24. Juni 2024 | Wasserstoff hat keine Chance auf dem Wärmemarkt, lautet die gängige Meinung. Hyting ist ein 2021 gegründetes Start-up, das dieses Vorurteil widerlegen will. Gründer Tim Hannig hat über 25 Jahre Berufserfahrung aus der Gabelstapler- und Automobilindustrie und war selbstständiger Berater. Seit 2020 widmet er sich der Wärmeerzeugung aus Wasserstoff. Dabei verfolgt sein Hyting einen neuen Ansatz: Das Zauberwort heißt Katalyse. Was das bedeutet erklärt der Gründer im Interview.
H₂News: Herr Hannig, welches Problem adressieren Sie mit Hyting?
Tim Hannig: Wir wollen kostengünstige Wärme aus Wasserstoff erzeugen. Stationäre Brennstoffzellen oder wasserstoffbetriebene BHKWs produzieren zwar neben Strom auch Wärme, allerdings lässt diese nicht kosteneffizient von der Stromerzeugung entkoppeln. Wärme ist im Gegensatz zu Strombedarf aber stark zyklisch und saisonal geprägt.
H₂News: Und Sie wollen Wasserstoff daher direkt in Wärme umwandeln?
Hannig: Genau. Dafür ist die einfachste Variante natürlich das Verbrennen. Das ist aber gefährlich, teuer und nicht klimaneutral: Bei der Verbrennung entstehen Stickoxide, und aufgrund der potenziellen Flammenrückschläge ist der Prozess schwer zu kontrollieren. Allerdings lässt sich Wasserstoff auch katalytisch oxidieren. Und wenn ein Katalysator die Reaktion zwischen Wasserstoff und Sauerstoff hervorruft, kommt es ähnlich wie bei einer Brennstoffzelle zu einer exothermen Reaktion, die quasi emissionsfreie Wärme erzeugt.
H₂News: Was genau ist der Unterschied zwischen Katalyse und Verbrennung?
Hannig: Für eine Verbrennung braucht es einen Funken und eine Mindesttemperatur. Beides benötigt ein katalytischer Prozess nicht – er startet sozusagen von allein. Um ihn auszulösen, mischen wir Wasserstoff mit der Umgebungsluft. Dabei führen wir den Wasserstoff in einer Konzentration ein, die sich unter der UEG (untere Explosionsgrenze) befindet. Ein Gas-Luft-Gemisch brennt erst ab einer bestimmten Mindestkonzentration. Für Wasserstoff liegt diese bei 4 %. Wir mischen der Luft daher nur 3 % Wasserstoff bei, sodass kein gefährliches System entstehen kann. Das Gasgemisch ließe sich also gar nicht anzünden, kann aber katalytisch reagieren. Dann regen wir durch einen Katalysator die chemische Reaktion zwischen Wasserstoff und Sauerstoff an, bei der heiße Luft entsteht – Wärme.
H₂News: Welche Vorteile hat diese katalytische Reaktion gegenüber der klassischen Verbrennung?
Hannig: Sie ist einfach, sicher, effizient und emissionsfrei. Ein katalytisch betriebenes Heizgerät hat einen relativ simplen Aufbau. Zudem ist das Gerät inhärent sicher, da keine brennbaren Gasgemische entstehen. Außerdem ist es extrem effizient, weil wir den warmen Luftstrom direkt zum Heizen nutzen können und es keine Verluste über Wärmetauscher gibt. Außerdem ist der Prozess vollständig emissionsfrei, denn aufgrund der vergleichsweise niedrigen Temperaturen entstehen keinerlei Stickoxide oder Feinpartikel. Dank dieser Vorzüge eignet sich die Technologie optimal für das Beheizen von Gebäuden, aber perspektivisch auch für andere Anwendungen.
H₂News: Gibt es bereits katalytische Heizsysteme?
Hannig: Ja. Das Prinzip des Katalysators ist vergleichbar mit dem einer Brennstoffzelle. Der Unterschied ist, dass in einer Brennstoffzelle der Wasserstoff und die Luft nicht erst vermischt werden, sondern sich direkt am Katalysator treffen, wobei Strom, Wärme und Wasser entstehen. Auch Infrarotgrills funktionieren katalytisch, da sie ja auch nicht mit einer Flamme die Luft erhitzen, sondern ihre Energie erst beim Auftreffen mit dem Grillgut in Wärme überführen. Katalytische Verfahren sind also schon etabliert, aber ein Gasgemisch in nicht brennbaren Konzentrationen vor zumischen und dann katalytisch reagieren zu lassen, ist aus unserer Sicht neu.
H₂News: Was sind die höchsten Temperaturen, die Ihr System erzeugen kann?
Hannig: Im mittleren Temperaturbereich erreichen wir bis zu 350 Grad Celsius. Für Prozesse wie Backen und Trocknen ist es also ohne Weiteres geeignet. Perspektivisch könnten auch noch höhere Temperaturen möglich sein.
H₂News: Man könnte ihr System also überall nutzen, wo Wärme gebraucht wird?
