H₂News: Herr von Olshausen, was ist momentan das wichtigste Geschäftsfeld von Sunfire?
Christian von Olshausen: Momentan erzielen wir bei Sunfire den Großteil unseres Umsatzes mit der Produktion und dem Verkauf von Alkali-Elektrolyseuren. Hierbei handelt es sich um eine industriell erprobte Technologie. Mit dem Erwerb des Schweizer Unternehmens IHT SA im Jahr 2021 haben wir unser Portfolio damals gezielt gestärkt und einen AEL-Experten mit über 70 Jahren Erfahrung hinzugewonnen. Parallel entwickeln wir die Technologie weiter, um ihr ganzes Potenzial zu heben. Der Wirkungsgrad liegt heute bei rund 64 Prozent, lässt sich aber je nach Kundenwunsch etwas variieren.

20 MW AEL Elektrolyseur in Harjavalta (Finnland) (© Sunfire)
H₂News: Gleichzeitig sind Sie für Ihre Hochtemperatur-Elektrolyseure (Solid Oxide Electrolysis Cell, SOEC) bekannt. Wie kamen Sie zu diesem Geschäftszweig?
von Olshausen: Unsere Frage war, wie das Ausnutzen von Synergien im industriellen Umfeld zu einer größtmöglichen Effizienz führen kann. Wenn Wasserstoff in Raffinerien, Chemieanlagen oder Stahlwerken eingesetzt wird, entsteht Abwärme. Nutzt man diese zur Dampferzeugung für die Elektrolyse – und das tut unsere SOEC-Technologie – kann man einen Wirkungsgrad von bis zu 88 Prozent erreichen. Daran arbeiten wir zur Zeit. SOEC ist also ein wichtiges Zukunftsthema, bei dessen Entwicklung wir weltweit führend sind. Mit SOEC stehen aber bewusst derzeit nicht die kommerziellen Umsätze im Fokus. Uns ist es sehr wichtig, den Kunden nur ausgereifte Produkte zu liefern, die genau so funktionieren, wie von ihnen erwartet
H₂News: Wann macht es für einen Anwender mehr Sinn, einen SOEC-Elektrolyseur zu nutzen statt einen alkalischen?
von Olshausen: Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Für den Betrieb muss zunächst Dampf vorhanden sein. Dieser sollte eine Temperatur von über 100 °C besitzen, in der Praxis liegt sie oft bei bei über 120 °C. Eine Installation ist dann grundsätzlich möglich. Natürlich sind die CapEx hier etwas höher, weil wir anspruchsvollere Materialien verbauen. Dafür ist die SOEC effizienter, und der Einsatz lohnt sich überall da, wo der Strompreis hoch ist. Bei einem sehr niedrigen Strompreis und geringer Auslastung nehmen Sie lieber die Alkali. Aber üblicherweise gibt es in Prozessen, bei denen Dampf entsteht, eine Konkurrenz um den Strom, und die SOEC lohnt sich.
H₂News: Ist auch eine Kombination von Alkali und SOEC denkbar?
von Olshausen: Definitiv. Es kann sein, dass Ihr Dampf nicht ausreicht, um die SOEC zu versorgen. Bei einer Ammoniak Synthese ist das zum Beispiel der Fall. Hier würden sie dann einen Teil alkalisch betreiben und den anfallenden Dampf sofort einer SOEC hinzuführen. Es könnte auch sein, dass der Strompreis stark schwankt, sie aber eine gewisse Grundlast fahren müssen. In diesem Fall könnten Sie eine SOEC für die hochpreisige Grundlast installieren und den alkalischen Elektrolyseur daneben, um damit die günstigeren Stromphasen auszunutzen. Aus dieser Kombination ergeben sich interessante Geschäftsmodelle.
H₂News: Die meisten Elektrolyseurhersteller setzen derzeit auf PEM-Technologie. Haben Sie sich bewusst dagegen entschieden, diese in Ihr Portfolio aufzunehmen?
von Olshausen: Ja, wir fokussieren uns bewusst auf Alkali- und Hochtemperaturelektrolyse. Die PEM ist eine interessante Technologie mit hohem Potenzial. Allerdings hat sie ihre Schwachpunkte: Sie verbindet im Grunde genommen den niedrigeren Wirkungsgrad der Alkali mit einer relativ jungen Technologie wie der SOEC. Hinzu kommt ihr hoher Bedarf an Edelmetallen. Als Gesamtsystemlieferant und Service Provider beobachten wir natürlich die Entwicklung der PEM, aber als Anlagenentwickler und -hersteller sehen wir derzeit keinen Grund, in diesen Bereich einzusteigen.
