
Hundrieser: Definitiv. Wir arbeiten mit mehreren Pipeline-Herstellern zusammen, für die wir optische Gasanalysemessungen durchführen. Die Genehmigung des Kernnetzes im Oktober 2024 hat uns neue Möglichkeiten eröffnet: Wenn wir Pipeline-Hersteller einmal instrumentiert haben, sehen wir große Chancen zur Multiplikation, da erprobte Lösungen in andere Wasserstoffpipelines übernommen werden können.
H₂News: Wie ist es mit der Wasserstoffnutzung?
Hundrieser: Auch hier sind wir in nahezu jeder Anwendung vertreten, ob bei der Tankstelle oder den aktuell viel diskutierten H2-ready bzw. wasserstofffähigen Gaskraftwerken, von denen zunächst 10 Gigawatt in Deutschland entstehen sollen. Hier haben wir ein Referenzprojekt aus den USA, bei dem wir bei der Wasserstoffbeimischung für die erdgasbetriebene Turbine in einem Kraftwerk über Masse- und Dichtemessung mit Coriolis-Messgeräten in Kombination mit Raman-Technologie die Brennstoffqualität bestimmen. Insofern haben wir für jeden Bereich der Wasserstoffwertschöpfungskette ein Paket anzubieten.
H₂News: Können Sie uns diese Messtechnologien etwas genauer erläutern?
Hundrieser: Gerne. Coriolis-Messgeräte nutzen die Corioliskraft, um sehr präzise Masseströme und Dichten zu messen. Im Gegensatz zu volumetrischen Messverfahren sind sie unabhängig von Temperatur- und Druckschwankungen, was bei Wasserstoffanwendungen mit stark variierenden Betriebsbedingungen entscheidend ist. Die Raman-Technologie wiederum ist ein spektroskopisches Verfahren, bei dem Laserlicht auf das Gas gerichtet wird. Durch die Wechselwirkung zwischen Licht und Molekülen können wir exakt bestimmen, welche Gasbestandteile in welcher Konzentration vorliegen und damit quantitativ die Zusammensetzung des Gasgemisches bestimmen.
H₂News: Beobachten Sie denn eine Art übergreifenden, übergeordneten Trend bei der Entwicklung Ihrer Messgeräte?
Hundrieser: Nicht direkt. Es hängt wirklich von der jeweiligen Anwendung ab. Bei kritischen Anwendungen, für die der Explosionsschutz oder SIL (Safety Integrity Level) eine Rolle spielen, sind höchste Messgenauigkeit und Performance wichtig. Es gibt aber auch einfachere Messungen, bei denen wir beobachten, dass Elektrolyseurhersteller in erster Linie auf den Preis achten und nur das bezahlen, was wirklich notwendig ist. Für diesen Fall haben wir funktionalitätsangepasste Messgeräte im Angebot.
H₂News: Das klingt nach einer stärkeren Preissensibilität in der Branche.
Hundrieser: Unsere Branche war immer schon preissensitiv, aber unser Eindruck ist durchaus, dass sich das derzeit verstärkt. Viele Projekte sind stark von Förderungen abhängig oder stehen im Zusammenhang mit europäischen Konsortien. Von daher ist der Druck, wirtschaftlich zu sein, sehr hoch. Gleichzeitig liegen viele Projekte hinter dem Zeitplan. Aus meiner Sicht muss der Knoten jetzt platzen: Wir brauchen endlich klare Rahmenbedingungen und Investitionssicherheit, damit Projekte nicht nur geplant, sondern auch umgesetzt werden. Die Technologie ist da, die Kompetenz ist da – was fehlt, sind konkrete Umsetzungsschritte.

Messtechnik in einem Salzkavernenspeicher (© Endress+Hauser)
H₂News: Was blockiert diesen Knoten aktuell am meisten?
Hundrieser: Ich denke, das Ausbleiben von FIDs – Final Investment Decisions – ist der entscheidende Knackpunkt. Obwohl es eine nationale Wasserstoffstrategie und ein Wasserstoffbeschleunigungsgesetz gibt, wirken die Maßnahmen immer noch nicht so wie geplant. Die europäische Standardisierung und Normierung befinden sich zum Beispiel in einer Art Vakuum. Es gibt viel zu viele Dinge, die harmonisiert werden müssen, und man kommt bei vielen Themen nicht hinterher.
H₂News: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Hundrieser: Wir verzeichnen eine wachsende Nachfrage nach “H2-ready” Geräten. Kunden, die heute Messtechnik in Erdgasleitungen einsetzen, wollen einfach sicherstellen, dass diese auch bei einer späteren Umstellung auf Wasserstoff verwendbar bleibt. Allerdings gibt es immer noch keine allgemeingültige Definition davon, was der Begriff “H2-ready” bedeuten soll. Wenn wir bei Endress+Hauser von “H2-ready” sprechen, meinen wir eine vollständige Kompatibilität mit 100 % Wasserstoff – nicht nur eine Beimischung in geringer Konzentration. Für diese Kompatibilität stellen wir spezifische Herstellererklärungen aus, die auf einzelne Komponenten eingehen. Das stößt insbesondere bei Betreibern von Gastransport- und Gasverteilsystemen auf großes Interesse.
H₂News: Welche andere Kundengruppe spielt für Sie eine große Rolle?
