H₂News: Herr Rosenstock, können Sie die jüngere Geschichte von Fluxys kurz umreißen?
Friedrich Rosenstock: Unsere Wurzeln liegen in Belgien, einer wichtigen Drehscheibe für den europäischen Gastransport – nur etwa ein Drittel des dorthin importierten Gases wird in Belgien selbst verbraucht, der Rest wird ins europäische Ausland weitertransportiert. Ausgehend von diesem starken Fokus auf Europa haben wir uns in den letzten zwölf Jahren international weiterentwickelt; unsere neuen Beteiligungen liegen unter anderem in Lateinamerika und im Mittleren Osten. Europa, speziell Deutschland, bleibt aber unser strategischer Fokus.
H₂News: Was sind Ihre wichtigsten Geschäftsfelder?
Rosenstock: Unser Geschäft beruht auf drei Säulen: LNG-Terminals, Gastransport und -speicherung. Bei den LNG-Terminals sind wir in Nordwesteuropa an zwei strategischen Standorten präsent: Wir betreiben das Terminal in Zeebrügge und sind Miteigentümer und -betreiber des Terminals in Dünkirchen. Das französische Terminal ist über eine spezielle Leitung direkt mit dem belgischen Netz verbunden, ohne dass das Gas durch das französische Netz transportiert werden muss. Daneben sind wir auch am chilenischen Quintero LNG Terminal sowie, über unsere Beteiligung am griechischen Netzbetreiber DESFA, an den beiden griechischen LNG-Terminals beteiligt.
H₂News: Wie ist Fluxys im Transportbereich aufgestellt?
Rosenstock: Seit 2011 haben wir uns – ausgehend von unserer belgischen Basis – systematisch an verschiedenen europäischen Transportnetzen beteiligt. In Deutschland hat es mit der NEL-Pipeline, die von Greifswald in Richtung des Speichers in Rehden führt, begonnen. Gemeinsam mit Open Grid Europe (OGE), an der wir zu rund 24 % beteiligt sind, betreiben wir zudem die TENP-Leitung, die von Belgien und den Niederlanden bis zur Schweizer Grenze reicht. Die TENP ist bidirektional ausgelegt – das hat sich in der Energiekrise bewährt, als Deutschland über die Schweiz Gas aus Frankreich und Italien beziehen konnte. Hinzu kommt unsere Beteiligung an der EUGAL, die von Lubmin zur tschechischen Grenze führt, und seit 2023 die Ostseeanbindungsleitung vom LNG-Terminal Mukran nach Lubmin. Außerdem besitzen wir noch unter anderem Anteile am Schweizer Netzbetreiber Transitgas und an der Trans-Adriatic Pipeline.
H₂News: Welche Rolle spielen Gas-Speicher dabei in Ihrem Portfolio?
Rosenstock: Gasspeicherung ist ein Teil unseres integrierten Ansatzes: Belgien ist als Transitland für Erdgas eine wichtige Energie-Drehscheibe, besonders seit dem Ende der russischen Gaslieferungen. Aber erst durch die Kombination von LNG-Terminals, Transportnetz und Speichern können wir diese Rolle vollumfänglich erfüllen. Unser Speicher Loenhout hat mit einem Arbeitsgasvolumen von 700 Millionen Kubikmetern im Vergleich zu deutschen Speichern zwar ein überschaubares Volumen, für Belgien ist das aber sehr viel.
H₂News: Sie sind traditionell also im Erdgasgeschäft verankert – wieso beschäftigen Sie sich auch mit Wasserstoff?
Rosenstock: Wir wollen einen Beitrag zur Energiewende leisten. Diesem Ziel folgt unsere gesamte Strategie – sei es beim Transport von Erdgas, Wasserstoff oder auch von abgeschiedenem CO2. H2 ist keine halbherzige Ergänzung unseres bestehenden Geschäfts, sondern ein fest in unserer Unternehmensstrategie verankerter Zukunftssektor. Gleichzeitig müssen wir die Versorgungssicherheit im Blick behalten. Wir werden weiterhin Erdgas transportieren, solange die Nachfrage im Markt besteht. Entscheidend ist also, dass wir Erdgas, Wasserstoff und CO2 nicht isoliert betrachten, sondern als Gesamtsystem. Dabei übertragen wir unser Know-how aus Belgien auf Projekte in anderen Ländern. Die grenzübergreifende Organisation von Transportkapazitäten ist dafür ein gutes Beispiel.