H₂News: Oft heißt es, die PEM-Elektrolyse sei flexibel fahrbarer als die alkalische, weshalb sie sich besonders gut für die Kopplung mit volatilen erneuerbaren Energien eigne.
von Olshausen: Die Flexibilität bei der PEM ist auf jeden Fall höher. Die Frage ist aber, was man braucht. Hinsichtlich der Flexibilitätsanforderungen gibt es bei den Projekten, die wir bedienen, verschiedene Stufen – first, second und third level of control power. Wir können Stufen zwei und drei mit der Alkali-Technologie wunderbar bedienen. Für die erste Flexibilitätsstufe sehen wir nach Auswertung unserer Kundenwünsche gar keinen signifikanten Bedarf. Die Flexibilität unserer Anlagen reicht für unsere Use Cases also vollkommen aus.
H₂News: Können Sie ein repräsentatives Alkali-Projekt hervorheben?
von Olshausen: Ich könnte mich da gar nicht festlegen – es gibt viele spannende Projekte. Gehen wir chronologisch vor: 2022 haben wir eine 3,2 MW-Anlage in Österreich in Betrieb genommen, mit der wir unsere aktuelle Stack-Technologie erstmals im Realbetrieb installierten. Diese Anlage funktioniert sehr gut, auch unter anspruchsvollen Bedingungen mit häufigen An- und Abschaltzyklen. Das war unsere Referenzanlage, die sich alle interessierten Kunden vor Ort angeschaut haben. Es folgten ein 10 MW-Projekt für RWE in Lingen, dann eine 20 MW-Anlage bei P2X Solutions, dann eine 30-MW-Anlage bei Uniper im Energiepark Bad Lauchstädt, dann ein 50-MW-Projekt für Ren-Gas in Finnland, dann eine 100-MW-Anlage, wieder bei RWE in Lingen, und so weiter. Irgendwann werden noch größere folgen.
H₂News: Sie skalieren Ihre Projekte also stetig hoch.
von Olshausen: Korrekt. Das ist ideal für ein Unternehmen: Wenn Sie am Anfang kleine Probleme haben, ist das bei einer 10 MW-Anlage noch verschmerzbar. Die Learnings wenden Sie sofort bei der 20 MW-Anlage an und dann bei der 30 MW-Anlage. Das finanzielle Risiko steigt pro Projekt, weil das Projektvolumen größer wird, während das technische Risiko sinkt.
H₂News: Was sind aktuell Ihre „Leuchtturm“-Projekte?
von Olshausen: Im Moment stehen besonders die beiden RWE-Projekte im Fokus. Diese Vorhaben zeigen, dass unsere Technologie auch im großen Maßstab zuverlässig läuft. Und natürlich ist es schön, in Bad Lauchstädt, nur eine Autostunde von Sunfire entfernt, mit Uniper eine 30 MW-Anlage direkt neben einer Wasserstoffkaverne aufzubauen. Jedes Projekt hat seine Vorteile. Sehr wichtig ist auch unsere Präsenz in Skandinavien, besonders Finnland. In Skandinavien gibt es optimale Bedingungen für die H2-Produkion, zudem sind dort sehr gute technische Fähigkeiten und ein passendes Mindset vorhanden.
H₂News: Gibt es im SOEC-Bereich ähnliche “Vorzeigeprojekte”?
von Olshausen: Ja, Salzgitter ist aktuell ein ganz wichtiger Partner. Im Projekt GrInHy, dessen dritte Runde 2023 gestartet ist, können wir in einer bestehenden Industrieumgebung testen, ob unsere Technologie wirklich funktioniert. Wir führen dort Langzeittests durch, nachdem wir vorher in unseren Labors Kurzzeittests gemacht haben. Ein weiteres Schlüsselprojekt für die SOEC-Entwicklung ist MultiPLHY in der Raffinerie von Rotterdam. Dort bauen wir den mit 2.6 MW Leistung größten SOEC-Elektrolyseur in industrieller Umgebung weltweit, und die ersten Ergebnisse sind vielversprechend. Die SOEC-Technologie arbeitet übrigens mit weniger Megawatt, weil sie für die gleiche Menge Wasserstoff weniger Energie braucht als ein Alkali- oder PEM-Elektrolyseur.

