19. Juni 2023 | In einem Pilotprojekt hat die Bilstein-Group am Standort Hagen-Hohenlimburg eine komplette Heizhaube mit elf Brennern und 1.800 kW Wärmeleistung von Erdgas- auf Wasserstoffbetrieb umgestellt. Dabei habe es keine Leistungseinbußen gegeben, meldet das Unternehmen. Nun konnte Bilstein mit 100 t Kaltband die nach eigenen Angaben erste CO2-neutrale Wärmebehandlung der Welt realisieren. Zur Anwendung kamen dabei wasserstofftaugliche Brenner von Küppers Solutions.
Am 15. und 16. Mai 2023 erfolgte nach zwei Jahren Forschungs- und Entwicklungsarbeit die Inbetriebnahme der umgerüsteten Heizhaube.
„Vom Zünden der Brenner bis zum Ende des Prozesses haben wir kein einziges Gramm Erdgas verbrannt und hervorragende Prozessparameter erzielt. So konnten wir allein bei diesem Versuch lokal rund 3.700 kg CO2 einsparen. Aus dem Schornstein kam statt CO2 Wasserdampf”, erklärt Christian Hagenkord, Leiter Nachhaltigkeitsprojekte und Energieversorgung bei Bilstein.
Dies bestätigte das Gas- und Wärme-Institut Essen e.V. (GWI), das die messtechnische Begleitung des Projekts übernahm.
Das Stammunternehmen Bilstein erzielte vor der Pandemie eine Produktionsmenge von 500.000 t im Jahr. Bei vollständiger Umstellung auf Wasserstoff ergäbe das ein Einsparpotenzial von 25.000 t CO2. Das entspräche dem jährlichen CO2-Verbrauch von rund 2.300 in Deutschland lebende Menschen.
25.000 t CO2-Einsparpotenzial im Jahr
Da der volumetrische Heizwert von Wasserstoff nur ein Drittel des Heizwertes von Erdgas beträgt, waren statt 1.870 m³ Erdgas rund 5.600 m³ Wasserstoff notwendig, um die ca. 100 t Kaltband mehrere Stunden bei einer Temperatur von 710 °C zu glühen.
Die Westfalen AG stellte die für den Praxistest geforderte Wasserstoff-Menge und entsprechende Lkw-Trailer bereit, aus denen der Wasserstoff direkt in die Rohrleitungssysteme der Haubenglühanlage geleitet wurde. In der Spitze seien pro Stunde über 600 m³ Wasserstoff direkt aus dem Trailer in das Bilstein-Werk geströmt.
Wasserstoff-Brenner aus dem Ruhrgebiet
Nach einer erfolgreichen Machbarkeitsstudie Mitte 2022 fiel Ende 2022 die Entscheidung zur testweisen Umrüstung einer Heizhaube auf dualen Betrieb mit Erdgas oder Wasserstoff. Gemeinsam mit der Kueppers Solutions GmbH aus Gelsenkirchen habe man die bestehende Brennertechnologie “deutlich weiterentwickeln” können.
Erst die der Einsatz von 3D-Druck ermöglichte es, neuartige Brennerdesigns umzusetzen und zur Marktreife zu bringen. Speziell der Brennermund wird bei der neuen, komplexen Brennerform durch metallischen 3D-Druck hergestellt. Dabei kommt dasselbe Material (2.4856 Inconel 625) zum Einsatz, aus dem etwa auch die Triebwerkschaufeln des Airbus A380 bestehen.
Bis Ende dieses Jahres will Bilstein zwei weitere Heizhauben auf duale Brennertechnik umrüsten. Das Ziel sei, weitere Brennertypen zu testen, die ebenfalls mit Erdgas oder Wasserstoff betrieben werden können. Bis Ende 2023 soll die beste Technologie gefunden sein, um von 2024 bis 2027 schrittweise alle Heizhauben der Glühanlagen mit insgesamt über 600 Brennern in den Werken in Hagen-Hohenlimburg auszutauschen.
Millioneninvestition in Wasserstoff
Allein für diese Umrüstung plant das Unternehmen einen zweistelligen Millionenbetrag.
„Um diese Technologie langfristig wirtschaftlich nutzen zu können, sind wir auf Förderungen aus der Politik und zahlungsbreite Kunden angewiesen – denn aktuell liegen die Brennstoffkosten für das Glühen mit Wasserstoff rund sechs Mal höher als bei Erdgas“, so Christian Hagenkord.
„Und hier liegt auch die größte Herausforderung: Zum einen muss grüner Wasserstoff in ausreichender Menge zeitnah lokal zur Verfügung stehen. Zum anderen müssen die Kosten, die der energieintensiven Industrie für die Nutzung von Wasserstoff entstehen, wettbewerbsfähig sein.”
H2-ready, bis der grüne Wasserstoff kommt
Das Unternehmen will bis 2035 CO2-neutral sein; hierzu sei grüner Wasserstoff derzeit der Energieträger der Wahl.
“Also muss es auch unser Ziel sein, bis dahin sämtliche internen Prozesse, in den wir heute Erdgas einsetzen, auf Wasserstoff umgestellt zu haben – im Idealfall schon deutlich früher als 2035“, erklärt Michael Ullrich, technischer Geschäftsführer der Bilstein Group.
„Wir wollen ‚H2-ready‘sein, sobald der erste grüne Wasserstoff hier bei uns im Lennetal ankommt.“
Dazu haben sich regionale Unternehmen, Netzbetreiber und Energieversorger bereits 2021 in einem Projekt zusammengeschlossen. Die Initiative treibt gemeinsam den Aufbau einer leistungsfähigen Wasserstoffinfrastruktur voran. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.