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„Gerade entsteht eine substanzielle Wasserstoffindustrie“

Seit dem 1. Oktober heißt die Augsburger MAN-Tochter H-Tec Systems Quest One. Einen Tag zuvor eröffnete das Unternehmen in Hamburg eine neue Forschungs- und Produktionsstätte, den Gigahub. Gute Gründe für ein Interview mit Executive Vice President Dominik Heiß. Im Gespräch erläutert Herr Heiß zudem die Vorzüge der PEM-Elektrolyse und gibt Einblick in die Hoffnungen und Herausforderungen eines Elektrolyseurherstellers in der aktuellen Phase des Wasserstoffhochlaufs.

von | 02.10.24

Vor seiner Zeit als Executive Vice President Strategy & Product bei Quest One war Dominik Heiß über sieben Jahre bei MAN Energy Solutions beschäftigt
© Quest One
Heiß

H₂News: Herr Heiß, „H-Tec Systems” wurde kürzlich in „Quest One” umbenannt. Ist mit der Namensänderung auch ein Wandel Ihres Geschäftsmodells verbunden?

Dominik Heiß: Nein, der neue Name soll unser Geschäftsmodell und vor allem unsere Mission noch besser zum Ausdruck bringen. Wir haben die Eröffnung unseres Gigahubs in Hamburg zum Anlass genommen, die schon länger geplante Umbenennung zu realisieren. Auch der geplante Markteintritt in den USA spielte eine gewisse Rolle: Wir erweitern derzeit unseren Standort in Houston, Texas, quasi im Herzen der US-Energieindustrie.

H₂News: Ihr Geschäftsmodell bleibt also dasselbe – Sie entwickeln, produzieren und vermarkten PEM-Elektrolyseure. Wieso setzen Sie eigentlich auf die PEM-Technologie?

Heiß: Quest One forscht und entwickelt seit über 25 Jahren im Bereich der Wasserstofftechnologie. Dabei hat sich schon sehr früh herauskristallisiert, dass die PEM-Elektrolyse technische Vorteile besitzt, über die andere Elektrolysetechnologien nicht verfügen.

Heiß

Bei der Gigahub-Eröffnung: Senatorin Dr. Melanie Leonhard, Robin von Plettenberg, Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher, Bundeskanzler Olaf Scholz, Dr. Uwe Lauber, Gunnar Kilian, Hans Dieter Pötsch, Antje Laenen (© Quest One)

H₂News: Welche sind das?

Heiß: Ganz zentral ist die Fähigkeit, mit elektrischen Lastwechseln umgehen zu können. Das ist bei der Nutzung von erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarkraft essenziell: Beide sind sehr volatil und brauchen daher eine Technologie, die mit Leistungsschwankungen zurechtkommt. Die PEM-Elektrolyse eignet sich daher ideal für ein Energiesystem mit einem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien. Sie erfüllt damit einen doppelten Nutzen: Sie produziert nicht nur grünen Wasserstoff, sondern kann auch das Stromnetz stabilisieren und schwankende erneuerbare Energien integrieren.

H₂News: Wie schneidet die PEM-Elektrolyse bei der Wirtschaftlichkeit ab?

Heiß: Die PEM-Technologie zeichnet sich durch eine hohe Effizienz aus – das ist ein weiterer Vorzug. Die Wirtschaftlichkeit wird maßgeblich von der energetischen Effizienz bestimmt, also von der Menge an Strom, die notwendig ist, um ein Kilogramm Wasserstoff zu erzeugen. Dabei kommt die PEM schon heute auf Werte von ca. 75 Prozent. Bei der Nutzung der entstehenden Abwärme erhöht sich diese nochmal deutlich.

H₂News: Was kann die PEM ansonsten besonders gut?

Heiß: Weitere Vorteile sind ein geringer Platzbedarf sowie die hohe Reinheit des produzierten Wasserstoffs. Außerdem benötigt man für den Betrieb eines PEM-Elektrolyseurs, im Gegensatz zu alkalischen Anlagen, keine aggressiven Chemikalien. Die Technologie ist zudem seit Jahren erprobt und gut skalierbar.

