H₂News: Frau Bendzulla, 1992 hat Enertrag die erste Windkraftanlage in Betrieb genommen, und in erster Linie sind Sie nach wie vor ein Windkraft-Unternehmen. Wie hoch ist der Anteil des Geschäfts mit Wasserstoff und Wasserstoffderivaten?
Dr. Anne Bendzulla: Noch spielt die H₂-Sparte umsatztechnisch eine untergeordnete Rolle. Aber das wird sich hoffentlich bald ändern: Unsere Projekt-Pipeline ist gut gefüllt. Derzeit mangelt es aufgrund der politischen Umwälzungen in Deutschland und den USA nur sowohl an Planungssicherheit als auch an Abnehmern mit klaren Abnahmezusagen. Deswegen sehen wir, dass sich die Entwicklung vieler Vorhaben verzögert.
H₂News: Wann könnte das Wasserstoffgeschäft für Sie wirklich rentabel werden?
Bendzulla: Es ist sehr schwer, hier eine Vorhersage zu treffen. Im Moment leidet die ganze Branche unter der unsicheren politischen Situation. Wir wünschen uns deshalb dringend bessere Rahmenbedingungen, damit wir unsere Projekte auf sichere Füße stellen können und sowohl unsere potenziellen Abnehmer als auch wir als Unternehmen Investitionssicherheit bekommen. Langfristig führt an Wasserstoff und seinen Derivaten einfach kein Weg vorbei.
H₂News: Wobei sich die Wasserstoffbranche ja eigentlich nicht über mangelndes politisches Interesse beklagen kann.
Bendzulla: Ja, auf Landes- und Bundesebene gibt es durchaus Unterstützung für uns. Wir würden uns aber mehr konkrete Initiativen wünschen, etwa einen verstärkten Stromnetzausbau (Stichwort “Überbauung”, speziell in 13K Regionen), bei dem Erneuerbare und die H2-Erzeugung lokal gekoppelt werden. Damit würde der Aufschwung der Erneuerbaren Energien nicht mehr ausgebremst werden.
H₂News: Seit wann ist Wasserstoff ein Thema für Enertrag?
Bendzulla: Unseren ersten Elektrolyseur haben wir vor über zehn Jahren in Betrieb genommen. Und er läuft noch, inklusive Kompressor, Speicher und Betankungsanlage. Natürlich ist er im Vergleich zu unseren heutigen Anlagen im zwei- bis dreistelligen Megawattbereich eher ein altes Schätzchen – aber er produziert nach wie vor grünen Wasserstoff.
H₂News: War das eine Art Versuchslabor für Sie?
Bendzulla: Definitiv, wir haben viel gelernt. Wie funktioniert die Speicherung? Wie funktioniert eine Wasserstofftankstelle? Solche Dinge sind ja nicht selbstverständlich, wenn man von der Windenergie in die Verfahrenstechnik wechselt.
H₂News: Welche Technologie haben Sie damals genutzt, und welche nutzen Sie heute?
Bendzulla: Unsere erste Anlage lief alkalisch. Heute nutzen wir bei manchen Projekten auch PEM. Beide Technologien haben ihre Vorteile: Die Alkali-Elektrolyse ist etwas robuster bei Lastwechseln, was für das Abfangen von Spitzenstunden und die Nutzung von überschüssigem Strom zur Netzentlastung vorteilhaft ist. Die PEM-Elektrolyse kann dagegen bei konstantem Lastbereich sehr interessant sein. Insofern glaube ich, dass nicht nur eine Technologie übrigbleiben wird. Klar ist aber auch: Für maximale Effizienz bei Betrieb und Service müssen wir uns irgendwann auf eine Elektrolysetechnologie festlegen, zumindest regional. Das ist auch im Zuge von Sicherheitsmaßnahmen und Standardisierung wichtig. Ich glaube, dass wir insgesamt eine Konsolidierung im Markt sehen werden.
H₂News: Wie wichtig ist das im Oktober 2024 genehmigte Wasserstoffkernnetz für Enertrag?
