H₂News: Herr Limbrunner, Proton Motor beschäftigt sich mit Brennstoffzellen. Wieso heißen Sie eigentlich “Motor”?
Manfred Limbrunner: 1994 haben wir als “Magnet-Motor GmbH” angefangen, darum tragen wir den “Motor” noch im Namen. Aber ja: Wasserstoff-Brennstoffzellen sind unser einziger Geschäftszweig. PEM-Brennstoffzellen für stationäre und Mobilitäts-Anwendungen, um genau zu sein. Bei Brennstoffzellen für Mobilität unterscheiden wir nochmal zwischen Heavy Duty, Maritime und Rail-Anwendungen.
H₂News: Der Name suggeriert, dass Ihr Schwerpunkt auf der Mobilität liegt.
Limbrunner: Das war in den ersten Jahren auch unser Fokus, denn Magnet-Motor war auf rein elektrische Antriebe spezialisiert. Beispielsweise haben wir das komplette Hybrid-Antriebssystem für den ersten Brennstoffzellen-Bus entwickelt und integriert, der im Jahr 2000 in Betrieb ging. 2001 hat Proton Motor den weltweit ersten Wasserstoff-Gabelstapler für den Flughafen München sowie das weltweit erste Schiff mit Brennstoffzellen-Antrieb für die Stadt Hamburg gebaut. Darüber hinaus gab es weitere wichtige Projekte in den darauffolgenden 16 Jahren, aber leider verloren Politik und Wirtschaft in Europa das Interesse an dem Thema. Die Segmente für den Markteintritt von Wasserstoff-Anwendungen haben sich in den letzten 20 Jahren mehrmals verschoben und viele Unternehmen sind vom Markt verschwunden. Darum haben wir uns mit unserem modularen Ansatz flexibel aufgestellt.
H₂News: Bis heute scheint unklar, in welchem Segment der Markt für Wasserstofftechnologien als erstes ein spürbares Wachstum erleben wird. Wie nehmen Sie das wahr?
Limbrunner: In den letzten Jahren deutet sich verstärkt an, dass der stationäre Markt als erstes in die Gänge kommen kann. Das hat mehrere Gründe, unter anderem ist man hier weniger von den großen Original Equipment Manufacturers (OEMs) oder auch von einer flächendeckenden Tankstelleninfrastruktur abhängig. Wir erhalten immer mehr Anfragen aus dem stationären Segment, politisch wird derzeit primär die Mobilität gefördert.
H₂News: Was macht stationäre Brennstoffzellen so geeignet für einen frühen Markthochlauf?
Limbrunner: Dass sie als Netzersatzanlagen relativ unabhängig von der Wasserstofflogistik und -bereitstellung sind, weil sie nur im Notfall in Betrieb genommen werden. Ihr anderer Use Case ist die dezentrale, lokale Energiespeicherung. Dabei sind die Brennstoffzellen Teil eines dezentralen Systems aus Elektrolyseur, Wasserstoffspeicher und eben Brennstoffzelle. Das Prinzip ist einfach: In Spitzenlastzeiten wird überschüssige regenerative Energie über einen Elektrolyseur in Wasserstoff umgewandelt und in einem Wasserstoffspeicher gelagert. Bei Bedarf kann eine Brennstoffzelle sie dann jederzeit wieder verstromen. Gleichzeitig kann die Abwärme aus Elektrolyseur und Brennstoffzelle verwendet werden.
H₂News: Die Brennstoffzellen wandeln die in Form von Wasserstoff “gerettete” Energie also wieder in Strom und Wärme um.
Limbrunner: Genau. Übrigens wird immer mehr Energie abgeregelt und damit fallen immer mehr Kosten für die Netzstabilisierung an: 2022 waren es in Deutschland rund 8 Terrawattstunden (TWh) an erneuerbarem Strom. 2021 waren es nur 6! Außerdem sind die Redispatch-Kosten für die Abregelungen von 0,6 Milliarden Euro auf fast 2,6 Milliarden Euro angestiegen. Unsere Botschaft an die Politik lautet daher: Schaut nicht nur auf die großen Wasserstoff-Pipelinenetze, die großen Wasserstoffverbraucher und die großen Erzeugungs-Anlagen – bis hierfür nötige Infrastrukturen bereitstehen, wird noch viel Zeit vergehen. Der Markt braucht Lösungen jetzt und Technologielieferanten wie wir brauchen jetzt einen Markt! Dieser Markt kann aktuell eigentlich nur über dezentrale H₂-Cluster stattfinden.