H₂News: Können Sie die Wasserstoffstrategie von Fluxys grob umreißen?
Rosenstock: Sie verfolgt mehrere Ziele parallel: Zum einen wollen wir unser Netz so weit ausbauen, das wir sowohl Wasserstoff als auch CO2 in signifikantem Umfang transportieren können. Dabei setzen wir speziell auf unsere Terminal-Standorte und die Häfen in Zeebrügge, Antwerpen und Gent, um der europäischen Industrie sowohl den Wasserstoff-Import als auch den CO2-Export zu ermöglichen. Ein weiterer Aspekt ist die Verknüpfung verschiedener Wertschöpfungsstufen durch Partnerschaften, wie wir sie zum Beispiel in Joint Ventures mit anderen deutschen Netzbetreibern oder in internationalen Konsortien praktizieren.
H₂News: Fluxys gehört zu rund 80 % den belgischen Kommunen – wie kommt ein so strukturiertes Unternehmen dazu, sich an Auslandsprojekten zu beteiligen?
Rosenstock: Das hängt mit unserer besonderen Rolle in Belgien zusammen: Anders als in Deutschland gibt es dort nur einen einzigen Fernleitungsnetzbetreiber – Fluxys. Damit hat die Regierung einen klaren Ansprechpartner für Infrastrukturfragen. Wenn die belgische Politik also über künftige Wasserstoff-Importrouten nachdenkt, werden wir häufig einbezogen. Fluxys wurde sogar per Regierungsbeschluss zum offiziellen belgischen Wasserstoffnetzbetreiber ernannt. Trotz dieser besonderen Rolle handeln wir weder mit Erdgas noch künftig mit Wasserstoff – wir sind ausschließlich für die Infrastruktur zuständig.
H₂News: Wie wichtig ist Ihnen dabei die „Farbe” des Wasserstoffs?
Rosenstock: Als Netzbetreiber steigen wir in diese Diskussion – die übrigens sehr deutsch geprägt ist – bewusst nicht ein. Es ist nicht unsere Aufgabe, die „Farbe” eines Moleküls zu bestimmen. Stattdessen orientieren wir uns an der Realität: Es wird nicht die eine Lösung geben. Für das Erreichen der Klimaziele ist es unverzichtbar, dem Markt überhaupt erst einmal Wasserstoff in ausreichenden Mengen zur Verfügung zu stellen. Dabei lässt sich nicht zentral planen, wie viel Wasserstoff welcher Farbe es genau sein wird – das werden letztlich der Markt und unsere Kunden entscheiden.
H₂News: Welche konkreten Wasserstoffprojekte verfolgt Fluxys derzeit?
Rosenstock: Ein wichtiges Projekt ist die neue H₂-ready Pipeline zwischen Zeebrügge und Brüssel. Den ersten, 45 Kilometer langen Abschnitt haben wir Anfang 2024 in Betrieb genommen. Im Februar 2025 beginnen die Arbeiten am zweiten Abschnitt zwischen Brügge und Gent. Diese 40-Zoll-Pipeline wird zunächst für Erdgas genutzt, ist aber bereits vollständig wasserstoff-kompatibel ausgelegt – von den Schweißverfahren bis hin zu allen Genehmigungen.
H₂News: Parallel entwickeln Sie ein großes Terminal für Ammoniak-Importe im Hafen von Antwerpen.
Rosenstock: Richtig. Die Kapazität soll hier 200.000 m³ mit einem jährlichen Durchsatz von etwa 2 Millionen Tonnen betragen. Der Hafen von Antwerpen bringt als größtes Chemiecluster Europas bereits umfangreiche Erfahrungen mit Ammoniak mit und bietet mit seinen Chemieunternehmen zahlreiche potenzielle Abnehmer. Parallel dazu bauen wir das erforderliche H2-Transportnetz auf: Für die erste Phase untersuchen wir die Verbindung der Hafenstadt Gent mit Antwerpen bis 2026, in der zweiten Phase soll dann die Verlängerung zu den Grenzen mit den Niederlanden, Frankreich und zum Kernnetz in Deutschland folgen. Bei einer Marktabfrage im letzten Jahr haben rund 25 Unternehmen aus der ganzen Wertschöpfungskette ein starkes Interesse an dieser Anbindung signalisiert und uns in unseren Planungen bestätigt.
