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„Ohne präzise Messtechnik wird grüner Wasserstoff nicht konkurrenzfähig”

Politische Debatten kreisen oft um Gigawattanlagen und Mega-Pipelines, aber im Alltag entscheidet die Qualität der Messtechnik über das Gelingen des Wasserstoffhochlaufs. Guy Deiber erklärt im Interview, wie Drucksensoren mit Keramik- und DMS-Messzellen den besonderen Anforderungen des Moleküls gerecht werden und gibt Einblicke in die H2-Strategien Deutschlands und Frankreichs – und was diese für einen Messtechnikanbieter bedeuten.

von | 28.02.25

Guy Deiber ist seit 2022 Product Manager bei Vega France
© Vega
„Ohne präzise Messtechnik wird grüner Wasserstoff nicht konkurrenzfähig”

H₂News: Herr Deiber, an welcher Stelle der Wasserstoff-Wertschöpfungskette ist Vega aktiv?

Guy Deiber: Wir sind in der gesamten Kette präsent, von der Erzeugung bis zum Verbrauch. Wasserstoff ist ja kein neues Phänomen, sondern wird schon seit Jahrzehnten industriell produziert und genutzt. Unsere wichtigste Kompetenz in diesem Bereich ist die Druckmessung. Wasserstoff wird gasförmig gewonnen und komprimiert; und an jeder Prozessstufe muss der Druck gemessen werden. Das gilt für grünen Wasserstoff vielleicht noch mehr als für grauen.

H₂News: Warum?

Deiber: Der Haken beim grünen Wasserstoff sind seine Produktionskosten. Eine präzise Messtechnik gewährleistet hier die Zuverlässigkeit aller Prozesse und minimiert Verluste. Ein weiterer Aspekt ist die Sicherheit: In einer mittelgroßen Wasserstofftankstelle sind etwa 20 Drucksensoren an strategischen Punkten installiert. Wir implementieren sie zum Beispiel vor und hinter Ventilen. Bei geöffnetem Ventil müssen die Druckwerte übereinstimmen – Abweichungen können frühzeitig auf Fehlerquellen hinweisen, damit der Nutzer Maßnahmen treffen kann. Diese “redundante” Messstrategie ist wesentlicher Bestandteil vieler Sicherheitskonzepte.

H₂News: Welche Anwendungen stehen aktuell bei Ihnen im Fokus der Messtechnik?

Deiber: Wir konzentrieren uns auf die Wasserstoffherstellung, etwa mit Füllstandsmessungen für Elektrolyseure. Bei einem PEM-Elektrolyseur wird das Wasser in zwei separaten Behältern gespeichert. Unsere Sensoren messen den Füllstand in beiden, um einen optimalen Betrieb sicherzustellen. Außerdem messen sie an mehreren Stellen die Drücke von Wasserstoff und Sauerstoff. Zu unseren Kunden zählen auch Hersteller von Kompressoren, die Wasserstoff auf bis zu 1000 bar verdichten, sowie Betreiber von Wasserstofftankstellen, die Wasserstoff für LKW bei 350 bar und für PKW bei 700 bar bereitstellen.

H₂News: Stellt Wasserstoff Herausforderungen an Sensortechnologie, die es zum Beispiel bei Erdgas nicht gibt?

Deiber: Ja, bei der Wasserstoff-Messung gibt es einige Besonderheiten, die auf seine atomaren Eigenschaften zurückzuführen sind. Bei der Elektrolyse entstehen Wasserstoffionen, die so klein sind, dass sie durch verschiedene Materialien, insbesondere Metalle, diffundieren können. Herkömmliche Drucksensoren haben damit ein Problem. Ihr Funktionsprinzip basiert auf einer Membran, die auf Druckänderungen mit minimalen, messbaren Verformungen reagiert. Bei konventionellen Sensoren mit Metallmembran können Wasserstoffionen durch die Membran diffundieren und in dahinterliegende Übertragungsmedien, zum Beispiel Öle, gelangen. Dort verbinden sie sich zu größeren Wasserstoffmolekülen, die nicht mehr zurückdiffundieren können. Dadurch bilden sich Gasblasen im Übertragungsmedium und es kommt zu immer stärkeren Messabweichungen, bis der Sensor letztlich komplett ausfällt.