Hannig: Genau. Unsere erste Applikation ist eine wasserstoffbetriebene Gebäudeheizung, die Umgebungsluft nutzt. Wir fokussieren uns dabei speziell auf den Industrie- bzw. Gewerbesektor, weil dort heute schon vielfach Wasserstoff genutzt wird. Noch ist Wasserstoff ja nicht ohne Weiteres im Netz verfügbar. Wir gehen davon aus, dass das noch viele Jahre dauern wird – aber wenn es so weit ist, könnte die Technologie durchaus einen Massenmarkt finden.
H₂News: Können Sie schon etwas zu den Modellen sagen, die Sie entwickeln?
Hannig: Wir wollen die Wärmegeneratoren in fünf verschiedenen Leistungsklassen anbieten: 10, 25, 50, 150 und 300 kW. Ich denke, dass wir damit den größten Teil der Anwendungen bis 350 Grad abdecken können. Die Anschaffungskosten werden mit denen von Gasthermen vergleichbar sein. Wir sind zwar noch nicht in der Serienproduktion, aber wir können ein solches Gerät schon heute zu marktfähigen Preisen herstellen.
H₂News: Und die Betriebskosten dürften maßgeblich von der Verfügbarkeit und dem Preis des Wasserstoffs abhängen.
Hannig: Genau. Außerdem sind 1 bis 1,5 % der Heizleistung elektrische Leistung, die für die interne Elektronik des Systems verwendet werden, also Gebläse, Pumpen und so weiter. Einmal im Jahr machen wir dann eine Begehung und warten die Anlage bei Bedarf. All das ist mit regulären Gasthermen oder Wärmepumpen vergleichbar.
H₂News: Und dieses Heizsystem haben Sie komplett selbst entwickelt?
Hannig: Genau, es ist alles Marke Eigenbau. Das System ist aber nicht in meiner Garage, sondern in Zusammenarbeit mit verschiedenen Entwicklungspartnern entstanden. Kürzlich haben wir den vierten Prototypen entworfen, der bereits sehr gut funktioniert. Gleichzeitig stehen wir kurz vor dem Abschluss einer wichtigen Partnerschaft mit einem großen Unternehmen. Mit ihm werden wir Feldtests durchführen und die Serienentwicklung in Angriff nehmen. Es handelt sich also gleichzeitig um einen Entwicklungs- und Montagepartner.
H₂News: In den letzten Jahren hieß es oft, dass Wasserstoff im Wärmemarkt keine echte Zukunft habe und man für eine Dekarbonisierung des Sektors eher auf Wärmepumpen setzen solle.
Hannig: Zunächst muss man sagen: Das ist eine sehr deutsche Sichtweise. In den Niederlanden gehen die Versuche mit Wasserstoff als Heizmittel beispielsweise deutlich weiter als in Deutschland. Hier sagt die Politik, wir sollten den Wasserstoff nur für Sektoren verwenden, die besonders schwer zur dekarbonisieren sind. Unsere Auffassung ist, dass wir Wasserstoff überall dort verwenden sollten, wo es besonders einfach ist, zu dekarbonisieren. CO2 sparen ist immer gut.
H₂News: Was entgegen Sie dem Vorwurf, dass Wärmepumpen effizienter seien?
Hannig: Dieser Hinweis ist absolut zulässig. Wir sehen unser System aber nicht unbedingt als Wettbewerber zur Wärmepumpe, sondern als Ergänzung zu ihr. Teilweise kann auch ein Hybridbetrieb sinnvoll sein. Das Problem besteht ja in der schwankenden Verfügbarkeit regenerativer Energie, die gespeichert werden muss. Wenn wir sie in Form von Wasserstoff speichern, muss sie erst rückverstromt werden, damit man eine Wärmepumpe damit betreiben kann. Das Gesamtsystem ist also einfacher und effizienter, wenn man die in Wasserstoffform gespeicherte Energie über eine Wasserstoffheizung direkt verwärmt. Darüber hinaus besitzen Wärmepumpen in besonders kalten Lagen eine sehr niedrige Effizienz.
H₂News: Wie würde die Kombination Ihrer Heizung mit einer Wärmepumpe konkret aussehen?
Hannig: Gerade in größeren Gebäuden wäre eine Lastaufteilung von 85 % Wärmepumpe und 15 % H2-Heizung denkbar. Während die Wärmepumpe also 85 % des gesamten Heizbedarfes übernimmt, könnte unser System als Spitzenlastheizsystem fungieren, das die 15 % Spitzenlast an kälteren Tagen durch Wasserstoff zuheizt. Wir können es aber auch allein nutzen, oder natürlich auch als Backup-System. Das wäre zum Beispiel für den Bereich Industrial Farming relevant, also für Gewächshäuser. Damit diese konstant Obst und Gemüse produzieren können, müssen sie kontinuierlich mit Wärme versorgt werden. Und wenn man das klimaneutral machen möchte, sind Back-Up-Systeme gerade für die kalte Jahreszeit, in der nicht genügend erneuerbarer Strom verfügbar ist, unabdingbar. Unsere Heizung kann als Back-Up sofort Wärme aus Wasserstoff erzeugen, wenn das strombetriebene Primärsystem ausfällt.
