H₂News: Dr. Alexander Redenius, wie weit ist die Stahlbranche insgesamt in Bezug auf den Einsatz von Wasserstoff?
Dr. Alexander Redenius: Aktuell errichten wir wasserstofffähige Anlagen im industriellen Maßstab. Damit werden wir die ersten neuen Großverbraucher für Wasserstoff in Deutschland sein. Alleine die DRI-Anlage in Salzgitter kann rund 150.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr verwerten. Und das ist gut so: Für den Wasserstoffhochlauf braucht es große Ankerkunden wie uns, damit sich der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur lohnt.
H₂News: Gibt es ohne die Stahlindustrie keinen Wasserstoffhochlauf?
Dr. Redenius: Die Stahlindustrie ist jedenfalls ein sehr effizienter Verwerter von Wasserstoff. Das belegen zahlreiche Studien. Mit jeder eingesetzten Tonne Wasserstoff sparen wir nach einer Studie der Wirtschaftsvereinigung Stahl 2 Tonnen CO₂ ein.
H₂News: Daran arbeiten Sie in Salzgitter mit Ihrem SALCOS-Programm. Liegen Sie hier im Zeitplan?
Dr. Redenius: Mit der internen Realisierung von SALCOS ja. Die Planung für das Wasserstoff-Kernnetz hat sich lange verzögert, weshalb wir nach aktuellem Stand wahrscheinlich erst im Jahr 2029 angeschlossen werden. Glücklicherweise sind wir für den Produktionsbeginn auf der SALCOS-Route aber nicht auf das Kernnetz angewiesen, sondern werden mit unserem selbst produzierten Wasserstoff in Mischung mit Erdgas beginnen. Auf unserem Werksgelände in Salzgitter wird gerade umfangreich gebaut. Im Jahr 2026 werden wir hier eine 100-MW-Elektrolyseanlage, eine Direktreduktions-Anlage und einen Elektrolichtbogenofen in Betrieb nehmen. Wir sind da auf einem guten Weg.
H₂News: Wie kamen Sie eigentlich darauf, bei SALCOS auf Wasserstoff zu setzen?
Dr. Redenius: Es ist einfach der effizienteste Weg zur Dekarbonisierung. Für die Stahlproduktion benötigt man Eisen. In der Natur kommt dieses als Erz oder – chemisch ausgedrückt – Eisenoxid vor. Diesem Eisenoxid muss der Sauerstoff entzogen werden, damit man es nutzen kann – in der Fachsprache nennt sich dieser Vorgang Reduktion. Heute findet diese Reduktion im Hochofenprozess mit Hilfe von Kohlenstoff statt. Das Verfahren ist international etabliert, weil es heute das Ökonomischste ist. Allerdings emittiert es sehr viel CO₂. Man kann die Reduktion aber auch mit Wasserstoff vornehmen, wobei lediglich Wasserdampf als Nebenprodukt entsteht. Dieser Prozess, die sogenannte Direktreduktion (DR), ist die Grundlage von SALCOS.
H₂News: Wie wirtschaftlich ist der Einsatz von grünem Wasserstoff für Sie?
Dr. Redenius: Studien zeigen, dass grüner Wasserstoff mittelfristig günstiger sein wird als grauer. Das gilt auch für die grüne Stahlproduktion. Dafür sollen nicht zuletzt politische Instrumente wie das Emissionshandelssystem der EU sorgen. Es zielt darauf ab, die Abgaben für CO₂-Emissionen immer weiter zu erhöhen. Daraus sollte ein Marktpreis resultieren, mit dem ein Umstieg auf die CO₂-ärmere Route für europäische Hersteller wirtschaftlich attraktiv wird. Flankierend braucht es dann entsprechende Ausgleichsmechanismen für CO₂-intensiveren Stahl aus dem Ausland, den sogenannten “Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM)”. Wir sind von der Wirtschaftlichkeit unseres Ansatzes überzeugt, brauchen dafür allerdings geeignete Rahmenbedingungen. Die Stahlbranche geht in Vorleistung – natürlich nicht ganz ohne Risiko.
H₂News: Wie minimieren Sie dieses Risiko?
Dr. Redenius: Wie oben bereits angesprochen, können wir in Salzgitter unsere neuen Anlagen anfangs auch mit Erdgas in Mischungen mit Wasserstoff aus der Elektrolyseanlage betreiben. Das reduziert die CO₂-Emissionen im Vergleich zur Hochofenroute schon um etwa 60 %. Wenn dann grüner Wasserstoff in ausreichenden Mengen und zu vertretbaren Kosten vorhanden ist, können wir die Produktion problemlos, auch schrittweise, umstellen.