H₂News: Häufig wird kritisiert, dass die Stacks von PEM-Elektrolyseuren auf seltene und teure Edelmetalle wie Platin und Iridium angewiesen sind.

Heiß: Das Thema bildet einen Schwerpunkt der Forschungsaktivität in unserem neuen Gigahub. Wir arbeiten intensiv an der Optimierung der Stacks, gemeinsam mit unseren Technologiepartnern und Lieferanten. Unser Ziel ist, den Anteil der seltenen Materialien maximal zu reduzieren und langfristig ganz darauf zu verzichten. Zudem verfolgen wir die internationale PEM-Forschung und sehen deutliche Fortschritte. Es wird also sicher etwas passieren, und bis dahin setzen wir auf eine Technologie, die einsatzbereit, erprobt und effizient ist.

H₂News: Sie haben den neuen Gigahub in Hamburg angesprochen. Worum handelt es sich dabei genau?

Heiß: Der Gigahub ist sowohl Produktions- als auch Entwicklungsstandort. Quest One hat zwei zentrale Standorte in Deutschland: Hamburg und Augsburg. In Hamburg dreht sich alles um den Stack, das Herzstück oder den Motor eines Elektrolyseurs. In Augsburg dreht sich hingegen alles um die restliche Anlage, also um die Komponenten, mit denen der Stack ein integriertes System bildet – quasi die Karosserie für den Motor.

H₂News: Im Gigahub zielen Sie auch auf die Serienfertigung der PEM-Stacks.

Heiß: Ja, denn die Stack-Produktion ist ein Bottleneck für den Markthochlauf. Heute erfolgt in dem Herstellungsprozess vieles noch manuell. Für die aktuelle Marktgröße ist das Produktionstempo angemessen, aber wenn wir künftig unseren Output deutlich vergrößern und die Anlagen hochskalieren wollen, muss die Produktion automatisiert und industrialisiert werden. Das haben wir mit dem Gigahub in Angriff genommen.

H₂News: Wie weit sind Sie mit der Skalierung Ihrer Elektrolyseure?

Heiß: Heute bieten wir Anlagengrößen zwischen einem und mehreren hundert Megawatt an. Zum Vergleich: Mit einem Megawatt lassen sich bis zu 150 Tonnen Wasserstoff pro Jahr produzieren. Bei 100 Megawatt sind es jährlich also 15.000 Tonnen – damit kann man schon viele industrielle Prozesse betreiben. Für kleinere, dezentrale Elektrolyseprojekte bieten wir den containerisierten ME450 mit einer Anschlussleistung von einem Megawatt an. Großprojekte realisieren wir mit unseren Kunden mit unserer Modularen Hydrogen Plattform oder auch MHP, die von 10 Megawatt bis zu mehreren hundert Megawatt skaliert werden kann.

H₂News: Sie skalieren also die Anlagen und versuchen parallel, die Produktion zu automatisieren?

Heiß: Richtig. Darum geht es in unserem Gigahub: Wir werden die industrielle Produktion der Stacks hochfahren und die manuelle Fertigung schrittweise automatisieren. Da sich unser Forschungsteam dort nah an der Fertigung befindet, können sich die Bereiche gegenseitig befruchten.

Heiß

ME450-Elektrolyseur (© Quest One)

H₂News: Mit welchen Fertigungskapazitäten rechnen Sie im Gigahub?

Heiß: Wir starten mit einer jährlichen Produktionskapazität von ca. einem Gigawatt bis 2026. Bei voller Ausbaustufe werden wir eine Kapazität von über fünf Gigawatt erreichen. Wir haben dort also großes Potenzial für die Zukunft geschaffen.

H₂News: Inwiefern profitieren Sie dabei von Ihrer Einbettung in den MAN und VW-Konzern?

