H₂News: Frau Lüke, warum fokussiert sich WEW auf die Stack-Produktion?
Wiebke Lüke: Weil der Stack die größte und wichtigste Einzelkomponente eines Elektrolyseurs darstellt. Er ist allein für mehr als 40 % der Investitionskosten verantwortlich. Wenn man eine Elektrolyseanlage zum Beispiel auf das doppelte Produktionsvolumen vergrößern möchte, muss die Stackgröße ebenfalls verdoppelt werden. Alle anderen Komponenten skalieren nicht linear, sondern höchstens mit einem Faktor von 1,1 oder 1,2. Je größer also die Anlage ist, desto höher sind die Kosten des Stacks als Einzelkomponente. Da liegt ein hohes Kostensenkungspotenzial für CAPEX (Investitionskosten).
H₂News: Und wie heben Sie dieses Potenzial?
Lüke: Drei Aspekte sind dafür entscheidend: Die Senkung des Materialverbrauchs, der Verzicht auf Edelmetalle und eine hochautomatisierte Fertigung. Durch diese Faktoren können wir unsere Stacks günstiger fertigen als unsere Mitbewerber. Nutzt ein Hersteller unsere Stacks, kann er seine Elektrolyseure günstiger verkaufen. Das senkt wiederum die Investitionskosten für Wasserstoffproduzenten und damit die Gestehungskosten des grünen Wasserstoffs.
H₂News: Auf welche Elektrolysetechnologie setzen Sie?
Lüke: Es gibt vier große Verfahren der Wasserelektrolyse. Als erstes wurde die alkalische Elektrolyse (AEL) entwickelt, kurz darauf folgte die PEM-Elektrolyse. Später kam die Hochtemperatur- oder SOEC-Elektrolyse hinzu. Die neueste Technologie ist die “alkalische PEM” oder AEM-Elektrolyse, quasi eine Kombination der ersten beiden. Da die Technologien zu unterschiedlichen Zeiten entwickelt wurden, sind sie unterschiedlich ausgereift. Aber alle produzieren Sauerstoff und Wasserstoff. Von daher unterscheiden sie sich vor allem hinsichtlich ihrer Effizienz und der typischen Anwendungsfelder. Derzeit gilt die AEL aufgrund ihres hohen Wirkungsgrads und der niedrigen Kosten als Preis-Leistungs-Siegerin, daher fokussieren wir uns darauf.
H₂News: Wer sind Ihre Kunden?
Lüke: Unsere Kunden teilen sich in zwei Hauptgruppen. Die eine bilden Anlagenbauer und Systemintegratoren, die schon mit der Elektrolyse vertraut sind. Die andere, stetig wachsende Gruppe sind Unternehmen aus dem Anlagenbau, die noch keine Erfahrung mit dem Thema Wasserstoff haben. Wir versuchen, diesen Kunden den Markt zu öffnen. Wir bieten daher neben dem Stack-Verkauf einen Engineering-Support an, indem wir geeignete Komponenten nennen, Empfehlungen zum Anlagen-Retrofit geben und so weiter.

WEW-Stack (Bild: WEW GmbH)
H₂News: Ist die Wahl der Elektrolysetechnologie dabei primär vom Anwendungsfall abhängig?
Lüke: Der ist zumindest ein wichtiger Faktor. Besonderes Augenmerk liegt auf der Anlagengröße. Für den Bau von Großanlagen eignen sich eher AEL und PEM, bei kleineren oder spezifischeren Anwendungsfällen kann es dementsprechend anders aussehen. Eine Wasserstofftankstelle kommt beispielsweise mit weniger als 1 MW aus. Manche Hersteller von AEL-Anlagen bieten in dieser Größenordnung gar nichts an, sondern konzentrieren sich auf den höheren Megawatt- oder Gigawatt-Bereich.
H₂News: Was hat die AEL denn der PEM technologisch voraus?
