H₂News: Herr Kocakerim, könnten Sie unseren Lesern einmal Ihr Unternehmen, Limak Cement, vorstellen?
Erkam Kocakerim: Limak Cement ist der zweitgrößte Zementhersteller der Türkei und gehört zu den Top 50 der globalen Zementindustrie. Wir betreiben insgesamt 11 Zementwerke in der Türkei, der Elfenbeinküste und Mosambik mit einer Gesamtproduktionskapazität von 18 Millionen Tonnen. Außerdem verfügen wir über 30 Transportbetonwerke und mehrere Abfall-zu-Brennstoff-Anlagen. Limak exportiert in 15 Länder auf vier Kontinenten. Besonders möchte ich unsere Innovationszentren hervorheben, mit denen wir auch unsere nachhaltige Transformation vorantreiben: ein F&E- und Innovationszentrum, ein Kompetenzzentrum, ein Zentrum für Klimawandel und Nachhaltigkeit sowie die Limak Cement Academy. Die Türkei ist übrigens ein wichtiger Standort im globalen Zementmarkt: Sie ist Europas größter Produzent, und weltweit liegt das Land auf Platz fünf. Gemessen am Export sind wir sogar die führende Zement-Nation mit 15 % Anteil am Welthandel.
H₂News: Welche Brennstoffe nutzen Sie aktuell für Ihre Produktion?
Kocakerim: Derzeit nutzen wir Kohle. Erdgas ist nur in Ländern mit eigenen Erdgasreserven wirtschaftlich rentabel für die Zementproduktion. Allerdings könnte es in Zukunft interessanter werden, da es die CO2-Emissionen im Vergleich zu Kohle um 40 % reduziert und auch weniger Schadstoffe wie SO₂ und NOx freisetzt. Die technische Umstellung wäre jedoch herausfordernd, da Erdgasflammen andere Eigenschaften als Festbrennstoffe haben und dies Anpassungen in der Produktion erfordern würde. Wichtig bei der Entscheidung für oder gegen Erdgas sind die Entwicklungen im europäischen Emissionshandel und bei der CO2-Besteuerung.
H₂News: Wie wurden Sie auf Wasserstoff als Brennstoff aufmerksam?
Kocakerim: Wir haben das Potenzial von Wasserstoff schon 2021 bei der Entwicklung unserer ersten Dekarbonisierungspläne erkannt. Da fast 40 % der CO2-Emissionen von Limak aus der Verbrennung stammen, ist die Suche nach alternativen Brennstoffen für uns von strategischer Bedeutung. Die Nutzung von grünem Wasserstoff sehen wir derzeit als einen der wichtigsten Hebel zur CO2-Reduzierung an. Denn Wasserstoff ist aufgrund seines hohen Heizwerts und seiner Zündeigenschaften besonders gut dafür geeignet, fossile Brennstoffe zu ersetzen.
H₂News: Wann haben Sie Ihr erstes Wasserstoffprojekt gestartet?
Kocakerim: Ende 2022 haben wir Planungsstudien zum Einsatz von grünem Wasserstoff gestartet, zunächst in geringen Mengen. Mit Air Liquide fanden wir dann einen starken globalen Partner für Versorgung, Transport und Technologie. Nach Abschluss der Projektstudien konnten wir im Juni 2024 erste Tests zur Wasserstoffverbrennung durchführen, um die optimale Einspeiserate zu ermitteln. Die ersten Projektziele waren klar definiert: Sichere Nutzung von grünem Wasserstoff in Zement-Drehrohröfen, Entwicklung von Transportlösungen, Untersuchung der Auswirkungen auf den AF-Einsatz und Qualitätssicherung der Zwischenprodukte.
H₂News: Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit Wasserstoff gemacht?