H₂News: Wie löst Vega dieses Problem?

Deiber: Mit speziellen Druckmesszellen. Für Anwendungen bis 100 bar nutzen wir Keramikmesszellen, die durch ihre hochverdichtete Struktur eine hervorragende Diffusionsbarriere für Wasserstoff darstellen. Diese Sensoren besitzen eine extreme Robustheit, Abrasionsbeständigkeit und Resistenz gegen Druckspitzen. Die Wasserstoffdiffusion ist durch das keramische Material vernachlässigbar, wodurch es in Wasserstoffumgebungen außergewöhnlich lange stabil bleibt. 

Drucksensor mit ölfreier, keramischer Messzelle zur zuverlässigen Messung von gasförmigem Wasserstoff

Drucksensor mit ölfreier, keramischer Messzelle zur zuverlässigen Messung von gasförmigem Wasserstoff (© Vega)

H₂News: Allerdings kann der Druck in Anwendungen wie Speicheranlagen oder Betankungssystemen schnell jenseits der 100 bar liegen.

Deiber: Ja, und hier stoßen Keramiklösungen an physikalische Grenzen. Daher nutzen wir DMS-Messzellen, die auf einer anderen Messtechnologie basieren: Eine Metallmembran wird mit einer Dünnschicht-Widerstandsgruppe kombiniert, deren elektrische Eigenschaften sich unter Druckeinwirkung messbar verändern. Diese Membranen fertigen wir aus Elgiloy, einer hochwertigen Metalllegierung mit exzellenten mechanischen Eigenschaften. Obwohl Wasserstoff im geringen Maße auch durch dieses Material diffundieren kann, beeinträchtigt dies die Messfunktion nicht, da in der Zelle keine Flüssigkeit vorhanden ist, in der sich Gasblasen bilden könnten. Wir sprechen auch hier von einer trockenen Messzelle.

H₂News: Wie schlagen sich Ihre Sensoren denn in der Langzeitnutzung?

Deiber: Viele Prozesse und Technologien in der Wasserstoffwelt wurden erst in den letzten Jahren entwickelt – Langzeitdaten aus 10-15 Jahren Betriebserfahrung, wie sie in etablierten Industriezweigen vorliegen, fehlen in der Regel. Daher ist Praxiserfahrung besonders wertvoll: Unsere Sensoren sind seit 2017 in kommerziellen Wasserstofftankstellen im Einsatz. Bis heute zeigen sie eine konstante Messgenauigkeit ohne Degradation. Diese Langzeitstabilität ist ein entscheidendes Qualitätskriterium für Wasserstoffanwendungen, bei denen neben der Leistung vor allem die Zuverlässigkeit wichtig ist.

H₂News: Ein weiteres Schlüsselkriterium für Wasserstofftechnologien ist Materialsauberkeit. Inwiefern spiegelt sich das bei Vega-Produkten wider?

Deiber: Das stimmt, die Materialsauberkeit ist absolut entscheidend. Das gilt besonders beim ultrareinen Wasser für Elektrolyseuren: Selbst kleinste Verunreinigungen können die Membrane in einem Stack beschädigen. Deshalb müssen alle Komponenten streng definierte Reinheitsstandards erfüllen, um jegliche Kontamination des Prozesswassers zu vermeiden. Unsere Messgeräte unterliegen daher validierten Reinigungsprozessen gemäß dem ASTM G93-Standard oder auch EIGA 33/18, der Nachweismethoden für die technische Sauberkeit definiert. So werden keine schädlichen Substanzen in das System eingebracht, was Effizienz und Lebensdauer erhöht.

H₂News: Verlassen wir die Produktionsseite und wenden uns der Logistik zu: Welche Anforderungen stellen die unterschiedlichen Transportformen jeweils an die Messtechnik?