Lüke: Bei der PEM setzt man vor allem Membranen ein; insbesondere PFAS-Membranen, die aufgrund ihres Fluor-Gehalts umstritten sind. In der alkalischen Elektrolyse werden dagegen eher Diaphragmen genutzt. Für die Elektroden setzt man in der PEM auf Edelmetalle wie Iridium, wohingegen bei der AEL günstigere Materialien wie Nickel zum Einsatz kommen. Daher kann sie aus unserer Sicht die Kostensenkungspotenziale deutlich eher heben.
H₂News: An welchen Standorten wäre das zum Beispiel der Fall?
Lüke: Nehmen Sie Saudi-Arabien, wo erneuerbarer Strom für nur einen Cent die kWh erhältlich ist. Wenn Sie hier Wasserstoff produzieren, sind die Betriebskosten sehr niedrig, weshalb die Anlagenkosten umso stärker zu Buche schlagen. Deswegen sind gerade in Gegenden, die niedrige Stromkosten bieten, die Anlageninvestitionskosten entscheidend. Denn hier können sie bis zu 50 % der Wasserstoff-Gestehungskosten ausmachen. In diesen Ländern wird man große Anlagen bauen, und die müssen günstig sein.
H₂News: Gibt es ein technologisches Wettrennen zwischen den Technologien?
Lüke: Es gibt kein echtes „Wettrennen”, aber es lassen sich deutliche Trends erkennen. Während in Europa und in den USA Hersteller stärker auf die PEM-Elektrolyse setzen, fokussiert sich der asiatische Markt zu über 90 % auf die alkalische Elektrolyse. Der Trend geht aber mittlerweile zur Zweittechnologie, und auch hier gibt es gewisse Tendenzen. In Europa und den USA wählen Hersteller meist AEM-Elektrolyseure als Zweittechnologie, während die asiatischen Hersteller eher auf die SOEC setzen. Betrachtet man die installierten Kapazitäten weltweit, sieht man eine klare Dominanz der AEL-Technologie, gerade bei Großprojekten mit mehreren 100 MW oder mehr.
H₂News: Und auf diese Projekte zielen Sie mit WEW?
Lüke: Genau. Wir bauen einen Standardstack mit einer unteren Leistungsaufnahme von ungefähr einem halben Megawatt– das ist das Minimum. Für Anwendungsbereiche, die eine kleinere Kapazität erfordern, können wir den Stack also gar nicht anbieten. Dafür lassen sich mit unseren Stacks problemlos Anlagen mit einer Größe von 2-3 MW aufbauen, auch mehrere hundert Megawatt sind möglich. Am besten kann man das Potenzial zur CAPEX-Reduzierung aber bei wirklich großen Anlagen im Gigawatt-Bereich ausschöpfen.
H₂News: Wie hat sich WEW seit seiner Gründung entwickelt, und was sind Ihre nächsten Ziele?
Lüke: Anfangs haben wir uns auf die Entwicklung des Stacks und der Produktionsanlagen konzentriert. Im Rahmen von H2Giga kooperieren wir dabei mit verschiedenen Forschungseinrichtungen: Seit Juni 2022 betreiben wir mit der TU Clausthal in Goslar ein Testfeld, auf dem unsere Stacks untersucht werden. Dort erstellen wir beispielsweise Kostenkalkulationen, die zeigen, wie nahe wir den Zielkosten sind. Parallel haben wir im Frühjahr 2024 an unserem neuen Standort in Dortmund mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) eine halbautomatisierte Musterfertigungsanlage in Betrieb genommen. Ziel ist es, noch in diesem Sommer das erste Demo-Projekt bei einem Kunden zu starten. Dafür beginnt in wenigen Wochen die Fertigung in Dortmund. Anschließend wollen wir unsere Fertigungskapazität erweitern, wobei wir uns natürlich an der Nachfrage auf dem Markt orientieren werden.
H₂News: Sie waren vier Jahre bei Thyssenkrupp beschäftigt. Wie kam es dann zur Gründung eines Start-ups?
Lüke: Der Anstoß war die Nationale Wasserstoffstrategie im Juni 2020. 9 Milliarden Euro für Wasserstoff! Meine Gründungspartner und ich haben uns damals gesagt: „Jetzt oder nie”. Allein die drei damals aufgesetzten Wasserstoffleitprojekte hatten ein Fördervolumen von 700 Mio. €. Das war also ein guter Startpunkt: Alle konnten damals sehen, dass Wasserstoff politisch stark unterstützt wird.