6 MW Elektrolyseur in Rotterdam (© Sunfire)
H₂News: Sie zielen mit beiden Elektrolyse-Arten auf Kunden im Industriesektor. Wie kommt es dazu?
von Olshausen: Ganz einfach: In der heutigen Industrie gibt es bereits gigantische Wasserstoff-Bedarfe. Indem wir diesen erdgasbasierten, grauen Wasserstoff durch Grünen ersetzen, können wir insbesondere im Chemie- und Raffineriebereich sehr einfach dekarbonisieren und zugleich eine H2-Infrastruktur aufbauen. Anschließend lassen sich dann immer noch neue Branchen erschließen.
H₂News: Ende Januar haben Sie eine Aval-Finanzierung über 200 Millionen Euro erhalten. Was bedeutet diese Garantielinie für Sunfire und Ihre Projektpipeline?
von Olshausen: Diese Finanzierung ist ein echter Durchbruch für Sunfire. Sie versetzt uns in die Lage, große Aufträge anzunehmen und effizienter zu finanzieren. Stellen Sie sich vor: Ein Kunde gibt einen Großauftrag und leistet eine Anzahlung. Diese Anzahlung benötigen wir für Material und Produktion, müssen aber gleichzeitig eine Bankgarantie hinterlegen, damit der Kunde abgesichert ist. Als junges Unternehmen mussten wir mit Sunfire bisher erhebliche Barsicherheiten stellen, die dann nicht für die eigentliche Projektarbeit zur Verfügung standen. Mit der Aval-Finanzierung wird dieser Kreislauf durchbrochen – das Geld kann jetzt direkt in die Umsetzung und die industrielle Skalierung fließen. Sie ist also ein einfaches und kosteneffizientes Mittel, um Unternehmen wie uns zu stärken.
H₂News: Wer genau garantiert das Geld?
von Olshausen: Ein Bankenkonsortium unter Führung der Commerzbank, wobei der Bund und der Freistaat Sachsen 80 Prozent der Bürgschaften übernehmen. Das ist ein klares politisches Commitment für den Wasserstoffmarkt und dessen Bedeutung für die deutsche Industrie. Andere Länder tun sich oft leichter damit, junge Firmen zu unterstützen. Daher sehen wir hier ein sehr positives Beispiel.
H₂News: Die EU hat einige Förderprogramme für Technologieunternehmen im Klimabereich aufgesetzt, beispielsweise den Net Zero Industry Act. Sind solche Programme für den Wasserstoffhochlauf unerlässlich?
von Olshausen: Ja. Denn: Bis die Industrie mit Wasserstoff genauso günstig produzieren kann wie mit fossilen Energieträgern, wird es noch eine Zeit dauern. Wie bei Wind und Solar braucht es erstmal einen Markthochlauf, damit wir in die Massenproduktion kommen und die Kosten sinken. Für Cleantech-Unternehmen wie Sunfire ist die Verfügbarkeit von spezifischen Förderinstrumenten oder Garantien ein entscheidender Schlüssel für eine effektive industrielle Skalierung und für die Sicherung von Kundenprojekten. Der mit Abstand wichtigste Faktor ist aber die Nachfrage. Erst wenn es klare Marktanreize gibt – zum Beispiel über verbindliche Quoten für grünen Wasserstoff – entsteht die nötige Investitionssicherheit. Förderpolitik sollte also beides leisten: Skalierung ermöglichen und Nachfrage schaffen. Nur so bringen wir den Wasserstoffhochlauf wirklich in Bewegung.
H₂News: Sie erleben die Förderpolitik von Bund und EU aus erster Hand. Was könnte man hier noch verbessern?
von Olshausen: Zum einen sollten wir nicht einfach Technologieentwicklung und Einzelprojekte fördern, sondern die Nachfrage nach Wasserstoff insgesamt stärken. Dadurch werden mehr Projekte realisiert, was die industrielle Fertigung ankurbelt. Zweitens müssen wir sicherstellen, dass wir mit unseren Steuergeldern auch den Hochlauf der heimischen Technologie stützen. Dafür sollten wir die Rahmenbedingungen für Fördermittel und Ausschreibungen so gestalten, dass europäische Unternehmen zum Zuge kommen.
H₂News: Sunfire wurde 2010 gegründet, also lange vor dem großen Wasserstoff-Hype, der etwa 2020 einsetzte. In welcher Phase befinden wir uns heute?
von Olshausen: In der Phase des Realismus. Es ist gut, dass sich Europa und andere Regionen der Welt ambitionierte Ziele gesetzt haben und weiterhin setzen. Aber es wurde unterschätzt, wie komplex es ist, einen neuen Markt aufzubauen – nicht nur technologisch, sondern auch finanziell und auf der Nachfrageseite. Mittlerweile sehen wir eine Abkehr von den teils übersteigerten Erwartungen, allerdings wird damit auch eine gewisse Konsolidierung im Markt eingeleitet.
