Juni 2024 | ICODOS ist ein 2022 gegründetes Start-up aus Mannheim. Mit ihrer neuen Technologie wollen die drei Gründer den internationalen Methanol-Markt revolutionieren. Wie der Ansatz funktioniert und wie weit ICODOS schon gekommen ist, verrät der CEO des Unternehmens, David Strittmatter, im Interview.
H₂News: Herr Strittmatter, was ist, kurz gesagt, das Geschäftsmodell von ICODOS?
David Strittmatter: Wir wandeln schädliche Abgase auf eine CO₂-neutrale Art in E-Methanol um. Damit ermöglichen wir vielen Industrien einen klimafreundlichen Zugang zu dieser Schlüsselressource.
H₂News: Welche Branchen sind das vor allem?
Strittmatter: Vor allem Transportsektoren, die nicht elektrifizierbar sind – Schifffahrt, Luftfahrt und so weiter. Auch die Chemieindustrie benötigt große Mengen Methanol als Ausgangsstoff.
H₂News: Was unterscheidet Ihren Ansatz von dem der Marktbegleiter?
Strittmatter: Wir von ICODOS nutzen eine Produktionsroute, die nicht nur klimaneutral, sondern sowohl kosteneffizienter als auch flexibler ist als die unserer Wettbewerber. Und das in zwei Dimensionen: Einerseits in Bezug auf die Anlagengröße, andererseits hinsichtlich des Umgangs mit erneuerbaren Rohstoffen wie Strom und den CO₂.-Quellen. Das ermöglicht unseren Kunden wiederum eine deutlich schnellere Projektentwicklung und ganz neue Anwendungsfälle. Zudem ist unser E-Methanol am Ende rund 20 % günstiger als das der Wettbewerber.
H₂News: Wie genau funktioniert Ihre Technologie?
Strittmatter: Wir haben zwei Kerninnovationen, durch die sich die Anlage dynamisch und vollautomatisch betreiben lässt. Die Produktion verläuft in einem patentierten dreistufigen Prozess: CO₂-Absorption, CO₂-Desorption und die Methanol-Synthese. Es beginnt mit einer CO₂-Quelle. Die ICODOS-Technologie arbeitet dabei nicht mit Abscheidung aus der Luft oder Ozeanwasser, sondern mit CO₂ aus Punktquellen wie Fabrikschloten oder sonstigen Abgas-Vorrichtungen. Dabei sind wir sehr flexibel; das einzige Kriterium ist, dass der CO₂-Anteil des verwendeten Abgases größer als 2 % ist. Ungefähr 99 % aller Punktquellen aus Verbrennungs- oder Industrieprozessen erfüllen diese Anforderung.
H₂News: Statt in die Umgebungsluft gelangt das CO₂ also in den Absorber Ihrer Anlage.
Strittmatter: Exakt. Das Abgas strömt durch eine CO₂-Absorptionskolonne im Gegenstrom zu unserem Lösungsmittel in einen Stahlbehälter. Darin ist unser Lösungsmittel enthalten, das das CO₂-Molekül herauslöst und physikalisch bindet. Das nun CO₂-befreite Abgas wird dann zu 99 % wieder abgelassen. Das Lösungsmittel in der Kolonne ist dann hochkonzentriert mit CO₂ gesättigt und wird in die Desorptionskolonne geleitet. Dort lösen wir das CO₂ mittels Temperatur- und Partialdruckveränderung wieder heraus, woraufhin es zusammen mit von außen hinzugefügtem Wasserstoff in das Methanol-Synthese-Reaktorsystem fließt. Dort wird das CO₂ direkt hydriert und es entsteht ein Methanol-Wassergemisch. Wir produzieren im dritten Schritt also nicht nur Methanol, sondern auch Wasser. Denn das entstandene Methanol-Wassergemisch ist gleichzeitig wieder das Lösungsmittel für den ersten Schritt.
H₂News: Wie lösen andere Verfahren dieses Problem?
Strittmatter: Stand der Technik ist, dass man zum Beispiel mit Aminen ein separates Lösungsmittel anrührt, um das CO₂ chemisch zu binden. Unsere Technologie nutzt einzig und allein die Methanol-Wassermischung. Es wird also immer nur ein Teil des Methanols weiterverarbeitet, während ein anderer weiter als Lösungsmittel dient. Das ist unser Hybridprozess. Dieses System regeneriert sich kontinuierlich selbst, was viele Vorteile mit sich bringt.