Heiß: Als hundertprozentige MAN Energy Solutions-Tochter haben wir die finanzielle Sicherheit, um über die nächsten Jahre unsere Standorte auszubauen und unser Produktportfolio weiter zu entwickeln. Trotzdem bleiben wir selbstständig und agil, was in der schnelllebigen Wasserstoff-Industrie von Vorteil ist. Zudem wird es für OEMs wie uns immer wichtiger, Großprojekte abwickeln zu können. Auch hier profitieren wir von der langjährigen Erfahrung von MAN mit einem internationalen Service-Netzwerk aus 130 Standorten. Und bei der Industrialisierung profitieren wir zudem von den Erfahrungswerten des VW-Konzerns in Sachen Automatisierung und Lieferkettenmanagement.

H₂News: Stichwort Automobilindustrie: Halten Sie es für möglich, dass Elektrolyseanlagen irgendwann so automatisiert gefertigt werden können, wie es heute bei Autos der Fall ist?

Heiß: Teilweise schon, wir nutzen heute schon Know-How aus der Automobilproduktion für Montageprozesse. Wir werden vermutlich nicht vergleichbare Stückzahlen produzieren, können aber auf vergleichbare Montagehilfen zurückgreifen und unser Fabrik-Layout ähnlich gestalten, um die Effizienz der Prozesse zu steigern.

H₂News: Was beschäftigt Quest One derzeit am meisten, abgesehen von Forschung und Entwicklung und Skalierung?

Heiß: Ein weiterer Fokus liegt darauf, Erfahrungen mit unterschiedlichen Applikationen zu sammeln. Je nach Projekt werden unsere Elektrolyseure immer in anderen Zusammenhängen und mit wechselnden Betriebsmodi eingesetzt – eine ausgezeichnete Quelle für Daten, die uns bei Weiterentwicklung unserer Produkte und späteren Projekten zugutekommen.

H₂News: Können Sie bestimmte Projekte hervorheben, die diese Bandbreite der Anwendungen demonstrieren?

Heiß: Zum einen sind unsere Elektrolyseure in klassischen Verbundprojekten im Einsatz, wo die ganze Wasserstoff-Wertschöpfungskette von der Stromproduktion bis zur Anwendung demonstriert wird. Ein gutes Beispiel ist das Projekt eFarm in Nordfriesland. Zum anderen sind wir an wissenschaftlichen Forschungsprojekten wie dem Hydrogen Lab Bremerhaven beteiligt. Dort entsteht gerade eine weltweit einmalige Testumgebung für Elektrolyseure und Brennstoffzellen. Darüber hinaus beteiligen wir uns an diversen Power-to-X-Applikationen zur Dekarbonisierung der Stahl- oder Chemieindustrie und an Projekten, in denen grüner Wasserstoff ins Gasnetz eingespeist wird. Natürlich ist auch die Mobilität ein wichtiges Thema, insbesondere Langstreckenapplikationen wie Busse und Lkw.

H₂News: Aus welchem Sektor stammt momentan die größte Nachfrage für Ihre Elektrolyseure?

Heiß: Aktuell kommt noch viel aus der Mobilität, aber die Bandbreite der Anwendungsbereiche ist groß. Größere Aufträge werden künftig aber aus der Industrie kommen, weil es für die Dekarbonisierung vieler Industrieprozesse keine Alternativen zum grünen Wasserstoff gibt. Ein naheliegender Anwendungsbereich ist natürlich, erstmal den heute üblichen grauen Wasserstoff durch CO2-frei erzeugten Wasserstoff zu substituieren.

Stack-Produktion im GIgahub (© Quest One)

Stack-Produktion im GIgahub (© Quest One)

H₂News: Welche Rahmenbedingungen sind am wichtigsten, damit sich Ihr Geschäft wie geplant entwickeln kann?