Bendzulla: Wir begrüßen das Kernnetz natürlich, sehen aber auch hier noch Verbesserungsbedarf. Der aktuelle Planungsstand weist große weiße Flecken auf – und das ausgerechnet in Regionen mit einem hohen Potenzial für erneuerbare Energie. Man kann sich schon fragen, wie sinnvoll es ist, neue Stromtrassen zwischen Nord- und Süddeutschland zu bauen, um Elektrolyseure in Bayern zu installieren. Umgekehrt gibt es Gebiete in Nord- und Ostdeutschland, in denen regelmäßig überschüssige Windkraft abgeregelt wird, die jedoch nicht an die geplante Wasserstoffinfrastruktur angebunden werden. Natürlich sind das Kinderkrankheiten, die aber zeigen, dass Strom- und Wasserstoff immer noch getrennt gedacht werden. Dabei ist eine ganzheitliche Betrachtung entscheidend für die Energiewende.
H₂News: Wie Sie eben betonten, sind für Enertrags Wasserstoffaktivitäten auch die Speicherung und Vertankung ein Faktor. Wie sind Sie hier aufgestellt?
Bendzulla: Nun, wir wissen, wie man Trailer-Abfüllstationen und Druckspeicher betreibt. Einen regulären Pipeline-Betrieb gibt es noch nicht, aber den könnten wir problemlos integrieren – die Technik ist bereits vorhanden. Das ist ganz entscheidend für den H₂-Sektor: Die Technologien sind alle nicht neu, wir integrieren sie heute nur anders und betreiben sie nach anderen Kriterien als früher, nämlich nach der Systemdienlichkeit. Klar: Die Hersteller arbeiten intensiv an der Optimierung und Skalierung von Elektrolyseuren oder Brennstoffzellen. Insgesamt sind wir aber deutlich weiter, als manchmal suggeriert wird.

Wasserstoffzug Heidekrautbahn, betrieben mit H2 von ENERTRAG (Quelle: (NEB Betriebsgesellschaft mbH))
H₂News: Schauen wir uns einige Ihrer Projekte an. Mit der Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) und den Kreiswerken Barnim (KWB) haben Sie im Dezember 2024 auf der Heidekrautbahn zwischen Berlin, Basdorf und Groß Schönebeck sechs Wasserstoffzüge in Betrieb genommen, für deren Versorgung via Tube-Trailer die ENERTRAG SE zuständig ist. Anfang des Jahres hat es hier etwas geruckelt.
Bendzulla: Die Beteiligung am Verbundprojekt Wasserstoffschiene Heidekrautbahn ist eines unserer ersten H₂-Projekte. Nach kurzen Anlaufproblemen über die Feiertage zum Jahreswechsel haben die Projektpartner die Prozesse zur Wasserstofflieferung und Zugbefüllung noch einmal optimiert. Übergangsweise kamen daher hier Diesel- und Batteriefahrzeuge zum Einsatz, um den Fahrplan zu sichern.
H₂News: Könnte das Projekt ein Modell für weitere, ähnlich gelagerte Verbundprojekte im Verkehrssektor sein?
Bendzulla: Die Abnehmerstruktur ist in jedem Fall unterschiedlich. Aber ja: Unser wichtigster H₂-Business Case ist es, Elektrolyseure zu bauen und grünen Wasserstoff oder Wasserstoff-Derivate zu liefern – gerne auch im Rahmen von Mobilitätsprojekten.
H₂News: Ihr international bekanntestes Projekt ist sicherlich Hyphen. Können Sie das Ziel kurz mit eigenen Worten zusammenfassen?
Bendzulla: Hyphen ist tatsächlich eines meiner „Lieblingsprojekte”. Es liegt noch etwas weiter in der Zukunft, ist konzeptionell aber schon sehr ausgereift und überzeugend. Wir errichten in einem großen, freien Wüstengebiet in Süd-Namibia 7 Gigawatt (GW) an PV- und Windkraftanlagen, 3 GW Elektrolysekapazität für grünen Wasserstoff sowie Anlagen zur Ammoniakerzeugung. Der so erzeugte grüne Ammoniak kann leicht auf Schiffen zu Abnehmern in Europa und Asien transportiert werden.
H₂News: Ist grünes Ammoniak demnach ihr bevorzugtes Speichermedium für den Überseetransport?
Bendzulla: Aktuell ja. Denn es hat viele Vorteile: Man kann Ammoniak nicht nur als Wasserstoff-Vektor nutzen, sondern auch direkt verwerten – zum Beispiel, um Schiffe anzutreiben! Darüber hinaus spielt Ammoniak in Prozessen wie der Düngemittelproduktion eine zentrale Rolle. Damit ist das Hyphen-Projekt tatsächlich von Anfang bis Ende gut aufgestellt, denn auf der Abnahmeseite haben wir sowohl in Asien als auch in Europa Terminals, an denen wir das Ammoniak anlanden können.