Kocakerim: Die ersten Versuche verliefen vielversprechend: Wir konnten eine 100-prozentige thermische Substitution im Kalzinator der Klinkerproduktion mit einer Mischung aus AF mit hohem biogenen Anteil und Wasserstoff erreichen. In der Region haben wir unsere AF-Nutzungsrate um bis zu 20 % gesteigert, bei gleichzeitiger Substitution von 3 % durch Wasserstoff. Dies zeigt das Potenzial, die CO2-Emissionen in jedem unserer mittelgroßen Zementwerke um jährlich 180.000 Tonnen zu reduzieren. Die nächsten sechs Monate sind bereits durchgeplant: Nach erfolgreichen Tests am Drehrohrofen-Kalzinator werden wir in Phase 2 und 3 sowohl den Kalzinator als auch den Hauptbrenner mit sauerstoffreicher Verbrennung testen.
H₂News: Welche alternativen Brennstoffe nutzen Sie neben Wasserstoff?
Kocakerim: In unseren Tests haben wir eine Mischung aus Biomasse (Hühnerabfälle), aufbereiteten Siedlungsabfällen (Refuse Derived Fuel, RDF) und Altreifen (Tire Derived Fuel, TDF) verwendet. Durch die Zugabe von 3 % Wasserstoff konnten wir im Kalzinator fossile Brennstoffe vollständig ersetzen, was 50 % der Gesamtwärme entspricht.
H₂News: Wirkt sich der Einsatz von Wasserstoff auch auf das Produkt aus?
Kocakerim: Auch hier sind unsere bisherigen Erfahrungen positiv. Dank seines hohen Heizwerts und der schnellen Zündung hilft Wasserstoff dabei, das gleiche thermische Profil im Klinkerproduktionsprozess aufrechtzuerhalten. Dies ist ein wichtiger Vorteil gegenüber alternativen Brennstoffen mit niedrigem Heizwert, hohem Feuchtigkeitsgehalt und großer Korngröße, die durch längere Zündzeiten den Produktionsprozess und das Produkt selbst beeinflussen können. Bei der Mischung mit Wasserstoff bleiben die Betriebsbedingungen die gleichen wie bei fossilen Brennstoffen – es gibt keine Auswirkungen auf das Endprodukt. Allerdings muss die optimale Wasserstoff-Substitutionsrate individuell bestimmt werden, basierend auf den Standortspezifikationen, den Eigenschaften der alternativen Brennstoffe und dem Prozesslayout. Um dieses Optimum zu finden, führen wir mit unserem Partner weitere Tests durch, bei denen wir verschiedene Szenarien und Brennstoffspezifikationen evaluieren.
H₂News: Beziehen Sie Ihren Wasserstoff ausschließlich von Air Liquide?
Kocakerim: Unsere Wasserstoff-Strategie basiert auf zwei Säulen: Zum einen führen wir aktuell Projekte mit unserem Partner Air Liquide durch, der uns grünen Wasserstoff in flüssiger oder gasförmiger Form liefert. Zum anderen planen wir den Aufbau einer eigenen Wasserstoff-Produktion durch Elektrolyseure direkt an unseren Standorten. Diese duale Strategie verfolgen wir aus wirtschaftlichen Gründen: Während die eigene Produktion langfristig die Betriebskosten senken soll, werden neue politische Instrumente wie der CO2-Grenzausgleich (CBAM) und das Emissionshandelssystem (ETS) zusätzliche Anreize für CO2-arme Brennstoffe schaffen. Mit Air Liquide arbeiten wir dabei nicht nur bei Transport und Lieferung zusammen, sondern auch bei der technischen Entwicklung und der Planung unserer ersten kleineren Elektrolyseur-Anlagen.
H₂News: Nutzen Sie CO2-armen oder erneuerbaren (blauen/grünen) Wasserstoff?
Kocakerim: Unser Fahrplan sieht die Installation von Elektrolyseuren für die Produktion von grünem Wasserstoff direkt an unseren Standorten vor. Bis 2050 soll Wasserstoff etwa 8 % der thermischen Substitution ausmachen, um gemeinsam mit alternativen Brennstoffen mit hohem biogenem Anteil fossile Brennstoffe vollständig zu ersetzen. Dafür planen wir zusätzliche Anlagen für erneuerbare Energien mit einer Leistung von rund 400 MW.
H₂News: Wie sehen Ihre nächsten Schritte aus?