H₂News: Diesen Standpunkt vertritt auch der Nationale Wasserstoffrat. In einem aktuellen Positionspapier fordert er von der Politik, regionale H₂-Cluster stärker zu unterstützen.
Limbrunner: Das ist sinnvoll, denn diese Cluster haben das Potenzial, heute schon Wasserstofftechnologie in relevanten Stückzahlen abzunehmen. Und wir müssen höhere Stückzahlen herstellen, um die Produktionskosten und damit die Verkaufspreise reduzieren zu können. Dadurch wird auch der Netzausbau in Bezug auf Strom und Gas entlastet.
H₂News: Stationäre Brennstoffzellen könnten demnach einer der ersten Anwendungsfälle sein, die Wasserstoff in den Alltag bringen.
Limbrunner: Richtig, weil der naheliegendste Use Case die Nutzung als Netzersatzanlage ist: Bei einem Ausfall des Stromnetzes müssen kritische Infrastrukturen für mindestens 48 Stunden abgesichert werden. Mit Batterien ist das schwierig. Darum nutzen immer mehr Kunden Netzersatzanlagen auf Wasserstoffbasis. Seit 2016 sind unsere Brennstoffzellen etwa zur Absicherung der Telekommunikation für Polizei, Feuerwehr und andere Infrastrukturen in Bayern im Einsatz. Mit der “DB Bahnbau Gruppe GmbH”, einer Tochter der Deutschen Bahn, kooperieren wir seit 2015 und haben schon 22 Systeme ausgeliefert.
H₂News: Wieso setzt die Bahn auf stationäre Brennstoffzellen?
Limbrunner: Für die Stellwerke der Bahn ist eine unterbrechungsfreie Stromversorgung essenziell. Allerdings haben diese Stellwerke aufgrund der Digitalisierung immer größere Leistungs- und damit Energieanforderungen, die Batterien nicht bewältigen können. Und dieselbetriebene Stromgeneratoren kommen aufgrund ihrer Emissionen nicht in Frage: Ab 2026 will die Bahn komplett auf dieselbetriebene Generatoren verzichten. Wasserstoffbetriebene Netzersatzanlagen sind für die Notstromversorgung daher das Mittel der Wahl.
H₂News: Mit der Schweizer Firma H2tec AG haben Sie eine ähnliche Kooperation für die Straßenbaubehörde “Astra”.
Limbrunner: Die Kooperation läuft bereits seit zwei Jahren, das ist korrekt. Astra nutzt ebenfalls stationäre Brennstoffzellen als Netzersatzanlagen, etwa um die 24-h-Beleuchtung und -Belüftung von Tunneln sicherzustellen. Hier zeigt sich ein weiterer Vorteil gegenüber Batterien: Wasserstoff lässt sich verlustfrei über lange Zeiträume speichern. Ist eine Brennstoffzelle also einmal mit einem H2-Speicher verbunden, kann sie bei Bedarf immer auf die volle Kapazität zurückgreifen. Sogar im Fall, dass zwischenzeitlich mehrere Jahre vergehen. Dieselgeneratoren erfordern darüber hinaus mehr Wartung als Wasserstoff-Brennstoffzellen.
H₂News: Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit Technologiepartnern im H₂-Bereich?
Limbrunner: Sie hilft uns sehr bei der Optimierung unserer Systeme. Mit “GKN Hydrogen” haben wir beispielsweise 2018 ein Haus in Südtirol komplett energieautark gemacht. Jetzt denken wir darüber nach, die Metallhydrid-Speicher von GKN mit unseren Brennstoffzellen zu kombinieren und zwar in Containern, die auch auf 3.500 Höhenmetern funktionieren. Mit dem spanischen Kunden “Redexis” liefert Proton Motor ein containerisiertes Brennstoffzellen-System an das Iberostar-Hotel “Bahia de Palma” auf Mallorca für die emissionsfreie Strom- und Wärmeversorgung. Dort wird unsere “HyShelter®“-Anlage das Hotel mit Strom und Wärme aus gespeichertem Solar-Wasserstoff versorgen. An solchen integrierten “grünen” Energiesystemen für emissionsfreie Strom und Wärme sehen wir gerade ein starkes Interesse.
H₂News: Das sind sicher zukunftsträchtige Lösungen, wenngleich sie der breiten Bevölkerung noch oft relativ unbekannt sind.