H₂News: Gibt es schon Interessenten für den grünen Stahl? Sehr wahrscheinlich wird er ja teurer sein als sein konventionell hergestelltes Pendant.
Dr. Redenius: Zunächst wird grüner Stahl noch teurer sein, aber wir erwarten, dass sich dies bis Ende dieses Jahrzehnts dreht. Wir sind aktuell mit zahlreichen Kunden im Gespräch, insbesondere mit endkundennahen Branchen wie der Automobilindustrie oder Herstellern von Haushaltsgeräten. Mit einigen haben wir bereits erste Vereinbarungen geschlossen. Wir sehen also durchaus die Bereitschaft, für CO₂-reduzierten grünen Stahl höhere Preise zu zahlen.
H₂News: Worin genau liegt die wirtschaftliche Herausforderung beim Einsatz von grünem Wasserstoff?
Dr. Redenius: Grüner Wasserstoff ist teurer als Kohle. Ein Grund dafür ist, dass sich Kohle einfacher fördern und transportieren lässt. Deshalb ist es für die Transformation so wichtig, dass die Kosten für den klimaschädliche Ausstoß von Treibhausgasen ausgewiesen werden. Heißt konkret: Die Rahmenbedingungen müssen so gesetzt werden, dass grüne Produktion planbar wirtschaftlicher wird als die Graue. Dies ist insbesondere mit Blick auf den internationalen Handel von Stahlprodukten nicht trivial. Hierzu sind Instrumente wie der schon erwähnte CBAM notwendig. Um die Nachfrage nach grünem Stahl weiter anzureizen, diskutieren wir zusätzlich sogenannte grüne Leitmärkte. Eine Herausforderung dabei ist: Man sieht dem Stahl ja leider nicht an, wie viel CO2 bei seiner Produktion emittiert wurde. Daher brauchen wir dringend ein Klassifizierungssystem, wie wir es zusammen mit der Wirtschaftsvereinigung Stahl und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz erarbeitet haben.
H₂News: Was hat es damit auf sich?
Dr. Redenius: Das System beruht auf einem neuen Standard namens “LESS: Low Emission Steel Standard”. Das Ziel von LESS ist es, aufzuzeigen, wie stark die gewählte Herstellungsroute bereits transformiert ist, und wieviel CO₂ dabei emittiert wurde. Das kann unseren Kunden wiederum dabei helfen, durch die Auswahl geeigneter Produkte ihre eigenen CO₂-Ziele zu erreichen. Das fällt für sie in den Bereich Scope 3, also die Dekarbonisierung der Vorprodukte. Ein Hersteller von Elektroautos kann so zum Beispiel sicherstellen, dass seine Fahrzeuge nicht nur während der Nutzungsphase, sondern auch in der Herstellung weniger CO₂-Emissionen verursachen. E-Autos aus zuverlässig zertifiziertem grünem Stahl würden für eine insgesamt dekarbonisierte Autoindustrie sorgen.
H₂News: Müsste ein Mechanismus wie CBAM nicht für sämtliche Importe aus dem Ausland gelten?
Dr. Redenius: Bislang zielt er auf Grundmaterialien wie Stahl und nicht auf verarbeitete Produkte ab. Auch das Problem von Exporten ins außereuropäische Ausland ist noch nicht gelöst. Hier ist die Branche noch im Dialog mit der Politik. Grundsätzlich hielte ich es für sinnvoll, wenn der CO₂-Rucksack eines Produkts für Kunden transparent wäre. Damit könnten sich europäische Hersteller deutlich von eventuell CO₂-intensiverer Konkurrenz aus dem Ausland differenzieren. Nachhaltigkeit spielt in immer mehr Branchen eine Rolle, denken Sie an die Lebensmittelindustrie. Viele Kunden sind bereit, für ökologisch hergestellte Lebensmittel höhere Preise zu zahlen. Ich denke, das wird sich übertragen. Eine Studie vom Wuppertal-Institut zeigt, dass ein Auto aus grünem Stahl nur wenige hundert Euro mehr kosten würde.
H₂News: Die ökonomischen Herausforderungen beim Einsatz von grünem Wasserstoff haben Sie erläutert. Wie sieht es eigentlich auf der technischen Seite aus?
Dr. Redenius: Technisch ist die Nutzung von grünem Wasserstoff unproblematisch. Das sehen wir an unserer Versuchsanlage μDRAL. Darin haben wir schon erste Pellets mit 100 % Wasserstoff produziert, was gut funktioniert hat. Wasserstoff kann aufgrund seiner geringen Größe den Sauerstoff sehr effizient aus dem Eisenoxid entfernen.
