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„Wir sind die Jäger und Sammler des Wasserstoffs“

Während ein Großteil der Wasserstoffbranche auf Elektrolyse setzt, verfolgt die Siqens GmbH einen anderen Ansatz: Die elektrochemische Wasserstoffseparation (EHS). CEO Dr. Thomas Klaue erklärt im H2Talk, wie das Münchner Unternehmen mit Trenntechnik und Methanol-Brennstoffzellen das Henne-Ei-Problem lösen, weltweit neue Märkte erschließen und nebenbei das nationale Gasnetz für den Wasserstofftransport ertüchtigen will.

von | 12.06.25

Dr. Thomas Klaue ist seit rund drei Jahren CEO der 2020 gegründeten Siqens GmbH
© SIQENS
Klaue

H₂News: Herr Klaue, wie würden Sie Ihre Art der H₂-Erzeugung beschreiben?

Thomas Klaue: Wir sind also die Jäger und Sammler des Wasserstoffs. Elektrolyseure spalten die Molekularstruktur von Wasser auf, wir sammeln den Wasserstoff dort ein, wo er bereits vorhanden ist: in Gasgemischen, Abgasen, Biogas oder im Erdgasnetz. Unsere Hochtemperatur-Membran (HT-PEM) separiert aus nahezu jedem Gasstrom hochreinen Wasserstoff, egal ob er 2 % oder 98 % Wasserstoffkonzentration enthält.

H₂News: Sie können überall Wasserstoff gewinnen, wo ein Gasstrom vorhanden ist?

Klaue:  So ist es. Wir können uns an jedes Transport- oder Verteilnetz anschließen und daraus Wasserstoff separieren. Damit lösen wir das berühmte Henne-Ei-Problem, denn mit einer EHS-Anlage benötigen Sie keine neue Infrastruktur für Wasserstoffproduktion und -Transport. Außerdem brauchen Sie logischerweise auch kein Wasser als Rohstoff. 

H₂News: Wie funktioniert das?

Klaue: Der Schlüssel ist die HT-PEM. Der im Gasstrom enthaltene Wasserstoff wird in Protonen und Elektronen zerlegt, die Protonen passieren die Membran und werden auf der anderen Seite wieder zu reinen Wasserstoffmolekülen kombiniert. Alles andere – ob Sauerstoff, Stickstoff oder andere Gase – kann diesen Weg nicht gehen und wird abgeleitet.

Klaue

Verlagerung einer EHS-Anlage (Quelle: Siqens)

H₂News: Was unterscheidet Ihre HT-PEM von gängigen Protonenmembranen, wie sie etwa in PEM-Elektrolyseuren verbaut werden?

Klaue: Der entscheidende Unterschied liegt in der deutlich höheren Robustheit. Es gibt eine lange Liste von Schadstoffen, die unsere HT-PEM verträgt. Manche Verunreinigungen kann sie sogar in der 30.000-fachen Konzentration dessen ab, was eine Niedertemperatur-Membran (NT-PEM) verkraftet. Darüber hinaus erzielen sie mit unserer Membran eine derart hohe Reinheit, dass der Wasserstoff direkt in einer Brennstoffzelle genutzt werden kann. Das schaffen PEM-Elektrolyseure in der Regel nicht.

H₂News: Es macht Sinn, Ihre EHS-Technik mit der Elektrolyse zu vergleichen, da diese das mit Abstand gängigste Verfahren der Wasserstoffgewinnung darstellt. Wie fällt der Vergleich in puncto Energieeffizienz aus?

Klaue: Hier liegt unsere größte Stärke. Während Elektrolyse etwa 50 Kilowattstunden Strom und 10 Liter Reinst-Wasser pro Kilogramm Wasserstoff benötigt – bei einem Energiegehalt von 33 Kilowattstunden pro Kilogramm – brauchen wir lediglich 3-5 Kilowattstunden pro Kilo. Die EHS verbraucht also nur ein Zehntel der Energie, die im Wasserstoff enthalten ist. Der Grund ist, dass wir nicht die Molekülstruktur antasten. Wir führen lediglich eine Separation durch – ein Abscheideverfahren. Elektrolyse ist im Vergleich dazu eigentlich ein Verlustgeschäft: Man investiert 60 % mehr Energie, als der Wasserstoff am Ende enthält.

H₂News: Betrachten Sie sich als Konkurrenz zur Elektrolyseurindustrie?

Klaue: Nein, sondern als Ergänzung. Elektrolyse macht Sinn, wenn permanent günstiger Strom verfügbar ist, etwa in Spanien oder an der Nordsee. Aber für stundenweises Hoch- und Runterfahren bei überschüssigem Strom ist Elektrolyse nicht optimal. Das Problem der Elektrolyseure ist, dass sie im Start-Stopp-Betrieb nur schlecht funktionieren. Zudem haben gerade die neueren, effizienteren Elektrolyseure eine Vielzahl technischer Kinderkrankheiten.