Heiß: Wir brauchen Planungssicherheit. Das gilt für die ganze H2-Industrie: Planungssicherheit ist sowohl für Hersteller wie uns unabdingbar, die viel Geld in ihre Produktionsmittel investieren, als auch für die Anwender, die Elektrolyseure einsetzen und einen Bedarf an grünem Wasserstoff haben. Für beide Seiten ist es Gift, wenn regulatorische Unklarheit herrscht. Mit RED II oder dem IRA sind wichtige Grundsteine gelegt worden, da immerhin definiert wurde, was grüner Wasserstoff ist. Das kann aber nur der Anfang sein.

H₂News: Weiten wir nochmal den Blick: In welcher Phase des Wasserstoffhochlaufs befinden wir uns aktuell?

Heiß: Nachdem wir Anfang der 2020er einen Hype erlebt haben, sehen wir momentan eine gewisse Ernüchterung. Wahrscheinlich hatten alle Akteure bei der Schaffung von Rahmenbedingungen und der Realisation von Großprojekten mehr Tempo erwartet. Inzwischen hat sich ein gewisser Realismus eingestellt und wir verstehen, dass es mehr Zeit braucht. Nichtsdestotrotz ist der Hochlauf ins Rollen gekommen. Es werden sowohl große als auch kleine Projekte über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg realisiert, es wird Erfahrung gesammelt, es werden technische Probleme aus der Welt geschafft. Eine substanzielle Industrie entsteht, die auch Investoren signalisiert, dass künftig mehr Geld bereitgestellt werden kann. Das wird für noch mehr Sicherheit und Vertrauen in die Zukunft des Wasserstoffs führen.

H₂News: Überwiegt bei Ihnen persönlich also die Ernüchterung oder der Optimismus?

Heiß: Der Optimismus. Und das sage ich nicht leichtfertig. Für mich ist die zentrale Frage, ob die Fundamentaldaten in die richtige Richtung zeigen. Dabei blicken wir auf zwei Aspekte: Zum einen die Energiewende und zum anderen den Stellenwert von Wasserstoff für diese Energiewende. Und bei beidem sind wir “on track”. Wir sehen nach wie vor den politischen Willen der Weltgemeinschaft, die Energiewende zu realisieren und den Klimawandel einzudämmen. In der Gesetzgebung tut sich einiges. Auch an den zweiten Aspekt können wir ein Häkchen setzen: Wasserstoff wird für die Energiewende eine essenzielle Rolle spielen. Besonders industrielle Prozesse benötigen zur Dekarbonisierung ein grünes Molekül, und da gibt es keine Alternative zum Wasserstoff. Daher wird davon ausgegangen, dass grüner Wasserstoff bis 2050 ungefähr 10 bis 20 Prozent zur globalen Emissionsreduzierung beitragen wird.

H₂News: Das Potenzial ist also gigantisch.

Heiß: Genau, es entsteht da gerade ein riesiger Markt, und das ist für uns entscheidend. Ob ein Großprojekt nun ein Jahr früher oder später kommt, ist vielleicht kurzfristig relevant, spielt langfristig für die Industrie aber keine so große Rolle. Deswegen investieren wir heute in den Gigahub, deswegen bauen wir unser Team aus, deswegen entwickeln wir unsere Produkte weiter und arbeiten an der Industrialisierung und den Lieferketten, damit auch unsere Lieferanten die Kompetenzen und Kapazitäten haben, wenn es so richtig losgeht.

H₂News: Für das Gelingen des Hochlaufs wird letztlich die Investitionssicherheit entscheidend sein.

Heiß: Ja, das Thema betrifft alle, die in der Wertschöpfungskette aktiv sind. Wir haben in Europa die einmalige Situation, in vielen Aspekten der Wasserstoffwirtschaft Vorreiter zu sein. Diesen Vorteil sollten wir jetzt nicht leichtfertig verspielen, denn die Konkurrenz, insbesondere aus Fernost, wird kommen. Europa wäre gut beraten, die heimische Wasserstoffindustrie anfangs stärker zu unterstützen und gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Andernfalls verliert es sie vielleicht, während sie gerade noch im Hochlauf steckt.

H₂News: Herr Heiß, vielen Dank für das Gespräch!

 

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