Limbrunner: Das stimmt, und dabei sind sie gar nicht so neu. Schon 2016 haben wir das erste energieautarke Haus im schweizerischen Brütten installiert – die Brennstoffzelle ist dort immer noch in Betrieb. Heute bieten wir solche Anlagen bis in den Megawatt-Bereich an. Ich vergleiche diese Systeme immer mit Pumpspeicherkraftwerken, die einen netzdienlichen Betrieb ermöglichen: Bei einem niedrigen Strompreis kann man seinen Strom in Form von Wasserstoff speichern. Und wenn der Strompreis ansteigt, kann man ihn rückverstromen und gewinnbringend ins Netz einspeisen.
H₂News: Welche Technologie nutzen Sie, um den Wasserstoff in solchen Systemen zu speichern?
Limbrunner: Hierzu wird sich zuerst die Anfrage angeschaut, um dann den richtigen Wasserstoffspeicher mit Partnern auszuwählen. Aber der Brennstoffzelle ist die Speicherform letztlich egal: Wichtig sind nur die Reinheit des Wasserstoffs und die Schnittstellen zum Energiemanagement. Die Brennstoffzelle ist immer nur ein Teil der Gesamtanlage, die Endkunden benötigen jedoch eine Gesamtanlage. Auch darum sind Partnerschaften so wichtig, die in regionalen, dezentralen Wasserstoff-Clustern die komplette Kette aus Produktion, Speicherung und Anwendung abbilden. Solche Projekte helfen zudem, den Leuten die Funktionsweise und das große Potenzial von Wasserstofftechnologien begreifbar zu machen.
H₂News: Würden Sie sagen, dass eine wasserstoffbasierte Energiewelt komplexer ist als die fossile?
Limbrunner: Eigentlich nicht – es ist eben nur eine neue Energiewelt, deren Umstellung sicherlich komplex ist. Technisch können Sie eine Brennstoffzelle mit einem herkömmlichen Verbrennungsmotor vergleichen. Es gibt eine Kraftstoffversorgung mit Wasserstoff, eine Luftzufuhr, eine Kühlung, eine Steuerung und elektronische Komponenten. Darin liegt aber auch eine Gefahr: Wir müssen nicht nur unser Energiesystem, sondern unsere gesamte Industrie transformieren! Am besten eher heute als morgen sollte damit begonnen werden, Lieferketten sukzessive auf Wasserstoff umzustellen. Ansonsten geht die Lieferindustrie mittelfristig verloren und in Zukunft müssen sämtliche Komponenten aus dem Ausland dazugekauft werden.
H₂News: Findet an den Brennstoffzellen noch Forschung und Entwicklung statt, oder sind Sie aktuell in einem “Design-Freeze”?
Limbrunner: Aktuell befinden wir uns in einem Shift: Weg von der Forschung und Entwicklung in Kooperation mit wissenschaftlichen Instituten und hin zur Industrialisierung. Natürlich findet eine kontinuierliche Weiterentwicklung statt. Jede Entwicklungsaktivität treibt die Kosten nach oben. Von daher sieht die Proton-Motor-Strategie vor, serienreife Modelle auf den Markt zu bringen und die Produktion anzukurbeln.
H₂News: Dazu haben Sie Ende 2022 mit dem Bau einer Fabrik in Fürstenfeldbruck begonnen.
Limbrunner: Richtig. Bis Mitte nächsten Jahres wollen wir dahin umziehen. Dort befindet sich die Infrastruktur, um mithilfe von Robotern automatisiert zu fertigen. Geplant ist, bis zu 5.000 Brennstoffzellen-Systeme und 30.000 Stacks jährlich zu produzieren. Für uns geht es also wirklich um den Markthochlauf, um die Stückzahlen. Idealerweise zieht die Nachfrage künftig ähnlich stark an wie unsere Fertigungskapazitäten.
H₂News: In Fürstenfeldbruck werden Sie auch Brennstoffzellen für den Mobilitätssektor produzieren. Proton Motor war ein Vorreiter auf dem Gebiet – wie läuft es heute?
Limbrunner: Ich glaube, dass sich Wasserstoff auch in der Mobilität durchsetzen wird. Bei den PKW wird es aber sicher noch etwas dauern. Derzeit gibt es eine Konzentration auf Spezialfahrzeuge wie Gabelstapler, Müllsammelfahrzeuge oder Busse. Dabei handelt es sich gleichfalls um dezentrale, lokale Anwendungsfälle. Für diese müssen nur relativ wenige Tankstellen vorhanden sein, die sich dann schnell wirtschaftlich betreiben lassen.
