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„Wir müssen Wasserstoffspeicherung von Grund auf neu denken“

Im H2 Talk stellt Magnus Bach eine neue Art der Wasserstoffspeicherung vor, die ein großes Hindernis der Wasserstoffwirtschaft überwinden soll. Mithilfe neuartiger retikulärer Materialien erzielt H2MOF die gleiche Speicherleistung wie herkömmliche Systeme – aber zu einem Bruchteil der Betriebskosten. Lesen Sie hier, wie die von einem Nobelpreisträger und Begründer der retikulären Chemie entwickelte Technologie den Markt verändern könnte und wie das Unternehmen bei ihrer Markteinführung vorgeht.

von | 29.11.24

Magnus Bach war über 15 Jahre beim Windanlagen-Hersteller Vestas tätig
© H2MOF
Bach

H₂News: Herr Bach, Sie entwickeln eine neue Technologie zur Wasserstoffspeicherung. Wieso eigentlich?

Magnus Bach: Wegen der aktuell viel zu hohen Kosten! In Regionen wie Kalifornien kann die Produktion von Wasserstoff heute rund 3 US-Dollar pro Kilogramm kosten – bis der Wasserstoff aber beim Endverbraucher ankommt, verzehnfacht sich der Preis auf über 30 Dollar. Der Grund dafür sind ineffiziente Speicher- und Transporttechnologien, und hier setzt unsere Lösung an.

H₂News: Welchen Ansatz verfolgen Sie?

Bach: Schauen wir uns zunächst die beiden etablierten Lösungen an: Hochdruckspeicherung und Kryotechnik. Trotz jahrzehntelanger Forschungsarbeit haben beide große Probleme in puncto Kosteneffizienz und Sicherheit. Daher haben wir einen komplett neuen Ansatz entwickelt: Nanostrukturierte Materialien, wie zum Beispiel sogenannte metallorganische Gerüstverbindungen (Metal Organic Frameworks, MOF). Einer unserer Gründer hat diese Struktur – sie sieht aus wie ein unscheinbares Pulver – entdeckt. Damit gilt er als Begründer der retikulären Chemie.

H₂News: Allerdings verkaufen Sie nicht das MOF selbst, sondern Tanks, die mit dem Pulver ausgekleidet sind. Dadurch können sie Wasserstoff ein- und ausspeichern.

Bach: Genau, wir sind Anbieter von Wasserstofftanksystemen. In diesem Bereich adressieren wir drei zentrale Marktsegmente: Erstens den Fahrzeugtankmarkt, der das gesamte Mobilitätsspektrum umfasst – von Drohnen über PKW und LKW bis hin zu Flugzeugen. Zweitens den Markt für stationäre Bodenspeicher. Hier sprechen wir von großen Tanks, die derzeit meist mit kryogener Technologie arbeiten. Die Anwendungen reichen von industriellen Speichern, wie sie etwa die NASA nutzt, bis hin zu Backup-Systemen für Sendemasten oder Rechenzentren. Das dritte Segment sind mobile Transporttanks, auf LKW oder Schiffen bewegt werden.

Bach

H2-Behälter (Prototyp) (© H2MOF)

H₂News: Was sind die Vorteile Ihrer Technologie im Vergleich zu etablierten Methoden?

Bach: Kurz gesagt: Wir erzielen die gleiche Speicherleistung wie Hochdruckspeicher, benötigen dafür aber weder extreme Drücke noch tiefe Temperaturen. Dabei zielen wir nicht auf eine Universallösung für sämtliche Anwendungsfälle ab. Für bestimmte Use Cases bietet unsere Lösung aber klare Vorteile.

H₂News: Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

Bach: Nehmen wir einen Bus mit einem 30-kg-Wasserstofftank, der täglich neu befüllt wird. Mit einem 700-bar-Hochdrucktank verbraucht dieser Bus allein für die Kompression 61.000 kWh pro Jahr, was Kosten von etwa 11.000 Dollar verursacht. Mit der kryogenen Verflüssigung bei -253 °C steigt der Energieverbrauch sogar auf 159.000 kWh, also 30.000 Dollar pro Bus und Jahr. Für einen Flottenbetreiber mit 100 Bussen summiert sich das auf drei Millionen Dollar jährlich. Diese Beispielrechnung basiert nur auf dem Energieverbrauch, es sind also noch keine Treibstoffverluste eingerechnet, die durch Leckage von Drucktanks oder durch Verdampfung in der Kryotechnik entstehen. Hinzu kommen die bekannten Sicherheitsrisiken von Hochdruckbehältern oder extrem kalten Flüssigkeiten. Diese lassen sich zwar problemlos auf ein Minimum reduzieren, doch ist das mit beträchtlichen Kosten verbunden. All diese Nachteile hat unser System nicht.

H₂News: Warum nicht?