H₂News: Wie sieht es bei den grenzüberschreitenden Verbindungen aus?
Rosenstock: Dafür haben wir bereits Kooperationen mit FNB in den Niederlanden, Deutschland, Frankreich, UK und Luxemburg geschlossen. Unser Ziel ist, die belgischen Häfen als Import-Hubs zu nutzen und mit den Netzen im Ausland zu verbinden. Mit unserem Terminal in Zeebrügge und der Hafeninfrastruktur in Antwerpen sind wir dafür sehr gut aufgestellt – sowohl für den Import von Wasserstoff als auch für den Export von CO₂.
H₂News: Sie verfolgen Projekte zum Leitungsneubau, ein Großteil der H₂-Strecken soll aber aus einer Umstellung (Repurposing) resultieren. Können Sie an einem konkreten Beispiel zeigen, wieso das Sinn macht?
Rosenstock: 60 Prozent des deutschen Kernnetzes sollen aus umgestellten Erdgasleitungen bestehen. Repurposing ist also das Gebot der Stunde – und das nicht nur, weil die Leitungen bereits vorhanden sind: Ein wesentlicher Vorteil zeigt sich auch bei den Genehmigungsverfahren und in den Gesprächen mit Grundstückseigentümern. Das sehen wir zum Beispiel bei unserem TENP-3-Projekt mit OGE in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz: Dort haben wir eine neue, wasserstoff-kompatible Pipeline in der bestehenden Trasse verlegt, was uns einen enormen Zeitgewinn bei Genehmigungen und Grundstücksfragen gebracht hat. Zwei von drei Abschnitten sind bereits in Betrieb. Diese neue Leitung ist Teil eines größeren europäischen Projekts, bei dem wir mit den Schweizern von FluxSwiss und Transitgas, mit OGE und der italienischen Snam die Voraussetzung für Wasserstofftransporte von Italien über die Schweiz nach Baden-Württemberg schaffen. Das Projekt gehört zwar nicht zum Kernnetz, ist aber im europäischen Zehnjahresnetzentwicklungsplan enthalten und kann einen wichtigen Beitrag zur Diversifizierung unserer Wasserstoffversorgung leisten.
H₂News: Sie sprechen das Kernnetz an. Wie bewerten Sie dieses Vorhaben als FNB, gerade mit Blick auf das Investitionsrisiko?
Rosenstock: Die Investitionsbedingungen und der Regulierungsrahmen müssen noch nachgeschärft werden. Zwar gibt es mit dem Amortisationskonto ein wichtiges Instrument zum Derisking, allerdings tragen die Netzbetreiber durch einen Selbstbehalt auch ein ungewöhnlich hohes Risiko – nämlich dann, wenn der Wasserstoffhochlauf nicht wie erwartet gelingt. Dieses erhöhte Risiko spiegelt sich bisher leider nicht in der Eigenkapitalverzinsung wider. Die Wasserstoffnetzbetreiber erhalten trotz des höheren Risikos durch den Selbstbehalt am Amortisationskonto die gleiche Eigenkapitalverzinsung wie im Strombereich. Hier muss die Regulierungsbehörde noch nachsteuern, um die Investitionsbedingungen attraktiver zu gestalten. Das ist besonders wichtig für Projekte, bei denen noch kein konkreter Vorhabensträger feststeht – damit diese überhaupt zu einer finalen Investitionsentscheidung kommen können.
H₂News: Halten Sie das Kernnetz denn grundsätzlich für eine gute Idee?
Rosenstock: Es ist definitiv der richtige Ansatz, um das klassische Henne-Ei-Problem zu lösen. Die deutschen FNB sind hier mit ihrem Antrag in Vorleistung gegangen und haben Risiken in Kauf genommen. Denn kein FNB hat die notwendigen Mittel einfach auf dem Konto liegen. Wir brauchen Finanzierungen durch Banken und Eigenkapital von Gesellschaftern – und beide schauen sehr genau auf das Risiko- und Renditeprofil. Für Fluxys ist das Kernnetz strategisch relevant: Einerseits durch unsere Beteiligung an OGE, andererseits durch die geplante Verbindung Deutschlands mit Belgien mit 3,8 GW Einspeisekapazität. Zudem sind wir über ein Memorandum of Understanding mit Gascade am Offshore-Projekt AquaDuctus beteiligt und planen eine teilweise Umstellung der EUGAL-Pipeline Richtung Tschechien.
