H₂News: Herr Haasenleder, Herr Gierden, warum ist Wasserstoff-Qualitätsmessung so wichtig?
Fabian Haasenleder: Die Bedeutung der Qualitäts- oder Reinheitsmessung von Wasserstoff wird oft unterschätzt. Dabei ist sie eigentlich an sämtlichen Punkten der Wertschöpfungskette von Bedeutung, ob Produktion, Transport oder Anwendung. Kurz gesagt: Die Qualität des Wasserstoffs muss hoch sein, damit er optimal genutzt werden kann. Das gilt speziell für Brennstoffzellenanwendungen.
René Gierden: Bei anderen Produkten ist es ja ähnlich; ob Wasser, Benzin oder Bier. Damit der Markt funktioniert, muss die Qualität zwischen Lieferanten und Kunde sichergestellt sein. Und ob das so ist, zeigt unser Messgerät.
H₂News: Ist die Wasserstoffqualität ein Punkt, der heute zu wenig Beachtung findet?
Gierden: Möglicherweise ja. Im Moment konzentriert man sich auf die Bereitstellung großer Wasserstoffmengen, ob durch inländische Produktion oder durch Import. Aber je mehr Wasserstoff vorhanden ist und tatsächlich verwendet wird, desto stärker rückt seine Qualität in den Fokus.
H₂News: Welche Methoden zur Wasserstoffmessung werden aktuell genutzt?
Haasenleder: Heute kommt vor allem die so genannte Stichprobenmessung zum Einsatz. Dabei wird zunächst eine Gasprobe, beispielsweise aus dem Dispenser einer Tankstelle, in eine kleine Druckgasflasche abgefüllt. Danach wird die Probe mit verschiedenen Messgeräten im Labor analysiert.
Gierden: Der Nachteil dabei ist, dass man sozusagen nur ein “Foto” des momentanen Gaszustandes erhält. Die Produktion, Verteilung und Nutzung von H2 ist jedoch üblicherweise ein dynamischer Prozess, der vielen Schwankungen unterliegt, wodurch die Probe nicht mehr repräsentativ ist.
H₂News: Und welchen Ansatz verfolgen Sie?
Haasenleder: Unser System nutzt eine Online-Analyse. Wir greifen also auf Sensoren und Messgeräte zurück, die direkt in die jeweilige Wasserstoff-Infrastruktur implementiert werden. Unser Messsystem nimmt dabei viele Einzelproben, die insgesamt einen “Film” des Gaszustandes ergeben und damit auch dynamische Veränderungen der Qualität widerspiegeln können.
Gierden: Unser Messgerät liefert kontinuierliche Daten in Echtzeit. Es ist sozusagen ein “Outdoor-Labor”: Wir bringen keine Proben ins Labor, sondern das Labor zum Kunden.
H₂News: Wie können wir uns das praktisch vorstellen?
Haasenleder: Das Messgerät ist etwa so groß wie eine Waschmaschine – aber leichter zu transportieren. Wir nutzen die Geräte seit rund sieben Jahren. Der Ablauf der Messungen ist immer gleich: Wir fahren mit dem Gerät zu einem Kunden und schließen es an einen bestimmten Messpunkt in der Wertschöpfungskette an. Dann lassen wir kontinuierlich Wasserstoff hindurchfließen, wobei das Gerät das Gasgemisch auf verschiedenste Verunreinigungen hin analysiert. Währenddessen ist der Wasserstoff normal nutzbar; das Messsystem arbeitet quasi im Hintergrund.
Gierden: Unser Messgerät kann auch für die Langzeitmessung eingesetzt werden. Werden dabei verschiedene Messstellen und Betriebszustände durchlaufen, hat man die Chance, seine Wasserstoffanlage intensiv kennenzulernen.
H₂News: Also kann der Punkt der Messung wechseln?
Haasenleder: Auf jeden Fall. Mit unterschiedlichen Messpunkten lässt sich feststellen, an welcher Stelle der Prozesskette eine Verunreinigung aufgetreten ist. Wenn Sie an einer Tankstelle beispielsweise Restfeuchte im Wasserstoff nachweisen, können Sie prüfen, ob diese schon vor dem Pufferspeicher oder erst danach eingedrungen ist.
H₂News: Und was passiert, wenn ein Grenzwert überschritten wird?
Haasenleder: Dann wird der Kunde benachrichtigt. Eine Besonderheit unseres Gerätes ist, dass seine Messergebnisse über ein von uns entwickeltes Online-Portal jederzeit abrufbar sind. Man kann sich also jederzeit auf seinem Computer oder Smartphone anschauen, welche Ergebnisse die Messung hervorbringt. Wird ein Grenzwert überschritten, schlägt das Gerät Alarm und verschickt eine SMS oder E-Mail. Theoretisch kann man die verbundene Infrastruktur auch so konfigurieren, dass sie automatisch den Betrieb einstellt, sobald das Messgerät Alarm schlägt. Das kann zum Beispiel für Tankstellen sehr interessant sein.
H₂News: Warum ist die Qualitätsmessung an Tankstellen so wichtig?
Gierden: Für Brennstoffzellenfahrzeuge ist die Zapfsäule als “Übergabestelle” der wichtigste Punkt der Wertschöpfungskette. Konventionelle Otto- und Dieselkraftstoffe müssen eine hohe Qualität besitzen, um den Motor nicht zu beschädigen und die gewünschte Leistung zu erbringen. Für Brennstoffzellen gilt dies aber in besonderem Maße: Keine Antriebstechnologie stellt höhere Anforderungen an die Reinheit des Kraftstoffes.