Bach: Da wir Wasserstoff in einem Festkörper bei a) Umgebungstemperatur und b) einem niedrigen Druck von 50-100 bar speichern. Dies reduziert nicht nur den Energieverbrauch drastisch, sondern macht das System auch inhärent sicher, was wiederum die Kosten für zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen minimiert.

H₂News: Wie genau sind die MOF aufgebaut?

Bach: Es handelt sich um sogenannte retikuläre Materialien – ein Überbegriff für verschiedene dreidimensionale Nanostrukturen. Ihre Besonderheit liegt in der kristallinen Struktur, welche eine Vielzahl von Hohlräumen und Poren bietet. Damit erhalten sie eine enorme Gesamtoberfläche: ein einziges Gramm hat ausgefaltet die Fläche eines Fußballfeldes.

Bach

MOF-Struktur Detailansicht (© H2MOF)

H₂News: Und diese Oberfläche führt zu einer hohen Speicherkapazität.

Bach: Genau. Wir erreichen bei niedrigem Druck und Umgebungstemperatur die gleiche volumetrische und gravimetrische Dichte wie ein 700-bar-Hochdrucktank. Denn die Wasserstoffmoleküle werden nicht fest in das Material eingebunden, sondern lagern sich an dessen innerer Oberfläche an. Aufgrund der extrem hohen Oberfläche retikulärer Materialien, können exorbitant viele H2-Moleküle gespeichert werden.

H₂News: Lassen sich Ihre Tanks denn ohne Weiteres mit bestehender Infrastruktur kombinieren?

Bach: Ja, manches wird sogar überflüssig. Ein klassischer Elektrolyseur erzeugt Wasserstoff bei einem Druck von etwa 25 bar. Für konventionelle Hochdruckspeicher muss dieser Druck mit Kompressoren stark erhöht werden. Für unser System können wir den Wasserstoff hingegen direkt aus dem Elektrolyseur entnehmen. Dies eliminiert nicht nur die Notwendigkeit teurer Kompressoren, sondern auch deren Energieverbrauch und die damit verbundenen Betriebskosten. Die Einfachheit unserer Technologie ist einer ihrer Hauptvorteile – wir integrieren uns in die bestehende Infrastruktur, statt eine komplett neue aufzubauen.

H₂News: Ist Ihre Lösung auch eine Alternative zu Ammoniak, Methanol und anderen chemischen H2-Trägern?

Bach: Prinzipiell schon. Bei der Ammoniak-Route muss der Wasserstoff zunächst gebunden und später wieder freigesetzt werden – zwei energieintensive Umwandlungsschritte. In unserem System bleibt der Wasserstoff durchgängig Wasserstoff, sowohl bei der Speicherung als auch beim Transport. Dieser Ansatz vereint die Vorteile einer physikalischen Speicherung wie Hochdruck- und Kryotechnik – keine chemische Umwandlung – mit einem Vorzug molekularer bzw. chemischer Systeme, die vergleichsweise unkomplizierte Speicherung.

H₂News: Demnach lässt sich Ihr Ansatz am ehesten mit der Metallhydrid-Speicherung vergleichen, die von einigen Unternehmen bereits genutzt wird?

Bach: Richtig. Metallhydride kommen unserer Technologie am nächsten, da sie ebenfalls bei niedrigem Druck und moderaten Temperaturen arbeiten. Allerdings nutzen netzartige Materialien, und dieser Unterschied ist entscheidend. Außerhalb von Nischen-Anwendungen wie Gabelstaplern oder U-Booten, haben Metallhydride zwei wesentliche Nachteile: Erstens sind sie schwer, und zweitens binden sie Wasserstoff sehr fest. Um ihn wieder freizusetzen, muss das Material typischerweise auf 70 bis 200 °C erhitzt werden. Unser MOF ist erstens deutlich leichter, und zweitens ist der Wasserstoff darin schwächer gebunden. Damit benötigen wir nur minimale Temperaturerhöhungen für die Freisetzung.

H₂News: Das hört sich ja geradezu optimal an. Wie schätzen Sie den technischen Reifegrad Ihrer Speicher ein? 

Bach: Wir befinden uns derzeit bei TRL (Technology Readiness Level) 5-6, also im Übergang von der Laborerprobung auf Materialebene zur industriellen Prototypenentwicklung. Die eigentliche Herausforderung liegt nicht im Bau der Speichertanks, sondern in der Entwicklung und Skalierung der Nanomaterialien. In Bezug auf den Kern unserer Technologie, sprich die retikulären Materialien, sind wir schon sehr weit gekommen. Jetzt bereiten wir die ersten Produkttests unter realen Bedingungen vor.

H₂News: Aber an dem Material selbst führen Sie sicher noch weitere Forschungsarbeit durch.

