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Wasserstoffprojekte in der Stahlproduktion am Beispiel der Salzgitter AG

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Autor: Sophia Jenke

© Salzgitter AG
© Salzgitter AG
Salzgitter Stahlproduktion Wasserstoffprojekte

06. Mai 2024 | Um den CO2-Ausstoß zu vermindern, erprobt die Salzgitter AG in mehreren Wasserstoffprojekten neue Wege und Verfahrenstechniken. Unter dem Projektnamen Salcos® (Salzgitter Low CO₂ Steelmaking) beschäftigen sich Forscher und Fachleute mit den neuen Produktionstechnologien und ihrer Einbindung in ein integriertes Hüttenwerk. Mit den Projekten GrInHy (Green Industrial Hydrogen) und Windwasserstoff Salzgitter – WindH2 sammelt die Salzgitter Flachstahl Betriebserfahrung in dem für Salcos wichtigen Themenbereich „Wasserstoff aus erneuerbaren Energien“, auf den später eine Umsetzung im großindustriellen Maßstab folgen soll. Obwohl die heutigen Rahmenbedingungen noch keinen wirtschaftlichen Betrieb einer direkten Kopplung von Windstromerzeugung und Elektrolysebetrieb ohne Förderung ermöglichen, soll die klimaschonende Technologie weiterentwickelt werden.

Bei der Produktion im Hüttenwerk der Salzgitter AG fallen jährlich etwa 8 Millionen Tonnen CO₂ an, die zu den gegebenen technischen Bedingungen und mit den zur Verfügung stehenden Anlagen prozessbedingt unvermeidbar sind.

Für eine Dekarbonisierung der Primärstahlherstellung will die Salzgitter AG ein Alleinstellungsmerkmal der Eisenmetallurgie nutzen: Wasserstoff kann bei der Eisenerzreduktion Kohlenstoff ersetzen. Anstelle von Kohlendioxid entsteht bei dem Prozess Wasser. Zusätzlich kann die in der Stahlerzeugung und -weiterverarbeitung notwendige Prozesswärme durch elektrische Energie statt durch kohlenstoffhaltige Energieträger bereitgestellt werden. So lassen sich fast alle CO₂-Emissionen der Stahlherstellung direkt vermeiden („Carbon Direct Avoidance“, CDA).

1. Salcos®

Salzgitter AG Wasserstoff Stahlherstellung

Bild 1: Anpassungskonzept der Stahlproduktion (© Salzgitter AG)

Mit Blick auf eine großtechnische Realisierung von CDA startete die Salzgitter AG das Projekt Salcos im Jahr 2015. Im Rahmen des Projektes werden die Voraussetzungen und Auswirkungen einer Umsetzung auf das integrierte Stahlwerk des Konzerns in Salzgitter untersucht. Die wissenschaftliche Begleitung erfolgt dabei durch die neutrale Expertise der Fraunhofer Gesellschaft (FhG). Neben dem Ziel, die CO₂-Emissionen nachhaltig zu reduzieren, sollen auch die bestehenden Produktionsstandorte und Arbeitsplätze erhalten werden. So will der Konzern eine Verlagerung in Gebiete außerhalb Europas vermeiden. Das modulare Konzept des Projekts soll eine schrittweise Realisierung ermöglichen. Die Umsetzungsschritte können sich dabei an die zukünftigen CO₂-Reduktionsziele in Europa nach 2030 anpassen. Die derzeit bestehende Stahlerzeugung im integrierten Hüttenwerk in Salzgitter muss dazu auf der Grundlage des in Bild 1 dargestellten Konzepts umfangreich angepasst werden.

Projektverlauf

Am 5. Dezember 2023 hat der Stahlproduzent den Spatenstich für das Hauptschalthaus der Direktreduktionsanlage (DRI-Anlage) gesetzt. Damit startete die Salzgitter AG die erste von drei Ausbaustufen des Salcos-Projektes. Sie umfasst neben dem Bau der DRI-Anlage einen Elektrolichtbogenofen und einen 100-MW-Elektrolyseur. Diesen bestellte der Konzern bei der österreichischen Andritz AG. Die auf EPC-Basis gelieferte Anlage werde dabei Technologie des norwegischen Unternehmens Hydrogen Pro zur Druck-Alkali-Elektrolyse enthalten. Ab 2026 soll der Elektrolyseur rund 9.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr produzieren.

Da diese Menge nicht ausreicht, um die DRI-Anlage zu versorgen, hat der Stahlproduzent am 23. April 2024 mit Uniper einen Vorvertrag über die Lieferung und Abnahme von grünem Wasserstoff unterzeichnet. Ab 2028 soll Uniper bis zu 20.000 Tonnen grünen Wasserstoff aus einem 200-MW-Elektrolyseur in Wilhelmshaven an den niedersächsischen Stahlkonzern liefern.