H₂News: Wie sieht es mit dem vielzitierten Schwerlastverkehr aus?
Limbrunner: Solange es kein flächendeckendes Tankstellennetz in Europa gibt, wird er nicht in den Markthochlauf kommen. Denn aus meiner Sicht lautet die entscheidende Frage für den Verkehrssektor, welche Infrastruktur existiert. Deshalb hat die Wasserstoff-Mobilität beim Wettlauf mit der Elektromobilität zumindest im Schwerlastbereich die Nase vorn: Sowohl der Investitions- als auch der Energiebedarf eines flächendeckenden Ladenetzes für E-Lkw sind einfach zu hoch.
H₂News: Darüber hinaus sind Sie auch im maritimen Segment aktiv.
Limbrunner: Korrekt. Für Schiffe dürfte es ab 2026 oder -27 richtig interessant werden. Dann sollen neue Emissionsvorschriften greifen, die sich nicht mit Flüssiggas (LPG) realisieren lassen. Und Batterien sind für viele Schiffsanwendungen nicht geeignet. Der maritime Sektor hadert insgesamt mit den neuen Energieträgern, weil jeder eine geringere Energiedichte hat als Diesel. Die Binnen- und die küstennahe Schifffahrt werden daher als erste auf alternative Kraftstoffe umstellen können. Aktuell entscheidet es sich wohl zwischen Methanol und Ammoniak.
H₂News: Last but not least betreiben Sie noch das Schienen- oder Rail-Segment.
Limbrunner: Wasserstoff-Züge können überall dort eine Rolle spielen, wo nicht genügend Oberleitungen für die Elektrifizierung des Zugverkehrs zur Verfügung stehen. Im Moment läuft das Geschäft hier eher schleppend, die Zughersteller in diesem Segment – “Siemens”, “Stadler” und so weiter – produzieren nur geringe Stückzahlen. Proton Motor sieht den Schienenbereich in den nächsten Jahren größtenteils als ein Projektgeschäft, da der Oberleitungsbau forciert wird. In Ländern, in denen der Oberleitungsbau schleppender vorangeht, wie z.B. in England, ist jedoch Potenzial vorhanden.
H₂News: Sie sind also in vielen Marktsegmenten aktiv. Was sehen Sie als wichtigsten, übergreifenden Trend an?
Limbrunner: Es werden umfangreiche Fördermittel für Großprojekte ausgeschüttet, aber da geht es in der Regel um die Schwerindustrie wie etwa Stahl. Wir merken derzeit eine gewisse Zurückhaltung bei der Nachfrage. Die rührt daher, dass wichtige Marktaktivierungshebel sowie Entscheidungsgrundlagen seitens der Politik ausbleiben – natürlich auch wegen des Urteils vom Bundesverfassungsgericht zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) im November 2023. Es besteht daher die Gefahr, dass wir Wasserstoff für uns selbst produzieren und transportieren, dabei die entsprechende Technologie aus dem Ausland beziehen, weil die Unternehmen aufgegeben haben oder weggezogen sind, bevor es so weit ist. Noch ist das Wasserstoff-Business kein Markt: Es ist ein Markt, der noch entstehen muss.
H₂News: Dazu fordern Sie eine Förderung der gesamten Wertschöpfungskette. Aktuell fließt das meiste Geld in große Projekte zur Produktion oder zur Anwendung in der energieintensiven Industrie.
Limbrunner: Ja, mit den drei Milliarden Euro, die in die Wasserstoffprojekte der Stahlindustrie geflossen sind, hätten wir sehr viele kleinere, dezentrale Projekte für mehr Sichtbarkeit ermöglichen können. Denn noch wichtiger als Förderung ist die Marktaktivierung der Endkunden. Diese hilft, das Produkt für den Endkunden billiger zu machen, damit dieser mehr bestellt. Dadurch können wir größere Stückzahlen produzieren, wodurch wiederum Preise und Kosten sinken. Das macht unsere Produkte attraktiver, wodurch sich die positive Spirale für alle Marktmechanismen bewegt.
H₂News: Herr Limbrunner, vielen Dank für das Gespräch!
Anmerkung: Das Interview wurde im Sommer 2024 geführt, vor der Ankündigung des Proton-Motor-Hauptinvestors, sich bis Ende 2024 aus der Finanzierung zurückzuziehen.
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