H₂News: Sie scheiden Wasserstoff aus dem Verteilnetz ab, die nationale Wasserstoffstrategie sieht aber vor, grünen Wasserstoff durch ein neues Hochdrucknetz zu transportieren. Was halten Sie davon?

Klaue: Ich halte das für einen Fehler. Wir haben bereits 530.000 Kilometer Gasnetz in Deutschland – laut Materialwissenschaftlichem Institut der Universität Stuttgart sind 96 % davon wasserstofftauglich. Die alten Stadtgas-Leitungen sind sogar ideal, da Stadtgas früher 40-50 % Wasserstoff enthielt. Neuere Abschnitte bestehen teils aus weniger robustem Material und müssten ertüchtigt werden, aber im Prinzip sind 96 % der 530.000 Kilometer wasserstofftauglich. Statt ein komplett neues Kernnetz aufzubauen – was bis 2032 schon rein planfeststellungsrechtlich kaum durchsetzbar ist, da Tausende Anwohner klagen werden – sollten wir diese Infrastruktur nutzen.

H₂News: Zusammengefasst: Umrüstung statt Neubau.

Klaue: Genau. Aber die Frage ist: Müssen wir denn überhaupt molekularen Wasserstoff mit 300 bar über große Strecken transportieren? Allein die Verdichterstationen verbrauchen schon ein Drittel der Energie, die im Wasserstoff steckt. Ich halte es für sinnvoller, den Wasserstoff einem Medium zuzumischen – das kann Erdgas sein, oder Methanol – und dann am Einsatzort per EHS wieder abzuscheiden.

H₂News: Kritiker merken oft an, dass molekular transportierter Wasserstoff über lange Distanzen zunehmend unrein wird. Umgehen Sie dieses Problem?

Klaue: Ja, eben! Im Kernnetz wird der Wasserstoff nach kurzer Distanz nicht mehr brennstoffzellentauglich sein. Das heißt, an jedem Ausgang bräuchten Sie eine EHS-Anlage zur Aufreinigung. Das wäre eine doppelte Investition.

H₂News: Im fränkischen Haßfurt betreiben Sie seit einigen Monaten eine Pilotanlage. Wie schlägt sie sich?

Klaue: Die Anlage läuft seit der Abnahme durch den TÜV Ende Januar einwandfrei. Haßfurt ist unser erstes Demoprojekt am Gasnetz – größer als die bisherigen Demoanlagen, aber mit drei installierten Stacks noch nicht richtig groß. Wir haben uns bei dem Projekt übrigens bewusst für ein städtisches Erdgasnetz mit einer relativ geringen Wasserstoffkonzentration von nur 3-5% entschieden, und es funktioniert wie geplant.

H₂News: Wie viel Wasserstoff produzieren Sie dort ungefähr?

Klaue: Die Stacks können jeweils bis zu 5 Kilogramm Wasserstoff pro Tag separieren. Aber wir entwickeln bereits größere Systeme: Unser neuester Entwicklungsstack schafft rund 40 Kilogramm täglich. Im Doppelpack wird das unser Standard-Modul: 80 Kilogramm pro Tag. Diese Module werden wir in Standardcontainern unterbringen, die je nach Bedarf zwischen 80 Kilogramm und mehreren Tonnen täglich liefern.

Klaue

Pilotanlage im fränkischen Haßfurt (Bild: Siqens)

H₂News: Die Installation am Verteilnetz der Stadtwerke ist ein nachvollziehbarer Use Case. Welche weiteren Anwendungsbereiche gibt es?

Klaue: Zwei sind besonders spannend geworden. Erstens die Halbleiterindustrie: Nach der Reinigung von Abgasen entstehen bei der Herstellung von Halbleitern Gasgemische mit etwa 50% Stickstoff und 50% Wasserstoff. Bisher wird das über den Schornstein in die Umwelt geblasen – dabei ist molekularer Wasserstoff auch klimaschädlich. Der Klimaeffekt ist sogar rund 30-mal höher als der von CO₂! Mit unserer Technologie scheiden wir diesen Wasserstoff jedoch hochrein ab und recyceln ihn auf diese Weise.

H₂News: Sie „sammeln“ also den Wasserstoff auf, der in den Prozessgasen enthalten ist.