Hundrieser: Stadtwerke werden zunehmend wichtiger für uns, da die Sektorenkopplung voranschreitet und sich immer mehr kommunale Versorger mit Wasserstoff beschäftigen. Sie sind interessante Kunden, weil sie oftmals die lokale Energie- und Wärmeversorgung gleichzeitig verantworten und somit Synergien nutzen können. Die Messanforderungen unterscheiden sich dabei teilweise von denen großindustrieller Anwendungen. Viele Stadtwerke schauen noch genauer auf den Preis und benötigen individuelle Lösungen, die kostenoptimiert sind, aber zuverlässige Messungen liefern. Gleichzeitig sehen wir bei kommunalen Versorgern oft eine höhere Bereitschaft, innovative Konzepte umzusetzen und Pilotprojekte zu starten. Hier haben wir im vergangenen Jahr einige spannende Kooperationen begonnen, die zeigen, dass Wasserstoff nicht nur ein Thema für die Industrie ist.
H₂News: Blicken wir auf das Jahr 2025: Haben Sie interessante Vorhaben in der Pipeline?
Hundrieser: Auf jeden Fall! Wir sind in mehrere vielversprechende Projekte involviert. Insbesondere bei der Wasserstoffspeicherung haben wir unser Engagement verstärkt. Für 2025 planen wir ein Fachforum zum Thema Salzkavernenspeicherung. In diesem Bereich entwickelt sich gerade viel, und wir sehen uns gut positioniert, um hier eine führende Rolle einzunehmen. Speziell bei der Messung von Feuchtigkeit, H₂S und Sauerstoff mit laserspektroskopischen Verfahren haben wir große Kompetenzen.
H₂News: Mit Blick auf die großen Kavernenspeicherkapazitäten, die noch gebraucht werden, ist das in jedem Fall ein Zukunftsmarkt.
Hundrieser: Das stimmt. Bis 2030 gehen einige Szenarien von einem Bedarf zwischen 1,6 und 5 TWh aus, je nach Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft. Bis 2045 könnte dieser Bedarf auf 30 bis über 100 TWh anwachsen. Bei den bisherigen Projekten handelt es sich hauptsächlich um kleinere Forschungskavernen. Der nächste große Schritt werden industrielle Kavernen sein, bei denen man von nennenswerter Energiespeicherung sprechen kann. Auf diese Entwicklung richtet die ganze Branche ihren Blick.

Die Wasserstoff-Wertschöpfungskette (© Endress+Hauser)
H₂News: Wie wichtig ist der deutsche Markt hier für Sie?
Hundrieser: Es ist tatsächlich beeindruckend: Von allen möglichen Plätzen zur Kavernenspeicherung in Europa befinden sich 60 % in Norddeutschland. Allerdings braucht eine komplett neue Salzkaverne (Neubau und Solung) etwa 10-15 Jahre, bis sie einsatzbereit ist. Auch die Umwidmung einer Erdgaskaverne auf Wasserstoffspeicherung dauert im besten Fall fünf Jahre. Als Teil der Infrastrukturerweiterung – Stichwort Kernnetz – ist der Speicherausbau aber unerlässlich, wie zum Beispiel eine Studie der Deutschen Energie-Agentur (dena) und des Fraunhofer ISI aus dem Juli 2024 gezeigt hat.
H₂News: Gibt es schon gesicherte Erkenntnisse dazu, wie stark der Wasserstoff während der Lagerung in Kavernen verunreinigt wird?
Hundrieser: Die Vergleichsmessungen mit unserer Spurenelemente-Gasanalyse dazu laufen noch. Was sich jetzt schon abzeichnet: Die Qualität des Wasserstoffs, der nach der Speicherung beim Kunden ankommt, steht und fällt mit der eingesetzten Messtechnik – sowohl herkömmliche Parameter wie Durchfluss, Druck und Temperatur als auch die optische Gasanalytik spielen hier eine Rolle.
H₂News: Wie wichtig ist für Sie als Schweizer Unternehmen die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Schweiz beim Thema Wasserstoff?
Hundrieser: Es gibt die trinationale Wasserstoffvereinigung, in der Endress+Hauser Mitglied ist und in der ich als Vertreter fungiere. Diese Initiative hat Unternehmen aus der Schweiz, Frankreich und Deutschland zusammengeführt, den “weißen Fleck” in der bis 2030 vorgesehenen Wasserstoffinfrastruktur mit Leben zu füllen. Zu der Initiative zählen nicht nur Zuliefererunternehmen, sondern auch Firmen, die einen konkreten Wasserstoffbedarf haben – aber perspektivisch keinen Zugang zu günstigem Wasserstoff. Letztlich ist unser Ziel, alle Wasserstoffaktivitäten im Dreiländereck zu bündeln.
H₂News: Wie wird sich das Wasserstoffsegment für Ihr Unternehmen weiterentwickeln?
Hundrieser: Wasserstoff ist auf jeden Fall einer der Bereiche mit dem größten Wachstumspotenzial. Allerdings funktioniert er im Grunde wie jede andere Industrie auch. Für uns als Messtechnikanbieter müssen immer drei Punkte erfüllt sein: Messgeräte müssen einen Beitrag zur Sicherheit der Anlage leisten, sie müssen den Umweltschutz unterstützen und sie müssen Prozesse optimieren. Ohne diese Mehrwerte würden wir nicht verkaufen.
H₂News: Herr Hundrieser, vielen Dank für das Gespräch!
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