Haasenleder: Damit eine Brennstoffzelle (BZ) optimal funktioniert, sollte der Wasserstoff eine Reinheit von 99,97 % besitzen. Einfach gesagt: Je höher die Reinheit des Wasserstoffs, desto höher ist auch die Leistungsfähigkeit einer BZ. Zudem können manche Verunreinigungen das gesamte BZ-System beschädigen.
H₂News: Wie können Tankstellenbetreiber denn sicherstellen, dass der Wasserstoff jederzeit die erforderliche Qualität erfüllt?
Haasenleder: Unser Messsystem bietet Echtzeit-Einblicke in den Zustand des Wasserstoffs, sodass unsere Kunden jederzeit und überall genaue Informationen erhalten können. Dies ermöglicht nicht nur eine laufende Überwachung, sondern bietet auch die Möglichkeit der Optimierung von Betriebsabläufen und Betriebszuständen.
Gierden: Dadurch können ebenso potenzielle Probleme früh erkannt werden, was wiederum Schäden oder Ausfälle vermeidet. Und das betrifft nicht nur Tankstellenbetreiber, sondern ist auch auf andere Anwendungsfälle übertragbar.
H₂News: Welche sind das?
Haasenleder: Unser System kann nach dem Plug-and-Play-Prinzip an jeder Stelle der Wasserstoff-Wertschöpfungskette installiert werden. Dem Gerät ist auch egal, wofür der Wasserstoff eingesetzt wird.
Gierden: Bisher haben wir die Wasserstoffqualität an Tankstellen, Kompressoren, Elektrolyseuren und Trailerabfüllstationen, aber auch schon in fahrenden Fahrzeugen gemessen. Viele weitere Einsatzorte wären denkbar.
H₂News: An welchen Projekten waren Sie schon beteiligt?
Haasenleder: Den Großteil unserer Kunden bilden neben Wasserstofftankstellen und Automobilherstellern die Produzenten von Wasserstoff, sei es per Elektrolyse oder anderen Verfahren. Ihnen ist wichtig, angeben zu können, wie rein der in ihren Anlagen produzierte Wasserstoff ist. Und je länger die Messung war, desto stichhaltiger sind ihre Angaben.
Gierden: Abgesehen vom laufenden Geschäft sind wir an dem europäischen Projekt HyQuality Europe beteiligt. Dieses soll Erkenntnisse zur Qualitätssicherung von Wasserstoff erarbeiten, um Empfehlungen für Normen und Richtlinien geben zu können. Außerdem werden verschiedene Messtechnologien verglichen und evaluiert, darunter unsere.
H₂News: Schon heute regeln zahlreiche Normen die Wasserstoffreinheit. Welche sind für Sie besonders wichtig?
Gierden: Das lässt sich grob in zwei Kategorien unterteilen: Industriestandards und Normen für die Kraftstoffbeschaffenheit. Die Industriestandards sind eine Kennzeichnung in der Reinheit von Wasserstoff. Beispielsweise bedeutet der Industriestandard “H2 4.0”, dass der Wasserstoff eine Reinheit von 99,990 % aufweist.
Haasenleder: Weitere Normen nennen exakte Grenzwerte für bestimmte Verunreinigungen je nach Anwendungsfall. Vor allem die ISO 14687, aber auch die DIN EN 17124, ISO 19880-8 und SAE J2719 definieren diese Grenzwerte. Die Skala reicht von hohen parts per million- bis zu niedrigen parts per billion-Werten. Wir können unter anderem die darin genannten Verunreinigungen detektieren.
H₂News: Wann und wie ist Ihre Geschäftsidee mit der Qualitätsmessung entstanden?
Haasenleder: Die Qualitätsmessung hat sich 2016 aus einer Kundenanfrage entwickelt: Ein Automobilhersteller hatte nach Tests von Brennstoffzellen den Verdacht, dass Verunreinigungen im Wasserstoff die Lebensdauer der Zellen deutlich verkürzen würden. Ihm fehlte aber das Messequipment, um diese Vermutung zu überprüfen. Daraufhin entwickelten wir die erste Generation unseres Messgeräts. Mit ihm konnten wir nachweisen, dass tatsächlich Verunreinigungen im verwendeten Wasserstoff die Ursache für die Degradation der BZ-Stacks waren. Das hat uns die Relevanz des Themas bewusst gemacht und zu den nächsten Entwicklungen angespornt. Inzwischen sind wir bei der vierten Produktgeneration angekommen.
H₂News: Und wie sieht die weitere Roadmap aus?
Haasenleder: Wir versuchen, Service und Messangebot stetig zu verbessern. Aktuell erproben wir zum Beispiel ein neues Modul, das Sensitivität und Stoffvielfallt der Messung erhöhen kann.
Gierden: Ein anderer Punkt ist die Kostenoptimierung. Perspektivisch sollten alle Interessenten in der Lage sein, eigene Messgeräte zu kaufen und im Dauerbetrieb zu nutzen. Dafür benötigen wir allerdings entsprechende Produktionskapazitäten. Diese aufzubauen ist ein weiteres Ziel für die nächsten Jahre.
H₂News: Sie haben schon zahlreiche Messungen durchgeführt. Versuchen wir es mit einem Fazit – welche Qualität hat der heute in Deutschland verwendete Wasserstoff?
Gierden: Wir konnten bei nahezu allen Messeinsätzen Verunreinigungen nachweisen. Sie waren nicht immer oberhalb der Grenzwerte, dennoch waren einige unserer Kunden verwundert darüber, was alles unerwartet in ihrem Wasserstoff vorhanden war.
H₂News: Nimmt die Sensibilität für das Thema denn zu?
Haasenleder: Definitiv. Nicht zuletzt deswegen verzeichnen wir seit ein bis zwei Jahren eine steigende Nachfrage.