Kocakerim: Derzeit laufen Tests zur Verbesserung der Verbrennung durch Zugabe von reinem Sauerstoff. Damit simulieren wir, wie sich der gesamte Output eines Elektrolyseurs effizient nutzen ließe. Die Ergebnisse erwarten wir im ersten Quartal 2025. Zudem planen wir für Anfang 2026 die Installation eines ersten Elektrolyseurs im Demonstrationsmaßstab in einem unserer Werke. Damit wollen wir nicht nur die kontinuierliche Nutzung von Wasserstoff und Sauerstoff in der Zementproduktion demonstrieren, sondern auch zur Entwicklung des Wasserstoff-Ökosystems in der Türkei beitragen.
H₂News: Welche Infrastruktur-Anpassungen sind für den Einsatz von H2 nötig?
Kocakerim: Zunächst muss die Versorgung sichergestellt werden – entweder durch eine Elektrolyse vor Ort oder durch externe Lieferung. Bei einer Vor-Ort-Produktion wird zusätzlich eine entsprechende Infrastruktur für erneuerbare Energien benötigt. Lagerung und Transport erfordern aufgrund der besonderen Eigenschaften von Wasserstoff – Stichwort Brennbarkeit – spezielle Tanks oder Pipelines. Auch die Zementöfen selbst müssen modifiziert werden, da Wasserstoff andere Verbrennungseigenschaften als fossile Brennstoffe hat. Dies betrifft vor allem die Brenner, Temperaturkontrollen und das Ofendesign. Besonders wichtig sind robuste Sicherheitsmaßnahmen wie Wasserstoff-Erkennungssysteme, Druckentlastungsventile und Flammensperren. Auch das Personal muss für den sicheren Umgang mit Wasserstoff geschult werden. Die Investitionen sind zwar umfangreich, aber für die Reduktion des CO2-Fußabdrucks unabdingbar.
H₂News: Wie ist die Türkei eigentlich in puncto Wasserstoff aufgestellt?
Kocakerim: Die türkische Regierung hat 2023 einen umfassenden Fahrplan für grünen Wasserstoff vorgestellt. Das Land hat großes Potenzial, zu einem wichtigen Wasserstoff-Exporteur zu werden – dank seiner reichhaltigen erneuerbaren Energiequellen (Wind, Solar, Wasserkraft und Geothermie) und der strategischen Lage zwischen EU, Nahem Osten und Nordasien. Die konkreten Ausbauziele sind ambitioniert: Bis 2030 sollen Elektrolyseure mit 2 GW Leistung installiert sein, bis 2035 bereits 5 GW und bis 2053 sogar 70 GW. Während die grundlegende politische Richtung damit vorgegeben ist, muss der regulatorische Rahmen für Sicherheit, Transport und Netzintegration noch weiter entwickelt werden. Ein besonderer Fokus liegt auf der Entwicklung regionaler Wasserstoff-Hubs in Metropolregionen. Diese sollen die bereits vorhandene Infrastruktur für Erdgas und Öl nutzen und durch Vernetzung einen landesweiten Zugang zur Wasserstoff-Wertschöpfungskette ermöglichen.
H₂News: Als abschließende Frage: Wo sehen Sie die Chancen und Herausforderungen für Wasserstoff in der Zementproduktion der Zukunft?
Kocakerim: Unsere bisherigen Erfahrungen mit Wasserstoff sind, wie gesagt, sehr ermutigend. Die erfolgreichen Tests zeigen, dass die Technologie praxistauglich ist. Entscheidend wird sein, dass sich parallel zur Zementindustrie das gesamte Wasserstoff-Ökosystem weiterentwickelt – von der Produktion über die Infrastruktur bis hin zu den rechtlichen Rahmenbedingungen. Hier sehen wir uns in der Rolle eines Pioniers, der aktiv zur Entwicklung dieses Ökosystems in der Türkei beiträgt. Wir sind überzeugt: Wer heute in eine Zukunftstechnologie wie Wasserstoff investiert, gehört morgen zu den Gewinnern der industriellen Transformation.
H₂News: Herr Kocakerim, vielen Dank für das Gespräch!
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