H₂News: Könnte man das als Revolution im Methanol-Markt bezeichnen?
Strittmatter: Ja, denn die Art und Weise, wie wir mit ICODOS über E-Methanolproduktion nachdenken, ist konträr zu der Art, wie man heute fossiles Methanol herstellt. Wir denken Methanol neu. Konventionelles Methanol wird in riesigen Fabriken hergestellt, sogenannten World-Scale Anlagen, die Millionen von Tonnen im Jahr produzieren. Unsere kleineren, modularisierten Anlagen sind dagegen dezentral, flexibel und platzsparend.
H₂News: Und diesen Prozess haben Sie selbst entwickelt?
Strittmatter: Unser CTO Dr. Francisco Vidal Vázquez hat ihn am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entwickelt, wo er als Projektmanager angestellt war. Er ist einer der Erfinder des Patents. Wir bringen also das am KIT entwickelte Patent als Spin-Out in den Industriemaßstab und machen es unseren Kunden mittels unseres Anlagendesigns zugänglich. Das KIT ist dabei nach wie vor ein wichtiger Partner für unsere Forschung und Entwicklung.
H₂News: Wie ausgereift ist der Prozess aktuell?
Strittmatter: Das TRL (Technology Readiness Level) ist 6. Francisco hat 2019 mit dem Bau einer experimentellen Anlage am KIT angefangen und sie 2021 in Betrieb genommen. Auf dieser Grundlage konnten wir Forschungsgelder für unsere Pilotanlage einwerben und letztes Jahr den Betrieb starten.
H₂News: Welche Erfahrungen machen Sie mit Ihrer Pilotanlage am KIT gemacht?
Strittmatter: Wir testen aktuell den dynamischen Betrieb, Anfahr- und Abfahrprozesse, verschiedene Kapazitäten und so weiter. Wir können mit ihr viele Versuche durchführen; Wir probieren verschiedene Gasmischungen aus, beispielsweise mit wechselndem Kohlenstoffdioxid-Anteil – mit der Infrastruktur des KIT ist das möglich. Das gleiche gilt für den Strom: Unseren AEM-Elektrolyseur haben wir schon sehr früh in die Pilotanlage integriert. Im letzten Jahr haben wir dann sukzessive immer mehr Komponenten in Betrieb genommen und validieren nun das, was wir postuliert haben. Lassen Sie es mich so sagen: Es sieht alles gut aus.
H₂News: Der Prozess benötigt also eine externe Wasserstoffzufuhr bzw. -quelle?
Strittmatter: Ja. Und damit das Produkt grünes Methanol ist, muss es grüner Wasserstoff sein. Die Herkunft des Wasserstoffs entscheidet letztlich darüber, wie das erzeugte Methanol nach den Nachhaltigkeitskriterien der europäischen Taxonomie einzustufen ist. Wir könnten verfahrenstechnisch auch mit anderem Wasserstoff arbeiten, aber dann wäre das Produkt kein grünes Methanol, kein „Renewable Fuel of Non-Biological Origin“ (RFNBO), wie es die EU nennt. Die Regulatorik ist da sehr genau. Die Bezeichnung RFNBO erhält man nur bei Verwendung der grünen Wasserstoffroute und biogener Abgase.
H₂News: Also sind Sie letztlich e-Fuel Produzent?
Strittmatter: Nun, das grüne Methanol kann als E-Fuel für die Schifffahrt und zur Weiterverarbeitung zu Sustainable Aviation Fuels (SAF) in der Luftfahrt genutzt werden, aber auch als Chemikalie. In diesem Bereich ist die Taxonomie aber noch nicht so weit; es ist also noch nicht ganz klar, was genau eine CO₂-neutrale oder -negative Chemikalie ist. Aber Methanol ist im Gegensatz zu synthetischem Diesel oder Benzin kein reiner Treibstoff, sondern auch eine Chemikalie. Sogar eine sehr wichtige, ob als Lösungsmittel oder als Grundstoff für Polymere, Harze und Lacke.
H₂News: Die Chemieindustrie steht derzeit wegen der hohen Energiekosten enorm unter Druck. Kommt Ihr Anlagendesign dem entgegen?