H₂News: Demnach muss immer genügend Wasserstoff zur Verfügung stehen, damit die H2-Heizung bei Bedarf einspringen kann.
Hannig: Genau. Nehmen wir ein neues Logistikzentrum als Beispiel. Es ist ziemlich groß, hat aber einen niedrigen Strombedarf. Gesetzlich ist es dazu verpflichtet, Photovoltaikflächen aufzubauen. Damit generiert es große Menge an Strom, hat aber einen relativ kleinen Verbrauch. Wenn die Betreiber des Zentrums diesen Strom im Sommer loswerden wollen, können sie es über ein Kabel ans Netz hängen. Teilweise kann es dabei dazu kommen, dass an sonnigen Tagen mit großem Stromangebot negative Einspeisevergütungen fällig werden. Im Winter reicht die Strommenge gerade zur Grundversorgung der Halle mittels Wärmepumpe aus. Die Energie reicht allerdings nicht, um an besonders kalten Tagen die Halle zu heizen. Unser Ansatz ist einfach: Mit der überschüssigen Energie wird im Sommer Wasserstoff erzeugt und gespeichert, damit unsere Wärmegeneratoren ihn im Winter für die Spitzenlasten verbrauchen können. So lassen sich durch ein Ausnutzen der natürlichen Energieschwankungen die Autonomie und Autarkie von Gebäuden erhöhen.
H₂News: Muss man sich dieses Versorgungssystem also immer im Verbund mit einem Elektrolyseur und einem Wasserstoffspeichertank vorstellen?
Hannig: Nein. Wo der Wasserstoff herkommt, ist letztlich egal. Wir sehen hier vier Möglichkeiten. Die erste und einfachste ist, das System dort zu nutzen, wo Wasserstoff ohnehin schon vorhanden ist. Bei der Chloralkali-Produktion entsteht beispielsweise Wasserstoff als Nebenprodukt, der sich verwärmen lässt. Zweitens kann der Wasserstoff aus einer entsprechenden Infrastruktur kommen; es gibt die Pläne für das Kernnetz sowie ein wachsendes Wasserstoffnetz in Städten wie Hamburg oder überregionale Pipelines wie in den Niederlanden oder im Ruhrgebiet. Drittens kann man den Wasserstoff selbst produzieren, zum Beispiel mit einem Elektrolyseur. Viertens gibt es die Möglichkeit, bestehende Gasverteilnetze umzuwidmen. Wir fokussieren uns anfangs auf die Bereiche, in denen Wasserstoff unkompliziert verfügbar ist, aber perspektivisch gibt es ein enormes Wachstumspotenzial.
H₂News: Welchen Reinheitsgrad muss der Wasserstoff denn besitzen?
Hannig: Die Reinheit ist unserem System ebenfalls egal. Bei stationären Brennstoffzellen gibt es sehr hohe Anforderungen an den Reinheitsgrad. Daher muss der Wasserstoff vor der Verwärmung in einer Brennstoffzelle getrocknet, gereinigt und komprimiert werden. Diese Aufbereitung macht einen Großteil der Wasserstoffkosten aus. Unser System verzichtet gänzlich auf Reinigung und Trocknung, und eine Kompression ist nur insofern nötig, als der Wasserstoff gespeichert werden muss. Das Gerät selbst arbeitet faktisch ohne Druck.
H₂News: Wie sind Sie dazu gekommen, Hyting zu gründen?
Hannig: Ich habe Maschinenbau studiert und danach in der Gabelstaplerindustrie gearbeitet. Schon damals, 2003, gab es dort Pilotprojekte mit wasserstoffbetriebenen Gabelstaplern. Daher rührt vielleicht meine Begeisterung für Wasserstoff. Nach 13 Jahren Produktentwicklung bei Kion bin ich in die Automobilindustrie gewechselt und habe bei Jaguar Land Rover neues Geschäftsfeld aufgebaut, quasi ein Start-up innerhalb eines großen Konzerns. 2019 bin ich von England zurück nach Deutschland gezogen und habe mich als Berater selbstständig gemacht. Die Themen Wasserstoff und Wärme faszinierten mich aber nach wie vor. Vor allem mit Brennstoffzellen habe ich mich privat immer beschäftigt, weil es eine fantastische Technologie ist, aber eben auch sehr komplex und teuer. Anfang 2021 habe ich dann Hyting gegründet; bis 2022 kamen zwei Mitgründer dazu. Wir haben erste Prototypen entwickelt, bei denen es zunächst nur darum ging, etwas zu erwärmen. Dann haben wir ein Heizlüftungsgerät gebaut, getestet und in die nächste Generation überführt. Jetzt haben wir, wie gesagt, einen Technologiepartner gefunden und suchen erste Kunden. Wir haben also sehr lange an dem Konzept gearbeitet und es zum Laufen gebracht, ohne darüber zu reden. Jetzt hoffen wir, dass entsprechende Interessenten auf uns zukommen.
H₂News: Also kann man sagen, Heizen mit Wasserstoff hat eine Zukunft?
Hannig: Definitiv – sonst würden wir das nicht machen.