H₂News: Wie sieht der weitere Plan aus?
Dr. Redenius: Das integrierte Hüttenwerk in Salzgitter wird schrittweise auf die neuen Verfahren bis 2033 umgestellt. In 2026 startet die Produktion auf den Anlagen der ersten Stufe. Wir werden dann einen Hochofen inklusive Konverter abschalten und stattdessen die DRI-Anlage in Kombination mit einem Elektro-Lichtbogenofen betreiben und auf dieser Basis CO₂-armen Rohstahl erzeugen, der anschließend in bestehenden Prozessen des Hüttenwerks weiterverarbeitet wird.
H₂News: 2026 wollen Sie mit ihrer eigenen Wasserstoffproduktion beginnen, ab 2027 sollen Wasserstofflieferungen von externen Partnern hinzukommen. Hierfür haben Sie im Juni 2024 eine Ausschreibung gestartet. Wie war bisher die Resonanz?
Dr. Redenius: Ende Juni haben wir die Plattform eröffnet, auf der potenzielle H₂-Anbieter ihr Interesse bekunden können. Zu Ihrer Frage: Die Resonanz war vielversprechend. Ab 2027 dürften wir mit bis zu 150.000 Tonnen Verbrauch pro Jahr einer der größten Wasserstoffkunden überhaupt sein. Damit lösen wir für viele Produzenten ein Grundproblem: Niemand investiert in grüne Wasserstoffproduktion, wenn die Nachfrage nicht planbar ist. Mit unserer Ausschreibung wollen wir einen Beitrag leisten, dieses Dilemma aufzubrechen und Produzenten zu mehr Planbarkeit verhelfen. Wie bereits unter dem Stichwort Wasserstoff-Kernnetz angesprochen, steht eine Abnahme ab 2027 natürlich unter dem Vorbehalt, dass der Wasserstoff auch zu uns gelangen kann.
H₂News: Wie geht es nun weiter?
Dr. Redenius: Als nächsten kontaktieren wir die Firmen, die sich gemeldet haben, und bitten um genauere Informationen zu ihren geplanten Projekten. Die Rückmeldungen kamen übrigens aus aller Welt, auch aus dem außereuropäischen Ausland. Man erkennt auch hier unseren Pionieranspruch: Wir sind mit SALCOS weiter als viele andere Projekte. Damit wir die H₂-Lieferungen auch erhalten können, muss natürlich – neben dem Kernnetz – weitere Infrastruktur aus Importterminals für Derivate wie Ammoniak, Häfen, Cracking-Anlagen und Ferngasleitungen vorhanden sein.
H₂News: Können Sie kurz zusammenfassen, wie SALCOS aufgebaut ist?
Dr. Redenius: In dem Programm wird die komplette konventionelle Rohstahlroute in Salzgitter schrittweise umgestellt werden. Aktuell befinden wir uns in der Realisierung von Stufe 1. Darin errichten wir eine DRI-Anlage mit rund zwei Millionen Tonnen Jahreskapazität. Daran ist ein Elektro-Lichtbogenofen “heiß angebunden”. Das heißt, dass das reduzierte Eisen die DRI-Anlage mit ungefähr 650 Grad Celsius verlässt und mit minimalem Temperaturverlust direkt in einen Elektro-Lichtbogenofen befördert wird. Darin wird es dann mit möglichst wenig elektrischer Energie aufgeschmolzen und kann zu Stahl weiterverarbeitet werden. Ein großer Vorteil unserer DRI-Anlage ist, dass wir sie in flexiblen Anteilen von Erdgas und Wasserstoff betreiben können. Um sie so früh wie möglich mit Anteilen von Wasserstoff zu betreiben, errichten wir parallel die Elektrolyseanlage mit 100 MW Kapazität. Sie wird rund 5 % des Bedarfs der DRI-Anlage abdecken können. Durch diese Anlagenkonfiguration wird die Entstehung von CO2 direkt im Prozess vermieden.
H₂News: Gibt es international ein Projekt, das hinsichtlich seiner Ambition und Struktur mit SALCOS vergleichbar wäre?
Dr. Redenius: Wir waren meines Wissens die Ersten, die ein stufenweises Programm erarbeitet haben. Nichtsdestotrotz haben inzwischen so gut wie alle Wettbewerber vergleichbare Dekarbonisierungsprojekte aufgesetzt. Der dabei gewählte Transformationsansatz nennt sich Brownfield-Transformation: die schrittweise Umwandlung eines bestehenden Werkes, während der reguläre Betrieb weiterläuft. Das ist herausfordernder als ein Greenfield-Ansatz, bei dem man ein komplettes, neues Werk auf die grüne Wiese baut.