Das SALCOS® Projekt wird mit über einer Milliarde Euro vom Bund und dem Land Niedersachsen unterstützt. Dafür übergaben Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil 2023 auf der Hannover Messe einen Förderbescheid an Gunnar Groebler, den Vorstandsvorsitzenden der Salzgitter AG. Mit dem Förderbescheid und den freigegebenen Eigenmitteln ist nach Angaben des Stahlkonzerns die Finanzierung der ersten Ausbaustufe sichergestellt.

2. Windwasserstoff – WindH2

Salzgitter Stahlproduktion Wasserstoffprojekte

(© Salzgitter AG)

Das Vorhaben „Windwasserstoff Salzgitter – WindH2“ ist ein weiterer Schritt hin zu einer wasserstoffbasierten Stahlindustrie. Am 30. Oktober 2018 unterzeichneten die Salzgitter Flachstahl GmbH, der Industriegaslieferant Linde AG und der Netzbetreiber Avacon Natur GmbH einen Vertrag für das Projekt. Ziel ist, in Salzgitter Wasserstoff mittels PEM-Elektrolyse mit Strom aus Windkraft zu erzeugen.

Dazu wurde der Auftrag zum Bau einer 2,5 MW-PEM-Elektrolyse an Siemens Gas and Power vergeben. Das Unternehmen soll in Salzgitter eine containerisierte Anlage aufbauen, die bei Volllast 450 Nm3/h Wasserstoff produziert. Damit soll der komplette gegenwärtige Wasserstoffbedarf gedeckt werden. Der erforderliche Strom wird in sieben Windkraftanlagen mit einer Leistung von 30 MW erzeugt, welche die Avacon AG auf dem Salzgitter-Gelände errichtet. Linde ist im Sinne der Wasserstoff-Versorgungssicherheit am WindH2-Projekt beteiligt. Dafür betreibt der Industriekonzern einen Wasserstoffspeicher auf dem Betriebsgelände. Die Kosten für das gesamte Projekt belaufen sich laut eigenen Angaben auf rund 50 Millionen Euro.

Die Anlage wurde am 11. März 2021 der Öffentlichkeit vorgestellt und in Betrieb genommen.

3. GrInHy

Während WindH2 auf eine industrielle Wasserstoffproduktion mit konventioneller Elektrolyse-Technik setzt, erprobt das Forschungsprojekt „Green Industrial Hydrogen“ (GrInHy) einen alternativen Elektrolyse-Weg. Zusammen mit der Sunfire GmbH und weiteren Partnern aus fünf EU-Ländern arbeitet der Stahlkonzern an einem EU-Forschungsprojekt. Bei GrInHy wird eine Hochtemperaturelektrolyse (SOEC) zur Wasserstoffproduktion verwendet. Das Verfahren besitzt durch die Einbindung von Abwärme einen höheren elektrischen Wirkungsgrad als herkömmliche Elektrolyse-Technologien.

GrInHy2.0

Eine entsprechende Versuchsanlage ging bereits im Oktober 2017 auf dem Hüttengelände in Betrieb. Noch bevor das Projekt 2019 abgeschlossen wurde, starteten die Salzgitter Flachstahl GmbH, Salzgitter Mannesmann Forschung GmbH und Sunfire GmbH im Januar 2019 mit neuen Partnern das Nachfolgeprojekt GrInHy2.0. Mit an Bord sind die Anlagenbauer Paul Wurth S. A. und Tenova S.p.A. sowie das französische Forschungszentrum CEA.

Das Gesamtbudget aller Partner beträgt 5,5 Millionen Euro. Hinzu kamen Unterstützung vom Fuel Cell and Hydrogen 2 Joint Undertaking und der Europäischen Kommission. GrInHy2.0 soll im Vergleich zum Vorgängerprojekt den Wirkungsgrad noch einmal steigern – von 78 % auf mindestens 84 % (bezogen auf den Heizwert). Zudem sei geplant, die Leistung der Elektrolyse von 150 auf 720 kWel (Kilowatt elektrisch) zu steigern.

GrInHy3.0

Im Dezember 2023 ging das Forschungsprojekt dann in die dritte Runde. Gemeinsam mit der TU Bergakademie Freiberg wollen der Dresdener Elektrolyseurhersteller und die Salzgitter AG ihre Untersuchungen ausweiten. GrInHy3.0 soll vor allem den industriellen Einsatz der Hochtemperatur-Elektrolyse in der Stahlproduktion testen. Dafür sollen die überarbeiteten SOEC-Stacks von Sunfire zum Einsatz kommen. Diese seien laut Hersteller nun noch robuster und effizienter.

 

(Dieser Text ist eine überarbeitete und aktualisierte Fassung eines zuvor im Fachmagazin PROZESSWÄRME, Ausgabe 3/2020, erschienenen Beitrags)

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