Deiber: Das ist tatsächlich in jedem Fall unterschiedlich. Bei gasförmigem Wasserstoff in Hochdrucktanks benötigen wir die schon erwähnten DMS-Messzellen mit Elgiloy-Membranen, die bis 1000 bar präzise messen können. Besonders anspruchsvoll für die Messtechnik ist der Transport als Flüssigwasserstoff (LH₂) bei -253°C. Hier müssen Sensoren extremen Temperaturbedingungen standhalten, was spezielle Materialien und angepasste Konstruktionen erfordert. In diesem Bereich haben wir eine Technologiepartnerschaft mit Spezialisten für Kryotechnik etabliert.

Drucksensor mit DMS-Messzelle zur Überwachung des Drucks in der Wasserstoffrohrleitung.

Drucksensor mit DMS-Messzelle zur Überwachung des Drucks in der Wasserstoffrohrleitung. (© Vega)

H₂News: Wie sieht es bei chemischen Trägern wie Ammoniak oder Methanol aus?

Deiber: Auch dort kommen unsere Messtechnologien zum Einsatz, wobei hier neben Druck- und Füllstandmessungen die Prozesssicherheit im Vordergrund steht. Welche Transportform sich langfristig durchsetzen wird, ist noch offen. Für uns als Messtechnikhersteller ist es also wichtig, ein breites Portfolio bereitzuhalten und flexibel auf die Marktentwicklung zu reagieren. Unsere modularen Sensorsysteme sind so konzipiert, dass sie an jede Transportform angepasst werden können.

H₂News: Sie arbeiten sowohl in Deutschland als auch in Frankreich. Wie unterschiedlich sind die Wasserstoffstrategien beider Länder?

Deiber: Der Hauptunterschied liegt in der Infrastruktur: Frankreich setzt regionale Hubs mit lokaler Produktion und Verbrauch, während Deutschland ein nationales Fernleitungsnetz aufbaut.

H₂News: Also verfolgt man in Frankreich einen eher “dezentralen” Ansatz?

Deiber: Genau. Unsere Hubs entstehen an strategischen Industriestandorten wie Dünkirchen in Nordfrankreich oder im Industriecluster um Marseille. Deutschland hingegen implementiert parallel zur lokalen Produktion ein nationales Wasserstoff-Kernnetz. Diese Infrastruktur erfordert zusätzliche Messtechnik in Verdichterstationen, Einspeisepunkten und Abnahmestellen. 

H₂News: Agiert Vega dann auch anders in seiner Wasserstoffstrategie?

Deiber: Die Vertriebsansätze und Produktkonfigurationen unterscheiden sich ein wenig, ja. In Frankreich arbeiten wir eng mit den Integratoren der Hub-Projekte zusammen, während wir in Deutschland zusätzliche Partnerschaften mit Infrastrukturbetreibern pflegen. Hier punkten wir mit Erfahrung aus dem Erdgassektor, die wir auf Wasserstoffanwendungen übertragen können.

H₂News: Zum Abschluss: Wie schätzen Sie die Zukunft der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland, Frankreich oder insgesamt ein?

Deiber: Wir bewegen uns derzeit von der Pilot- in die industrielle Phase. Die für 2030 gesteckten Ziele von 6,5 GW Elektrolysekapazität in Frankreich und 10 GW in Deutschland sind ambitioniert, aber erreichbar. Der entscheidende Faktor ist die Kostendegression: Grüner Wasserstoff muss konkurrenzfähig werden, was nur durch Skaleneffekte und technologische Verbesserung gelingen kann. Beides erfordert präzise Messtechnik. Unser Portfolio kann Prozesse sicherer und auch effizienter machen, denn jeder vermiedene Verlust erhöht die Wirtschaftlichkeit.

H₂News: Herr Deiber, vielen Dank für das Interview!

Mehr über Sensoren für die Wasserstoffwirtschaft von Vega

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