H₂News: War WEW eines der ersten Unternehmen, das von diesen Fördermitteln profitieren konnte?
Lüke: Ja, wir sind direkt in der ersten Förderrunde berücksichtigt worden. Das war für uns als Start-up ein perfektes Timing. Wir hatten vorher schon einige Investoren für uns gewinnen können, aber die Förderung durch das BMBF im Rahmen von H2Giga war ein Schlüsselmoment. Sie ermöglichte uns eine schnellere Entwicklung, einmal über die zusätzlichen Finanzmittel, aber vor allem auch durch den Zugang zur Forschung. In den Leitprojekten sind Universitäten beteiligt, die große Fachexpertise mitbringen. Um diese selbst aufzubauen, bräuchten wir mindestens dreißig zusätzliche Fachkräfte.
H₂News: Blicken wir auf die Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft. Als Sie Ihr Unternehmen gründeten, war die Elektrolyseur-Nachfrage noch größer als das Angebot. Ist das noch so?
Lüke: Damals war das mit Sicherheit der Fall. Mittlerweile hat sich die Anzahl der Wettbewerber im Bereich der Elektrolyse aber stark vermehrt. Allerdings ist nicht ganz klar, welche Fertigungskapazitäten es tatsächlich gibt und wie viele lediglich auf dem Papier existieren. Klar ist jedoch, dass wir nach wie vor in einer Phase sind, in der die Nachfrage nur langsam wächst und sich der Wasserstoffmarkt immer noch im Hochlauf befindet, wenn auch sehr langsam. Umso wichtiger sind deshalb staatliche Anreizprogramme, die Angebot und Nachfrage zusammenzubringen.
H₂News: Was bräuchte es aus Ihrer Sicht außerdem politisch, um den Wasserstoffhochlauf voranzubringen?
Lüke: Langfristiges Commitment! Ich bin mir sicher, dass zur Erreichung unserer Klimaziele, zur Diversifizierung unseres Energiesystems, zur Verringerung der Abhängigkeiten von Energieimporten aus dem Ausland und vieles mehr Wasserstoff und seine Derivate eine wichtige Rolle im Energiesystem der Zukunft spielen werden. Dies lässt sich jedoch nicht innerhalb einer Legislaturperiode implementieren. Hier geht es um die Transformation des Energiesystems und sämtlicher Industriezweige. Dies kann nur im Schulterschluss zwischen Industrie, Politik und auch der Gesellschaft funktionieren und dafür braucht es einen langen Atem von allen Seiten.
Die Politik kann und sollte hier an vielen Stellen unterstützen: von der Verbesserung der öffentlichen Akzeptanz über die Schaffung geeigneter regulatorischer Rahmenbedingungen (wozu auch der Bürokratieabbau, gerade bei Genehmigungsverfahren, gehört) bis hin zur Förderung des Markthochlaufs, z.B. durch Anreizsysteme zur Verbesserung von Angebot und Nachfrage und dem Infrastrukturausbau – um nur einige Punkte zu nennen. Und die Maßnahmen sollten schnell ergriffen werden, denn auch für die Wasserstoffbranche heißt es heute: Jetzt oder nie.
H₂News: Was entgegnen Sie Skeptikern, die Wasserstoff für einen Irrweg halten?
Lüke: Die Skepsis ist zum Teil verständlich, weil sie aus einer großen Misskommunikation entstanden ist. Wasserstoff ist nur ein Teil der Lösung unserer Energie- und Klimaprobleme, kein Allheilmittel. Kritiker, die Wasserstoff für eine Blase halten, monieren insbesondere, dass alle Lösungen auf Wasserstoff projiziert werden – was medial auch stark passiert. Nichtsdestotrotz ist Wasserstoff ein wichtiger Baustein der Energiewende: Wo wir weiter auf Moleküle setzen müssen – und dieser Teil macht heute 80 % unseres Energiebedarfs aus – werden grüner Wasserstoff und seine Derivate eine essenzielle Rolle spielen.
H₂News: Frau Lüke, vielen Dank für das Interview!
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