Strittmatter: Absolut. Viele Unternehmen neigen dazu, ihre energieintensiven Prozesse auszulagern. Die Methanolproduktion ist ein typisches Beispiel dafür: Man führt die energieintensive Grundstoffproduktion zum Beispiel in Spanien durch und bringt das Methanol dann zur Veredelung nach Deutschland. Wenn man das Methanol aber in Deutschland produzieren will, muss man Energiekosten sparen – beispielsweise durch unsere Anlage.
H₂News: Aber Sie benötigen grünen Wasserstoff – treibt das die Kosten nicht wieder nach oben? Insbesondere, solange es keine Pipelines gibt.
Strittmatter: Ja, durch eine Ansiedelung des Elektrolyseurs direkt neben der Anlage erzielt man in den nächsten Jahren die niedrigsten Kosten. Aber das Pipeline-Netz wird kommen. Der Wasserstoff aus diesen Pipelines wird dann zuerst noch sehr teuer sein, weil die Infrastruktur an sich erstmal finanziert werden muss. Die ersten Kunden erwarten also einen Preisaufschlag. Das heißt, eine Ansiedlung des Elektrolyseurs wird lange die günstigste Variante bleiben, da Lagerungs- und Transportkosten von Wasserstoff immens hoch sind. Aber da ist unsere Technologie ganz flexibel. Unter dem Aspekt der Kostenoptimierung macht es übrigens Sinn, den Elektrolyseur etwas zu überdimensionieren und dafür weniger laufen zu lassen. Denn die Stromkosten sind mit Abstand der größte Kostentreiber bei der grünen Wasserstoffproduktion; und 5.000 Betriebsstunden sind viel günstiger als 7.000 bis 8.000 Betriebsstunden.
H₂News: Man kann Ihre E-Methanolanlage also immer als Komplex mit einem Elektrolyseur denken.
Strittmatter: Genau. Und in Europa gibt es überall potenzielle Abnehmer von Methanol. Unser Ziel ist daher, eine dezentrale Produktion in der Nähe des Verbrauchers zu ermöglichen. Aber was unsere Technologie eigentlich ermöglicht, ist, E-Methanol so kosteneffizient wie möglich zu produzieren. Manchmal ist es besser, etwas weiter weg vom Verbraucher, zu produzieren, dafür aber sehr günstig. Die Transportkosten von E Methanol sind nicht ansatzweise vergleichbar mit denen von Wasserstoff: Man muss es nicht mal kühlen, sondern kann es quasi transportieren wie Wasser. Daher kann man auch auf die bestehende Infrastruktur zurückgreifen.
H₂News: Können Sie die Anlagen in allen erdenklichen Größen dimensionieren?
Strittmatter: Wir gehen davon aus, dass alles ab 1.000 t CO₂ pro Jahr sinnvoll sein kann. Unsere ersten Anlagen sollen etwa 3500 t pro Jahr produzieren. Aber wenn es um den Bau größerer Anlagen geht ab 100.000 t pro Jahr geht wird es sehr projektspezifisch und ist mit modularen Lösungen nicht so einfach zu lösen. Allerdings gibt es keine echte Grenze für unsere Technologie, die Frage ist dann eher ökonomisch. Die nachhaltigen Rohstoffe sind begrenzt verfügbar; und es ist extrem schwer, große Mengen grünen Wasserstoffs an einer Stelle bereitzustellen. Man bräuchte schon einen eigenen Windpark von 4-5 GW für eine Methanolproduktion im konventionellen Maßstab.
H₂News: Sie haben vor Ihrer Zeit bei ICODOS als Strategieberater bei McKinsey & Company gearbeitet. Wie kam es zu diesem Wechsel?
Strittmatter: Mein Bezug zu dem Thema stammt vor allem aus der Erfahrung während meiner Strategieberatungszeit. Ich habe schon bei McKinsey oft im Wasserstoffbereich gearbeitet, etwa für Elektrolyseurhersteller. Ich habe mir damals auch andere Klimatechnologien wie Wärmepumpen, Pumpquellenkompressoren oder auch Schiffsmotoren für alternative Kraftstoffe angeschaut. Für mich war immer klar, dass ich was gründen werde. Ich habe dann den Sprung gewagt.
H₂News: Wie haben Sie den Umstieg von der weltweit größten Strategieberatung zu einem Methanol-Start-up erlebt?
Strittmatter: Bei McKinsey arbeitet man in einem sich sehr schnell verändernden Umfeld und vor allem projektbezogen in sehr kleinen Teams aus drei bis vier Personen. Gerade die ersten Monate in einem Start-up ähneln sehr der Arbeit in einer Strategieberatung.
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