Klaue: Genau. Zweitens – und das ist unser größter Durchbruch – sind wir an einem Projekt zur Heliumreinigung beteiligt. Helium kommt selten rein vor, sondern besitzt in der Regel Wasserstoffbeimengungen, die teuer herausgefiltert werden müssen. Ein großer australischer Heliumhersteller suchte lange nach einer Lösung für dieses Problem. Wir haben im Januar 2025 erfolgreiche Versuche bei ihm durchgeführt: Der Wasserstoff wurde quasi komplett vom Helium abgetrennt. Daraus könnte sich der größte Auftrag in unserer Firmengeschichte ergeben, mit einem Umsatzpotenzial im dreistelligen Millionenbereich.

H₂News: Halbleiter- und Heliumindustrie sind keine klassischen Anwendungsgebiete für H-Technik. Wo sehen Sie weitere Use Cases?

Klaue: In der Mobilität, speziell Back-to-Base-Anwendungen: ÖPNV-Busse, Müllfahrzeuge, Lieferfahrzeuge der Post. Sie alle fahren morgens los und kommen abends zurück zur Basis. Dort eine Wasserstofftankstelle mit EHS-Anlage zu installieren, die den Tank-Wasserstoff aus dem Gasnetz separiert, ist wirtschaftlich und praktikabel. Für 50 Busse brauchen Sie etwa 300-400 Kilogramm Wasserstoff pro Tag – das sind fünf unserer Standard-Module. Für ein Stadtwerk wäre das günstiger als der Bau einer eigenen Elektrolyse mit Wasseraufbereitung. 

H₂News: Das klingt ja nahezu optimal. Warum hat sich das EHS-Verfahren noch nicht durchgesetzt?

Klaue: Wir sind eben Pioniere. Vor zwei Jahren haben wir unsere erste Demoanlage ausgeliefert, und vor einem Jahr sind wir erst an den Markt gegangen. Nach diversen Testanlagen wurden wir dann vom Helmholtz-Institut für das Projekt in Haßfurt ausgewählt. Das war ein wichtiger Durchbruch.

H₂News: Sie verkaufen nicht nur die EHS-Technologie, sondern auch ein Brennstoffzellen-System zur Off-Grid-Stromversorgung, den sogenannten EcoPort. Wie hängt der mit der EHS zusammen, und wieso setzen Sie hier auf Methanol?

Klaue: Das ist ein wichtiger Punkt. Herzstück beider Technologien ist ein HT-PEM-Stack. Der EcoPort verwendet Methanol als Wasserstoff-Träger. Und hier kommt wieder die hohe Robustheit ins Spiel: Während andere Brennstoffzellen-Hersteller teuere hochspezifizierte Methanol oder Wasser-Methanol Gemische brauchen, können Sie bei uns jedes Methanol verwenden, auch das billigste Industriemethanol. Und Methanol hat viele Vorteile: Sie können es bei normalen Umweltbedingungen in Kanistern lagern, und es ist der einzige Brennstoff, den Sie deshalb auch in Naturschutzgebieten verwenden dürfen. Wenn ein Kanister umkippt, passiert nichts. Last but not least lässt sich grünes Methanol sehr einfach herstellen: Sie nehmen Wasserstoff und CO₂ – wovon es ja mehr als genug gibt –  und erzeugen daraus Methanol.

H₂News: Siqens ist ein relativ junges Unternehmen. Wie hat sich Ihr Geschäft entwickelt?

Klaue: Die ersten Jahre waren herausfordernd. Wir hatten fast nur geförderte Demonstrationsprojekte. Damit kommt man gerade so über die Runden. Aber jetzt läuft es richtig an: Das Helium-Projekt in Australien, ein Vertrag über bis zu 500 EcoPort-Systemen für Notstromversorgung auf Öl- und Gasplattformen, das erfolgreiche Haßfurt-Projekt. Man merkt, dass etwas in Schwung kommt, sowohl bei den Brennstoffzellen als auch bei der EHS-Technologie.

H₂News: Ihre Herangehensweise unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von dem, was man in der Branche gewöhnt ist. Wie bewerten Sie als „Querkopf“ eigentlich das Big Picture, also den Stand des Wasserstoffhochlaufs?

Klaue: Ehrlich gesagt sehe ich ein großes Problem: Wir machen es uns viel zu kompliziert. Die ganze Branche ist darauf fixiert, komplett neue Systeme zu bauen – neue Elektrolyseure, neue Kernnetze, neue Infrastrukturen. Das kostet Unsummen und dauert ewig. Wenn wir die Hürden wirtschaftlich zu hoch hängen, wird die Wasserstoffwirtschaft ein totgeborenes Kind. Unser Ansatz ist: Schauen, was wir haben, und darauf aufbauen – sowohl bei der Erzeugung als auch beim Netz. Das ist schneller und günstiger. Und es funktioniert.

H₂News: Herr Klaue, vielen Dank für das Interview!

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