H₂News: Mit den Bauarbeiten haben Sie vor 18 Monaten begonnen. Wie genau läuft ein solcher Brownfield-Bau ab?
Dr. Redenius: Als erstes mussten wir uns Platz schaffen, also die Baufelder vorbereiten, um möglichst nah an die bestehenden Prozesse heranzukommen. Das war schon eine Herausforderung: Es waren ja Industrieanlagen und Gebäude auf den Flächen vorhanden, die fast 90 Jahre Bestand hatten. Inzwischen haben wir den Großteil des Tiefbaus, also der Arbeiten am Fundament, abgeschlossen. Jetzt läuft der Hoch- und Stahlbau; die neuen Strukturen wachsen also allmählich in den Himmel. Auch die Wasserstoff-Versorgungsleitungen werden gerade verlegt. Wenn ich aus meinem Bürofenster blicke, sehe ich ungefähr zehn Krane, die an den neuen Anlagen arbeiten. Das ist schon etwas Besonderes – um nicht zu sagen: weltweit einmalig.
H₂News: Welche Teile des Salzgitter-Werks bleiben von dem Umbau unberührt?
Dr. Redenius: Sehr viele! Im Grunde tauschen wir die Flüssigmetallurgie aus, also Hochofen und Konverter gegen Elektro-Lichtbogenofen und DRI-Anlage. Das meiste, was danach im Werk geschieht – Sekundär-Metallurgie, Stranggussanlagen, Walzwerke, Oberflächenveredelungen – kann weitergenutzt werden wie bisher.
H₂News: Was war der letzte große Meilenstein?
Dr. Redenius: Die Reaktorbauteile von Tenova sind aktuell in Salzgitter angekommen. Seit ein paar Wochen haben wir auch die entsprechenden Strukturteile für den Turm, in den der Reaktor untergebracht wird. Die Zeit ist gerade sehr spannend, weil endlich der Hoch- und Stahlbau begonnen hat. Alleine der High-Temp-Tower des Elektro-Lichtbogenofens wird 110 Meter hoch, die DRI-Anlage hat 140 Meter Höhe. Da entsteht also eine beeindruckende Kulisse, die unsere vorhandenen Strukturen – Kokerei, Hochofen, Stahlwerk, Kraftwerk usw. – bereichert bzw. teilweise ersetzt.
H₂News: Wie laufen die Arbeiten an der 100-MW-Elektrolyse?
Dr. Redenius: Unsere Anlage ist ein Druckalkali-Elektrolyseur des österreichischen Anlagenbauers Andritz. Aktuell wird die Halle vorbereitet, in der die 10-MW-Module installiert werden. Sie befindet sich ebenfalls in unmittelbarer Nähe zu Stahlwerk und DRI-Anlage. Nach der Fertigstellung werden sie bis zu 20.000 m³ grünen Wasserstoff pro Stunde produzieren. Was manchmal durcheinander gebracht wird: Die sieben Windkraftanlagen à 4,3 MW haben wir bereits vor einigen Jahren für den Betrieb der bereits vorhandenen 3,75 MW Elektrolyse, die den heute schon notwendigen Wasserstoff für die Stahlweiterverarbeitung produziert, installiert. Sie gehören zum Projekt Windwasserstoff Salzgitter.
H₂News: Den restlichen Grünstrom werden Sie dann zukaufen?
Dr. Redenius: Im Wesentlichen schon. Hier in Niedersachsen sind wir dafür gut positioniert, da wir durch die Nähe zu Nord- und Ostsee einen idealen Zugang zu On- und Offshore-Windenergie haben
H₂News: SALCOS ist ein Programm, an dem viele andere Unternehmen und auch Forschungsinstitute beteiligt sind. Wie wichtig sind solche Kooperationen für Sie?
Dr. Redenius: Sehr wichtig. Salzgitter ist ein Stahlhersteller und kein Anlagenbauer. Daher war es für uns entscheidend, früh mit Partnern in den Austausch zu treten, die uns ihre Lösungen vorgestellt und uns bei der Entwicklung des optimalen Konzeptes unterstützt haben. Flankierend war die Kooperation mit der Forschung entscheidend. Dabei würde ich die Fraunhofer-Institute hervorheben, mit denen wir schon seit dem Projektstart im Jahr 2016 zusammenarbeiten – damals noch unter dem Projektnamen “MACOR” und dem Nachfolgeprojekt Begleitforschung Wasserstoff in der Stahlerzeugung (BeWiSer). Heute wird das Projekt unter dem Titel “BeWiSer” fortgesetzt.