H₂News: Wieso haben Sie sich gerade für Namibia entschieden?
Bendzulla: Neben den optimalen Standortfaktoren war wichtig, dass wir bereits im benachbarten Südafrika aktiv sind und uns in der Region wohlfühlen. Außerdem kooperieren wir eng mit der namibischen Regierung – auch die neue, im November gewählte Regierung unterstützt uns. Bei ihrer Re-Evaluation des Projekts kam sie zu dem Schluss, dass es einen großen Beitrag zur Infrastrukturentwicklung und Energieversorgung leisten kann und neue, qualifizierte Arbeitsplätze schafft. Unser Ziel ist es, 90 Prozent der beteiligten Arbeitskräfte in Namibia zu akquirieren, ähnlich verhält es sich beim Material und den Baudienstleistungen. Hyphen soll ein Win-Win für beide Seiten sein. So handhaben wir es bei all unseren internationalen Projekten, etwa auch bei der E-Methanolproduktion in Uruguay.
H₂News: In Ostdeutschland betreiben Sie mehrere interessante Projekte. Können Sie uns die Struktur und Ziele kurz erläutern?
Bendzulla: Der Elektrolysekorridor Ost, das Referenzkraftwerk Lausitz und das Projekt Concrete Chemicals ergänzen sich gegenseitig. Es sind aber verschiedene Projekte, auch mit Blick auf die Förderrichtlinien. Bei Concrete Chemicals wollen wir nachhaltigen Flugkraftstoff (SAF) aus biogenem CO2 und Wasserstoff herstellen. Das Projekt ist EU-gefördert, aber der Zuwendungsbescheid steht noch aus. Im Elektrolysekorridor Ostdeutschland installieren wir insgesamt 185 MW Elektrolyseleistung an zwei Standorten in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, und im Referenzkraftwerk Lausitz prüfen wir ein neuartiges Kraftwerkskonzept mit 12 MW Leistung, bei dem Wasserstoff die zentrale Rolle spielt. Ab 2027/28 können wir also regional Wasserstoff produzieren und unterschiedliche Wertschöpfungsketten abbilden.

Visualisierung des geplanten Verbundkraftwerks Bertikow, hier die Anlagen für die Elektrolyse (Quelle: Enertrag)
H₂News: Mobilität, E-Fuels, Industrie, Energieversorgung – Enertrag lässt kaum ein H₂-Anwendungsgebiet aus.
Bendzulla: Das stimmt. Natürlich werden sich all diese Märkte unterschiedlich entwickeln, aber es ist gerade in der Hochlaufphase wichtig, die unterschiedlichen Marktdynamiken und Bedürfnisse wahrzunehmen und zu bewerten. Dadurch lernen wir, was unsere Kunden brauchen und wie wir uns möglichst effektiv einbringen können. Unser Kerngeschäft bleibt aber neben dem Verkauf von Grünem Wasserstoff und seinen Derivaten unsere Projektentwicklung in der Windenergie.
H₂News: Was unterscheidet Enertrag hier von anderen Wasserstoff-Produzenten?
Bendzulla: Wir sind ein Unternehmen, das sehr partnerschaftlich arbeiten möchte. Uns geht es nicht um kurzfristige Profite, sondern die jahre- oder jahrzehntelange Kooperation mit unseren Partnern. Wir wollen sie langfristig mit grüner Energie beliefern und dabei etwas für die Regionen tun. Schauen Sie sich unser Verbundkraftwerk in der Uckermark an, wo wir erneuerbare Stromerzeugung mit Elektrolyseuren, eigenen Einsammelnetzen, Gasnetzen, einem Umspannwerk und Batteriespeichern verbinden. Unser Engagement geht aber weit darüber hinaus. Wir bilden junge Leute aus, schaffen neue Jobs und fördern kulturelle Belange in der Region, unterstützen Sportvereine und gesellschaftlich relevante Projekte. Bei uns bedeutet Nachhaltigkeit nicht nur erneuerbaren Energien, sondern auch ein langfristiges, gutes Zusammenleben.
H₂News: Frau Bendzulla, vielen Dank für das Gespräch!
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