Bach: Ja. Aktuell konzentriert sich unsere F&E-Arbeit auf die Bindungskräfte. Die Wasserstoffmoleküle müssen sozusagen in einem perfekten Gleichgewicht an der Materialoberfläche „schweben” – stark genug gebunden, um nicht zu entweichen, aber schwach genug, um leicht freigesetzt werden zu können. Es geht also um die perfekte Balance: Schon die Position eines einzelnen Atoms kann massive Auswirkungen auf die Effizienz des gesamten Systems haben.

Bach

„Aufgrund der extrem hohen Oberfläche retikulärer Materialien, können exorbitant viele H2-Moleküle gespeichert werden“ (© H2MOF)

H₂News: Dabei kommt Ihnen die Expertise Ihres Mitgründers Sir Fraser Stoddart zugute, der 2016 den Nobelpreis für die Entwicklung molekularer Maschinen im Nanomaßstab erhalten hat. 

Bach: Absolut. Seine Fähigkeit, Atome und Moleküle für bestimmte Funktionen zu „programmieren”, ist für die Optimierung unserer Materialien von unschätzbarem Wert. Er und Berkeley-Professor Omar Yaghi, der Erfinder des ersten MOFs sowie weiterer retikulärer Materialien, sind ein eingespieltes Team.

H₂News: Wie ist Ihr Unternehmen eigentlich zusammengekommen?

Bach: Sir Fraser Stoddart und Professor Yaghi sind bereits seit Jahrzehnten als Freunde und Kollegen in der chemischen Forschung tätig. Der Impuls für ihre Gründung von H2MOF war die Erkenntnis, dass ihre wissenschaftliche Arbeit über den akademischen Kontext hinausgehen und so einen konkreten, gesellschaftlich-ökologischen Nutzen stiften kann.

H₂News: Würden Sie sich als ein Start-up bezeichnen?

Bach: Wir verstehen uns zwar als Start-up, aber nicht im klassischen Sinne. Wir bauen auf Jahrzehnte der Forschung und Entwicklung unserer beiden Gründer. Zusätzlich sind wir solide durch eine Value-Add-Holdingfinanziert und verfügen über eine gesicherte Finanzierung bis zur Kommerzialisierung.

H₂News: Wie sieht Ihre weitere Planung aus?

Bach: Aktuell laufen vielversprechende Gespräche mit verschiedenen Industrieunternehmen, mit denen wir im nächsten Jahr die ersten Praxistests durchführen wollen. In dieser frühen Phase konzentrieren wir uns möglicherweise zunächst auf kleinere Tanksysteme, etwa für H2-Drohnen oder Fahrräder. Diese Anwendungen ermöglichen einen schnelleren Markteintritt und liefern wichtige Praxiserfahrungen. In der Folge wollen wir uns den Markt schrittweise erschließen, um unsere Technologie kontrolliert zu validieren und hochzuskalieren.

H₂News: Sie sind seit über 20 Jahren im Erneuerbare-Energien-Bereich aktiv. Bemerken Sie eine Art Trendwende?

Bach: Definitiv. Vor einigen Jahren konzentrierte sich die Wasserstoffbranche auf Themen wie Standardisierung, Finanzierung und Elektrolyse. Die Speicherung war quasi das „Tabuthema“ – jeder wusste um die Herausforderung, aber es gab keine überzeugende Lösung. Heute sind Speicherung und Transport fester Bestandteil jeder Fachdiskussion. Wir sehen viele neue Unternehmen im Bereich der Metallhydride und damit einen Technologiewandel von physikalischen hin zu materialbasierten Speicher-Ansätzen. Das hat einen praktischen Hintergrund: Mit der Zunahme konkreter H2-Projekte wird immer deutlicher, wie sehr ineffiziente Speichertechnologien deren Wirtschaftlichkeit beeinträchtigen. Man hatte gehofft, dass zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme effizientere Technologien verfügbar sein würden.

H₂News: Der Business Case stellt sich für viele H2-Unternehmen tatsächlich noch nicht so dar wie erhofft; aktuell kriselt es ein wenig in der Branche. Wie bewerten Sie die Lage?

Bach: Der Use Case für Wasserstoff ist und bleibt mehr als überzeugend. Kurzfristig mag es Herausforderungen geben, aber diese können mit Hilfe der jüngsten wissenschaftlichen und technischen Fortschritte überwunden werden. Letztendlich sind die Kosten der Schlüssel für den Erfolg der H2-Wirtschaft – und hierbei ist die Speicherung die größte Herausforderung zwischen uns und dem Markthochlauf.

H₂News: Demnach hat, wer die optimale Speicherungsform findet, das Wirtschaftlichkeits-Problem beim Wasserstoff gelöst?

Bach: Nun ja, wahrscheinlich wird es nie eine „Silver Bullet“ geben, die für alle Anwendungsfällen die beste ist. Aber eins steht fest: Um Wasserstoff wirklich breit einsetzen zu können, müssen wir seine Speicherung von Grund auf neu denken.

H₂News: Herr Bach, vielen Dank für das Gespräch!

 

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