H₂News: Wieso haben Sie sich für die Beteiligung an AquaDuctus entschieden?
Rosenstock: Die Nordsee spielt insgesamt eine wichtige Rolle für die zukünftige Energieversorgung Nordwesteuropas. Wir sehen dort großes Potenzial für die Stromproduktion durch Windenergie, die Offshore-Wasserstofferzeugung durch Elektrolyse sowie für die CO₂-Speicherung. Der Nordsee-Summit in Ostende, auf dem 2023 die Staats- und Regierungschefs und Energieminister von neun Anrainerstaaten zusammengekommen sind, hat genau diese Potenziale in den Fokus gerückt. Hierauf kann und muss im Rahmen des nächsten Summits in diesem Jahr aufgebaut werden. Das AquaDuctus-Projekt passt hervorragend zu diesem Ansatz und kann als Offshore-Pipeline große Wasserstoffmengen aus unterschiedlichen Erzeugungsquellen in der Nordsee in die Verbrauchszentren auf dem Festland bringen und so die Resilienz der deutschen Wasserstoffimporte zusätzlich stärken.
H₂News: Gibt es eigentlich schon Zahlen dazu, wie viel Wasserstoff Belgien importieren wird?
Rosenstock: Das hängt stark von der Nachfrage ab. Der Wasserstoffmarkt ist noch in der Entwicklung, aber wir sind im engen Austausch mit Vertretern der gesamten Wertschöpfungskette, um ein klares Bild der Marktbedürfnisse zu bekommen. Es gibt bereits Berechnungen zum Potenzial – sowohl für den belgischen Markt als auch für den Transit in Richtung Deutschland, Niederlande, Luxemburg, Frankreich und UK.
H₂News: Könnten Ihre Beteiligungen an Übersee-Projekten wie Chile oder Oman auch eine Rolle beim H₂-Import spielen?
Rosenstock: Auch wenn wir uns als Infrastrukturbetreiber nicht direkt mit der Commodity befassen, gibt es hier durchaus strategische Überlegungen. Das erinnert an die Entstehung unseres LNG-Terminals in Zeebrügge: Diese Anlage wurde als Konsequenz aus der Ölkrise der 70er Jahre gebaut, als die belgische Regierung die Energieversorgung diversifizieren wollte. Damals wurde das noch in einer konzertierten Aktion realisiert – der Liefervertrag für die Commodity zusammen mit der notwendigen Infrastruktur. Heute funktioniert das zwar nicht mehr so integriert, aber natürlich ist es eine bewusste strategische Entscheidung, dass wir in Ländern wie Chile und Oman aktiv sind, die über ein hohes Potenzial zur Wasserstoffproduktion verfügen. Diese Präsenz in potenziellen Exportländern ergänzt unsere europäische Infrastruktur-Strategie. Die Frage, woher der Wasserstoff kommen wird, um unsere Leitungen zu füllen, ist dabei zentral für die langfristige Planung.
H₂News: Vergleichen wir zum Abschluss nochmal das große Bild beider Länder. Inwiefern unterscheiden sich die Wasserstoffstrategien in Deutschland und Belgien?
Rosenstock: Ich sehe da zunächst Unterschiede. Während Deutschland mit dem Kernnetz für 20 Milliarden Euro in Vorleistung geht, agiert Belgien marktnäher: Wir brauchen für den weiteren Ausbau verbindliche Transportbuchungen von Kunden. Natürlich gehen wir auch in Vorleistung, etwa bei der Verbindung Gent-Antwerpen oder im Hafen Antwerpen, aber in einem deutlich kleineren Rahmen. Eine Gemeinsamkeit besteht wiederum darin, dass beide Länder nur über ein begrenztes Potenzial für die eigene Wasserstoffproduktion verfügen. Deshalb setzt Deutschland wie auch Belgien auf Importe. Wenn in Antwerpen Ammoniak ankommt, können wir einen Teil direkt im Antwerpener Chemiecluster nutzen und den anderen Teil cracken und weiter exportieren. Das schafft eine Win-win-Situation. Diese Kombination aus Wasserstoff-Import, -Nutzung im Inland und -Export macht für ein im Vergleich zu Deutschland kleineres Land wie Belgien strategisch und wirtschaftlich am meisten Sinn. Und am Ende kommt die Importinfrastruktur, die wir in Belgien aufbauen, auch der Industrie in Deutschland und im restlichen Europa zugute.