H₂News: Zuletzt haben die Insolvenzen mehrerer Unternehmen, die als Hoffnungsträger galten, für Verunsicherung gesorgt.
von Olshausen: Deswegen ist es so wichtig, dass wir nun nicht den Glauben an die Technologie verlieren. Die Gesamtkapazität an installierter Elektrolyseleistung in der EU soll bis 2030 mindestens 100 GW betragen. Selbst wenn wir nur 30 Prozent des ursprünglich prognostizierten Wasserstoff-Marktes realisieren, bleibt ein gigantisches Potenzial. Ich finde es gut, dass jetzt eine realistischere Entwicklung einsetzt. Sie entlastet diejenigen, die die Umsetzung verantworten, indem sie keine überzogenen Pläne mehr vorstellen müssen, die sie dann später womöglich wieder einkassieren.
H₂News: Sie haben bereits 2008 mit den ersten Vorüberlegungen zu Sunfire begonnen. Galten Sie mit Ihrem Fokus auf Wasserstoff damals noch als Exoten?
von Olshausen: Grundsätzlich ja. Als wir 2008 anfingen, haben wir nicht nur über Wasserstoff gesprochen, sondern auch über die Umwandlung von Wasserstoff und CO2 zu Derivaten wie Ammoniak. Das fanden schon viele exotisch, weil das Denken in Power-to-X-Kreisläufen noch nicht so üblich war. Man muss aber bedenken, dass schon Ende der 1990er Jahre Milliarden in Brennstoffzellenautos investiert wurden. Damals dachte man, dass diese um 2005 herum serienreif werden. Die wirtschaftliche Abwägung war damals noch nicht so klar – dass fossile Brennstoffe bei der Exploration Kosten verursachen, die mit Erneuerbaren schwer zu erreichen sind, und dass es da eine Lücke gibt, die nur politische Instrumente schließen können. Dieses Verständnis hat sich erst entwickelt.
H₂News: Seit Ihren Anfängen sind 17 Jahre vergangen. Wo steht ihr Unternehmen heute?
von Olshausen: Unser größter Unterschied zu vielen Marktbegleitern ist, dass wir nicht aus einem bestehenden Industriekonzern hervorgegangen sind. Stattdessen mussten wir uns eigenständig entwickeln. Das war nicht immer einfach, aber heute sind wir ein großes Team mit einem wettbewerbsfähigen Portfolio. Unser Auftragsbestand liegt bei über 800 MW, und wir haben Produktionskapazitäten zur Herstellung von Alkali-Elektrolyseuren etabliert, die wir bei Bedarf schnell auf 1 GW pro Jahr hochfahren können. Wir realisieren Projekte mit einer Gesamtleistung von über 250 MW und produzieren jährlich im dreistelligen MW-Bereich. All dies ist notwendig, um auf eine industrialisierte Fertigung umzustellen und sich langfristig im Markt zu positionieren – mit einer kompletten Supply Chain im Hintergrund und dem nötigen Service für die langfristige Betreuung von Kunden. Die Entwicklung war also positiv, und ab 2030 wollen wir im Multi-Gigawatt-Bereich ankommen.

Produktion von Alkali-Elektrolyseuren in Solingen (© Sunfire)
H₂News: Wo sehen Sie mittel- bis langfristig Ihre wichtigsten Absatzmärkte?
von Olshausen: Nord- und Südeuropa sind prädestiniert für Wasserstoffprojekte: Der hohe Norden dank seiner Wasserkraft, der Süden dank seiner Wind- und Solarenergie. Europa wird nach unserer Erwartung bis 2030 der größte Markt bleiben. Gleichzeitig beobachten wir weitere Wachstumsmärkte in der MENA-Region, die aufgrund ihrer finanziellen Mittel, ihrer Erdöl- und Erdgas-Infrastruktur und der guten Bedingungen für Erneuerbare interessant ist. Auch in Südamerika und anderen Regionen gibt es gigantische Möglichkeiten, aber da reden wir von Projekten im Gigawatt-Bereich. Aufgrund der etwas volatilen Nachfrage wird es sicher noch etwas dauern, bis diese realisiert werden. Wir sind aber gespannt und stehen bereit. Wichtig ist, dass jetzt Projekte realisiert werden und dass sich die gesamte Lieferkette, der Finanzmarkt und die Wasserstoffnutzung organisieren – dann klappt es auch mit den Großprojekten.
H₂News: Herr von Olshausen, vielen Dank für das Gespräch!
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