H₂News: Gibt es einen Schwerpunkt in den Forschungsarbeiten?
Dr. Redenius: Ja: Die Effizienz. Wir werden nie die günstigsten Energiepreise in Deutschland haben. Deswegen müssen wir versuchen, hier durch möglichst viel Know-how und Synergieeffekte einen möglichst wirtschaftlichen und effizienten Betrieb zu realisieren.
H₂News: In GrInHy, einem weiteren Teilprojekt von SALCOS, testen Sie die Nutzung eines Hochtemperatur-Elektrolyseurs, der mit Abwärme aus der Stahlproduktion betrieben wird. Das Vorhaben beruht ebenfalls auf einer Kooperation – hier mit dem Elektrolyseurhersteller Sunfire.
Dr. Redenius: Genau. 2015 haben wir erstmals Kontakt zu Sunfire in Dresden gesucht. 2016 wurde dann das von der EU geförderte Projekt “GrInHy” gestartet. Im Nachfolgeprojekt “GrInHy 2.0” haben wir die Testanlage auf 720 kW erweitert. Anschließend ging es 2023 mit “GrInHy 3.0” weiter. In “GrInHy 3.0” bauen wir die neueste Generation der Anlage. Die Hochtemperaturelektrolyse (HTE) bietet ein großes Synergiepotential, weil wir durch die Nutzung von Abwärme in Form von Dampf einen sehr hohen elektrischen Wirkungsgrad erzielen können. Bei einer konventionellen Wasserelektrolyse werden vielleicht 65 % elektrischer Wirkungsgrad erreicht, während eine HTE auf über 80 % kommt. Dies ist ein schönes Beispiel für den gerade genannten Forschungsschwerpunkt. Es braucht viel technologisches Know-How und branchenübergreifende Kooperation, um die Prozesse so effizient und damit wirtschaftlich wie möglich zu betreiben. “GrInHy” ist dafür ein gutes Beispiel. Allerdings ist die HTE technisch noch nicht so ausgereift, dass wir Anlagen in den Dimensionen einer alkalischen Elektrolyse bauen könnten.
H₂News: SALCOS ist extrem facettenreich – man könnte stundenlang über die vielen Teilprojekte und Forschungen sprechen.
Dr. Redenius: Definitiv. Wir haben uns zum Glück früh dazu entschieden, diesen Weg zu gehen. Das Konzept ist damals in einem kleinen Kreis entwickelt worden. Daraus hat sich jetzt ein sehr großes Programm entwickelt, an dem alleine beim Salzgitter-Konzern heute über 200 Personen beteiligt sind.
H₂News: Die Dekarbonisierung auf Grundlage von grünem Wasserstoff ist ein gewaltiger Umbruch für die Stahlbranche. Gab es in ihrer Geschichte schon etwas Vergleichbares?
Dr. Redenius: Nicht wirklich – die Stahlbranche steht vor dem größten Umbruch ihrer Geschichte. Die Umstellung vom Kokillenguss zum Strangguss war sicherlich auch etwas Besonderes, allerdings bedeutet die aktuelle Transformation, bei der wir fast die gesamte Flüssigmetallurgie auf neue Technologien umstellen, einen deutlich größeren Schritt. Wir sind da als Pionier ganz vorne mit dabei.
H₂News: Was ist aus Ihrer Sicht das wichtigste “externe” Element, damit die Transformation gelingen kann?
Dr. Redenius: Ganz wichtig neben Instrumenten zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit ist beim Aufbau der Wasserstoffwirtschaft die Infrastruktur. Großkunden wie die Stahlindustrie können dabei helfen, entscheidende Infrastrukturen wie das Kernnetz aufzubauen. Für eine Wasserstofftankstelle würde niemand ein Wasserstoffkernnetz bauen, aber wenn es Ankerkunden gibt, für die eine Infrastruktur gebaut wird, lassen sich Tankstellen, KMU oder auch Kommunen relativ einfach nachträglich anschließen. Zugleich sind wir auch ein flexibler Kunde: Wenn es mal nicht ausreichend Wasserstoff im Netz geben sollte, können wir mit höheren Erdgasanteilen produzieren. Durch diese Flexibilität sind wir sozusagen ein atmendes Element im künftigen Energiesystem. Das ist eine große Stärke der Stahlindustrie.