Der Nationale Wasserstoffrat hat die Politik zu einem Kurswechsel in der Wasserstoffstrategie aufgerufen. In einer Stellungnahme vom 16. Mai 2025 formuliert das Beratungsgremium acht Thesen für die neue Legislaturperiode. Die Experten sehen Wasserstoff als Schlüsselelement für Klimaneutralität 2045 und den Erhalt der industriellen Wettbewerbsfähigkeit.
Das grüne Gas und seine Derivate seien unverzichtbar für die Transformation von Industrie, Verkehr und Energiewirtschaft. Besonders im Flug- und Schiffsverkehr sowie in Teilen des Güterverkehrs gebe es keine Alternative zu Wasserstoff.
Der NWR betont in seiner neusten Stellungnahme die Notwendigkeit, Klimaschutz, Industriepolitik und Versorgungssicherheit zu verknüpfen.
EU-Vorschriften bremsen Markthochlauf
In der Hochlaufphase fordert der NWR pragmatische Ansätze. Besonders in dieser Phase des Wasserstoffmarkts sei Flexibilität gefragt, um den Markthochlauf nicht durch zu komplexe und „teilweise unnötige bzw. nicht zielführende Regulierungen” zu behindern. Der Rat fordert, dass die Rahmenbedingungen für alle Teile der Wertschöpfungskette deutlich vereinfacht werden müssen, um Markteintrittsbarrieren abzubauen und Investitionen zu ermöglichen.
Die aktuellen EU-Anforderungen im Rahmen des Delegated Act „Low Carbon Hydrogen” könnten den europäischen Markt für internationale Anbieter unattraktiv machen. Die Experten des Rats empfehlen eine Verlängerung der Übergangsfristen für RFNBO-konformen Wasserstoff.
Besonders kritisch sehen die Experten die Kriterien für Zusätzlichkeit und zeitliche Korrelation. Diese Anforderungen verteuerten die Wasserstoff-Gestehungskosten ohne erkennbaren Mehrwert. Der Rat schlägt vor, den Schwellenwert von 90 Prozent Erneuerbare-Energien-Anteil einer Gebotszone temporär abzusenken.
Infrastruktur als Erfolgsfaktor
Den Ausbau der Infrastruktur sieht der NWR als entscheidend für Tempo und Erfolg des Markthochlaufs. Transport-, Verteil-, Speicher- und Importinfrastrukturen müssten synchron geplant und umgesetzt werden. Mit dem Wasserstoff-Kernnetz sei ein „Meilenstein” gesetzt worden.
Ergänzend brauche es ein Verteilnetz für Wasserstoff-Cluster. Über 1,8 Millionen Industrie- und Gewerbekunden seien bereits an das Gasverteilnetz angeschlossen. Dieses Potenzial gelte es zu nutzen. Pipeline-Importkorridore aus europäischen Ländern seien entscheidend für wirtschaftliche Konditionen.
Für internationale Wertschöpfungsketten sind koordinierte Anstrengungen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene erforderlich. Wasserstoff und seine Derivate müssten als Commodities in transparenten, wettbewerbsfähigen Märkten handelbar werden.
Finanzierung muss Risiken abfedern
Der erfolgreiche Hochlauf benötige eine robuste Nachfrage. Instrumente wie eine Grüngasquote, grüne Leitmärkte oder ähnliche Mechanismen könnten einen Pull-Effekt erzeugen. Als Beispiel nennt der Rat den Low Emission Steel Standard (LESS) für klimafreundlichen Stahl.
Der Wasserstoffrat weist außerdem darauf hin, dass die verschiedenen Förderinstrumente wie H2Global oder IPCEI zu Unsicherheiten führen. Die gleichzeitige Förderung von Erzeugung und Anwendung könnte Verwirrung schaffen. Eine ganzheitliche Betrachtung der Förderlandschaft stehe bisher aus. Der Rat empfiehlt, sich auf wenige zentrale Instrumente zu konzentrieren.
Unverzichtbar seien nicht nur sinnvolle Fördermaßnahmen, sondern auch zielgerichtete Instrumente zur staatlichen Risikoabsicherung. Langfristverträge für den Wasserstoffbezug müssten ermöglicht und Mengen- sowie Preisrisiken abgefedert werden. Der Fokus solle auf der Mobilisierung privaten Kapitals liegen.
Contracts for Difference (CfD) und grüne Leitmärkte könnten die Kostenlücke schließen. Die Rolle der Midstreamer sei besonders zu berücksichtigen. Staatliche Ausfallsicherungen könnten notwendige Investitionen ermöglichen und privates Kapital aktivieren.
Regionale Cluster als Innovationszentren
Laut der Stellungnahme biete die systematische Entwicklung regionaler Wasserstoffcluster eine vielversprechende Lösung. Komplexe Technologien könnten entlang der gesamten Wertschöpfungskette risikoärmer erprobt und skaliert werden. Sie fungierten als Innovationszentren und Katalysatoren für die Defossilisierung mehrerer Sektoren.
Während der Hochlaufphase komme der inländischen Wasserstofferzeugung aus Erneuerbare-Energien-Überschüssen eine wesentliche Bedeutung zu. Cluster ermöglichten Lerneffekte bezüglich des Gesamtenergiesystems und eine bedarfsgerechte Auslegung der Wasserstoffsysteme.
Deutschland bleibt auf Importe angewiesen
Trotz des Hochlaufs erneuerbarer Energien bleibe Deutschland auf Energieimporte angewiesen, so der NWR. Energiepartnerschaften müssten fortgeführt und neu etabliert werden. Doch viele mögliche Partner im Globalen Süden investierten laut Wasserstoffrat aktuell weniger in Wasserstoff-Exporte als erwartet.
Zentrale Hürden lägen in der Sorge um zu geringe Wertschöpfung vor Ort und hohen Kapitalkosten durch Risikoaufschläge. Entwicklungs- und industriepolitisch orientierte Wertschöpfungspartnerschaften erhöhten die Versorgungssicherheit. Eine europäische Wasserstoffallianz könne die Resilienz des Wirtschaftsraums stärken.
Der NWR fordert neues Denken in der Wasserstoffpolitik. Kohärente deutsche und europäische Förder- und Forschungspolitik seien entscheidend. Investitionen in Humankapital seien ebenso wichtig wie technologische Fortschritte. Übergeordnetes Ziel bleibe ein klimaneutrales, wettbewerbsfähiges und widerstandsfähiges Wirtschafts-, Energie- und Verkehrssystem.
Stellungnahme zur neue Legislaturperiode: Die acht Thesen des NWR